Nach dem Anschlag: Rettungswagen vor der U-Bahn-Station Park Kultury in Moskau Foto: Foto: dpa

Russlands Präsident Medwedew steht vor seiner ersten Bewährungsprobe, meint Winfried Weithofer.  

Stuttgart -Dutzende Tote bei Anschlägen: An Schreckensmeldungen dieser Art hat sich die Welt gewöhnen müssen, doch in der Regel findet der Horror irgendwo in Pakistan, Afghanistan oder im Irak statt. Nun haben Terroristen in Moskau zugeschlagen - und die mediale Wirkung übersteigt die aller sonstigen Attentate in den politischen Schlechtwetterzonen rund um den Globus. Moskau - das ist eine Metropole, die uns nahe liegt, und so erfassen auch uns die Schockwellen des Terrors, genauso wie 2004, als in Madrid Fahrgäste in Vorortzügen der Gewalt zum Opfer fielen, oder 2005, als viele Tote bei Explosionen in der Londoner U-Bahn zu beklagen waren.

Von irakischen Verhältnissen kann in Moskau natürlich keine Rede sein, doch zumindest dies ist den Rädelsführern gelungen: wieder einmal zu zeigen, dass sie überall zuschlagen und nach Belieben auch das russische Herz treffen können - ihr Aktionsradius reicht vom Kaukasus bis hinauf nach St. Petersburg. Erst Ende November waren bei einem Anschlag auf einen Schnellzug im Nordwesten zwei Dutzend Menschen getötet worden, im Februar 2004 starben bei einem Anschlag auf die Moskauer Metro 40 Menschen.

Dimitri Medwedew steht vor seiner ersten großen Bewährungsprobe als russischer Präsident. Es ist eine Herausforderung, die möglicherweise über eine zweite Amtszeit entscheidet. So ist er sichtlich darauf bedacht, keine Schwäche zu zeigen. Medwedew spricht vom kompromisslosen Vorgehen gegen den Terror, doch er schiebt den Satz nach: Die Menschenrechte müssten bei den Polizeieinsätzen gewahrt bleiben. Wie schon in der Vergangenheit zeigt sich: Medwedew - das ist kein Haudrauf. Man darf ihm im Gegenteil einen sorgsamen Umgang mit der Macht unterstellen. Doch sollte sich herausstellen, dass die von ihm angestoßene Reform des Polizeiapparats die Sicherheit beeinträchtigt hat, könnte er in erhebliche Nöte geraten. Für Regierungschef Wladimir Putin, der am Montag fernab in Sibirien weilte, ist die Situation schon jetzt delikat: Will er wieder zurück an die Spitze des Kreml, darf er nicht allzu sehr in den Schatten Medwedews geraten.

Nährboden auf dem Extremismus gedeiht

Den Erwartungen entsprechend, wandten sich die Politiker jedenfalls mit drastischen Worten ans Volk: Von "Krieg gegen Terror" sprach der eine, von "Auslöschung der Terroristen" der andere. Doch die martialischen Töne können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die russische Politik gegen die mutmaßlichen Urheber der Gewalt - Rebellen aus dem Kaukasus - auch nach Jahren kein Rezept gefunden hat. Sie ist ratlos und ohnmächtig. In der zerklüfteten Bergwelt im Süden des Riesenreichs stößt die Staatsmacht an ihre Grenzen - und wie in Pakistans Nordwesten dehnen Islamisten, unterstützt von Glaubenskriegern aus dem Ausland, auch dort ihre Einflusszonen aus.

Moskau hat ein paar harmlose Oppositionelle gnadenlos verfolgt, seinen Hinterhof aber sträflich vernachlässigt - dabei hat es an Warnungen nicht gefehlt. Um 30 Prozent hätten die terroristischen Aktivitäten in Südrussland zugenommen, beklagte der Bevollmächtigte des Präsidenten in einer Bilanz für das vergangene Jahr. Seine Warnung wurde in den Wind geschlagen. Heute ist die Lage in der vernachlässigten Region so schlecht wie lange nicht. Sogenannte Sicherheitskräfte schikanieren die Bevölkerung, dazu kommen die Entfremdung von Moskau, Korruption, Armut und hohe Arbeitslosigkeit - jener Nährboden, auf dem Extremismus gedeiht.

Der Anschlag auf die Moskauer Metro zwingt die russische Politik, sich den gravierenden Problemen an der Südflanke des Riesenreichs nun neu zuzuwenden. Medwedew muss sich freilich vor Bevormundung durch Putin hüten. Es war der Ex-Präsident, der in Tschetschenien dem kaukasischen Terrorismus Auftrieb gab.