Auch in der Flüchtlingsbetreuung sind viele Ehrenamtliche unterwegs – deren Förderung will der Landtag in der Verfassung festschreiben. Foto: dpa

Nicht alles, was wünschenswert ist, muss gleich Staatsziel werden. Der Landtag sollte sich bei der geplanten Verfassungsänderung deshalb beschränken.

Stuttgart - Die Verfassung eines Landes gibt noch keine Auskunft über seine Verfassung: Das ist zwar nur ein Sprichwort, aber eines mit hohem Wahrheitsgehalt. Denn es besagt, dass Papier geduldig ist – auch dann, wenn vollmundige Versprechungen darauf geschrieben sind. Nirgendwo nimmt die Politik den Mund voller, als wenn es um sogenannte Staatsziele in den Verfassungen geht. Das sind Leitlinien, nach denen Parlamente und Regierungen ihr Handeln ausrichten sollen. In der Landesverfassung gehört zum Beispiel der Tierschutz dazu, aber auch der Denkmalschutz und die Sportförderung. Der Haken daran ist, dass dies alles zwar wünschenswert, aber nicht einklagbar ist. Wären Staatsziele das, dann wollten wohl alle in Brandenburg leben. Denn dort ist auch die Vollbeschäftigung Staatsziel. Die Realität sieht bekanntlich anders aus.

Derzeit macht sich auch der baden-württembergische Landtag daran, die Verfassung zu ändern. Eigentlich wollten die vier Fraktionen ja „nur“ die Volksabstimmungen auf Landesebene erleichtern – ein überfälliger Schritt, denn bisher erweisen sich die Hürden für landesweite Referenden als praktisch unüberwindbar. Da man aber nun schon einmal eine Zweidrittelmehrheit zusammen hat – so viele Abgeordnete sind nämlich nötig, um die Verfassung zu ändern –, will die überparteiliche Koalition die Gelegenheit nutzen, um auch ihre edle Gesinnung zum Ausdruck zu bringen: Sie hat sich neue Staatsziele ausgeguckt.

Keine Bedeutung für praktische Politik

So kam man überein, die Rechte von Kindern, die Förderung des Ehrenamts und die Schaffung einheitlicher Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land in das Artikelwerk hineinzuschreiben. Noch vor der nächsten Wahl soll die Änderung beschlossen sein. So gut diese Vorgaben aber auch gemeint sein mögen – für die praktische Politik haben sie keinerlei Bedeutung. Denn sobald der Finanzminister klamm wird, kann ihn kein noch so hehres Staatsziel daran hindern, etwa die Vereinsförderung zu kürzen. Denn es fehlt der juristische Hebel. Psychologisch gesehen droht somit aber die Wirkung eines Werbeslogans: Die Menschen nehmen ihn zur Kenntnis, wohl wissend, dass er auf Treu und Glaube gründet. Eine Garantie gibt es nicht.

Dafür aber ist eine Verfassung zu schade. Sie soll ein solider Rahmen sein, das statische Gerüst des Gemeinwesens, kein Anbau, kein Erker, keine Verzierung. Bläht man sie mit zu vielen Staatszielen auf, entsteht der Eindruck von Beliebigkeit, von billigem Jakob. Warum, so lässt sich ketzerisch fragen, proklamiert man dann nicht auch den gesunden Schlaf? Oder das Recht auf preiswerte Lebensmittel? Im Staat Bhutan ist sogar das Recht auf Glück in der Verfassung verankert. Die Politik sollte aber nicht jeder Eingebung nachgeben, denn Staatsziele unterliegen auch gewissen Moden. Nicht von ungefähr wurden auch in den Landtagsfraktionen gewisse Zweifel am Sinn des Vorhabens laut, die Rede war sogar von „Sommerschlussverkauf“.

Das soll nicht heißen, dass der Kinder- und Jugendschutz und die Förderung des Ehrenamts nicht aller Anstrengungen wert wären. Oder dass es gleichgültig sei, ob man den ländlichen Raum ans Internet anschließt oder nicht. Doch die Bürger messen die Politik an ihren Taten. Statt immer neue Absichtserklärungen zu verfassen, sollten die gewählten Vertreter lieber darauf achten, die bestehenden umzusetzen. Artikel 13 der Landesverfassung zum Beispiel schreibt vor, die Jugend gegen Ausbeutung und gegen sittliche, geistige und körperliche Gefährdung zu schützen. Auch aus dem Grundgesetz lässt sich ohne weiteres der Schutz der Kinder vor Gewalt und die Förderung ihrer persönlichen Entwicklung ablesen. Das sollte eigentlich genügen.

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