Gibt die Kommandos: Julian Brandt Foto: IMAGO/RHR-Foto/IMAGO/Dennis Ewert/RHR-FOTO

Julian Brandt hat sich enorm entwickelt und ist bei Borussia Dortmund zum Führungsspieler herangereift. Auch deshalb sind wieder die Erfolge da.

Wer Sebastian Kehl am Dienstag zuhörte, als er über Julian Brandt sprach, konnte beinahe vergessen, dass es in den Erläuterungen tatsächlich nur um diesen einen Spieler ging. Brandt habe auch in der Vergangenheit „schon viele gute Spiele gemacht, aber nicht in der Konstanz“, sagte der Sportdirektor von Borussia Dortmund vor dem Duell gegen den FC Chelsea an diesem Mittwoch (21 Uhr). Der 26 Jahre alte Nationalspieler habe „ein paar Dinge umgestellt“ und „hart an sich gearbeitet“, fuhr Kehl fort, er sei jetzt „viel stabiler, robuster und präsenter“. Exakt diese Worte hätte er auch wählen können, wenn er nach der zuletzt so beeindruckenden Entwicklung des gesamten Teams gefragt worden wäre. Julian Brandt ist demnach so etwas wie der Hauptrepräsentant eines Fortschritts, der sich zuletzt in sechs Siegen am Stück zeigte.

Dieses große Achtelfinale in der Königsklasse kommt demnach in einem recht günstigen Moment. Zumal die Londoner mit einer Mannschaft ins Revier reisen, die mit den gewaltigen Millionensummen eines amerikanischen Investors aufgeblasen wurde, die aber noch zu einem funktionierenden Gefüge zusammenwachsen muss. Während die Dortmunder glauben, auf ihrem mühevollen Weg zur Titelreife entscheidend vorangekommen zu sein. Und Brandt ist nicht nur ein Typ, der diese Entwicklung entscheidend prägt, an seinem Beispiel lässt sich gut zeigen lässt, warum die Mannschaft seit Jahren hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt.

„Ich hatte viele Trainer, die ich defensiv maximal gebrochen habe“, sagte Brandt neulich in dem Podcast „Kicker meets DAZN“ erstaunlich selbstkritisch. Wobei es nicht nur die Trainer waren, die er in den Wahnsinn trieb, weil er so nachlässig mit seinem Talent umging. Brandt gehörte zu den Ursachen für die Stagnation des schwarz-gelben Projekts, am vergangenen Wochenende sagte er: „Wir haben eine Euphorie, die langsam entsteht. Alle bringen ihren Teil ein, und das tut dem Kollektiv gut.“

Geniale Aktionen

Mit einem Typ wie dem alten Brandt, der seine genialen fußballerischen Aktionen durch Momente der Schläfrigkeit und Schlamperei entwertete, wäre das kaum möglich. Der gebürtige Bremer neigte dazu, in den für ihn weniger interessanten Momenten des Spiels den Fokus zu verlieren, abzuschweifen. Das führte zu seltsamen Fehlpässen und auch dazu, dass in den Videoanalysen manchmal zu sehen war, wie sein zu spätes Umschalten in die Defensive die eigene Abwehr in Schwierigkeiten brachte. Weil Leute wie Raphael Guerreiro, Marco Reus, Emre Can ähnliche Schwächen haben, verloren die Dortmunder viel zu viele Spiele, in denen sie eigentlich die bessere Mannschaft hätten sein müssen.

Diese Zeit scheint vorbei zu sein, zumindest vorerst, und die Zuversicht ist groß, dass sowohl die Mannschaft wie auch Brandt keinen Rückfall erleiden, denn zumindest im Fall des Spielers steckt ein Prozess hinter dem Fortschritt, der schon länger läuft. Trainer Edin Terzic lobte im Januar Brandts Entwicklung „auch im physischen Bereich bei den Laufintensitäten“ und freute sich bereits vor der WM über „die Härte, die er einbringt“. Die Verwandlung lässt sich sogar äußerlich erkennen. Brandt hat seine Ernährung umgestellt, er ist jetzt schlanker und drahtiger. „Ich ernähre mich gluten- und histaminfrei. Ich habe dadurch eine bessere Fitness und fühle mich insgesamt einfach besser“, sagte er neulich. Auch seine Hautprobleme plagen ihn jetzt nicht mehr. Der neue Julian Brandt, der im Spiel gegen Chelsea übrigens auf seinen alten Kumpel Kai Havertz trifft, erfreut alle Dortmunder, nur Kehl bereitet die neue Stärke des Profis auch ein paar Sorgen.

Vor einem Jahr wurde noch darüber diskutiert, ob es nicht dringend nötig sei, diesen talentierten und hoch bezahlten Spieler, der sein Potenzial nur sporadisch entfaltete, von der Gehaltsliste zu bekommen. Damals schien es im Zuge der angestrebten Veränderungen sinnvoll, einen stabileren Ersatz für die Offensivreihe zu suchen. Einen anderen Typ, der die jungen Talente stützt, statt ähnlich unreif zu agieren wie ein Teenager. Nun hat sich Brandt selbst zu diesem Spieler entwickelt, und Kehl steht unter dem Druck, den 2024 auslaufenden Vertrag zu verlängern. „Ich bin ein strukturierter Typ“, sagte Brandt jüngst auf die Frage zu seinen Zukunftsplänen. „Ich will so wenig Nebenschauplätze haben wie möglich. Es geht nicht darum, dass ich abwarten will. Ich will es in Ruhe machen.“ Um sich im Hier und Jetzt ganz auf das nächste Spiel konzentrieren zu können.