Sven Mislintat, Sportdirektor beim VfB Stuttgart, sitzt auf der Bank. Foto: dpa

Jeder Vorteil zählt: Dabei rückt für Mannschaften in den Spitzenligen die Leistungsanalyse in den Fokus. Auch beim VfB Stuttgart hilft da ein Chip. Doch die Daten können auch ihre Tücken haben.

Stuttgart - Wie schnell rennen unsere Spieler? Bewegen sie sich in die richtigen Positionen? Und wann ist die Belastung zu hoch? Fragen, die sich die Trainer-Teams beim Fußball, Handball oder Basketball immer wieder stellen müssen - und bei deren Beantwortung immer mehr auf die sogenannte Tracking-Technik gesetzt wird. „Es geht auch darum, dass wir live das Training überwachen können. Also nicht nur, um hinterher zu sehen, ob wir das Ziel erreicht haben, sondern um schon während des Trainings zu sehen, ob wir in dem Bereich sind, in den wir kommen wollten“, erklärt Sportdirektor Sven Mislintat vom Fußball-Zweitligisten VfB Stuttgart der dpa.

Das Tracking erfolgt durch einen winzigen Chip, der in den Trikots der Spieler, in einem speziellen Gurt für den Oberkörper oder einfach per Clip an der Hose befestigt ist. Auch im Ball steckt häufig einer. Per Funk werden die Leistungsdaten jedes Spielers automatisch in Echtzeit verfügbar gemacht. Die Geschwindigkeit, die verbrannten Kalorien, die zurückgelegte Distanz, die Position auf dem Feld: all das erfasst das System. „Wir nutzen es zur Leistungsdiagnostik und zur Erfassung der Laufleistung im Training. So kann man sehr gut die Trainingsintensität und die Umfänge überwachen“, sagt Mislintat.

Für Sportwissenschaftler Daniel Memmert von der Sporthochschule Köln vereinfacht die Technik den Mannschaften die Arbeit: „Man kann daraus eine Menge an Daten generieren, die man sonst nur mit extremem Aufwand bekommen kann - wenn überhaupt.“ Um mehr als Informationen über die körperliche Verfassung der Spieler und oberflächliche Statistiken aus den gewonnenen Werten zu machen, brauche es allerdings weitere Schritte.

Daten werden „veredelt“

Diese einfachen Daten müssten „veredelt“ werden, um mehr Aussagekraft zu bekommen, erklärt der Wissenschaftler. Memmert verweist auf Studien, die zeigen, dass beim Fußball die Mannschaft, die mehr läuft keine höhere Sieg-Wahrscheinlichkeit hat. Fortgeschrittene Leistungsindikatoren könnten die Komplexität der Spiele dagegen besser erfassen. Beim Fußball seien dies beispielsweise Werte über die Raumkontrolle, das Pressing und die überspielten Gegner mit einem Spielzug - ein Anzeichen für die Qualität des Passspiels. Diese Modelle könnten mehr über die Wahrscheinlichkeit für Sieg oder Niederlage sagen als die gelaufenen Kilometer oder die durchschnittliche Herzfrequenz.

Auch beim VfB Stuttgart werden die Positionsdaten nicht nur zur Analyse der körperlichen Verfassung der Spieler genutzt. „Eine 2-D- Animation liefert eine sehr anschauliche Übersicht über die jeweiligen Positionen der Spieler auf dem Platz“, sagt der Vereinssprecher. Das ist für taktische Belange aufschlussreich. „Man sollte Systeme nicht haben, damit man sich wohl fühlt. Man muss es auch lesen und nutzen lernen“, sagt Mislintat über die Technik.

Auch zahlreiche andere Vereine nutzen die Technologie, teilt das Unternehmen Kinexon mit. Im Fußball sind es Eintracht Frankfurt, der FC Augsburg und der FC Ingolstadt. Die Deutsche Fußball Liga (DFL) erfasst Echtzeitdaten in allen Spielen der 1. und 2. Bundesliga mit einem eigenen System. In der Basketball-Bundesliga kooperieren Brose Bamberg, Alba Berlin und der FC Bayern München mit Kinexon. Die Handball-Bundesliga stattet seit der neuen Saison sogar alle 18 Teams mit der Technik aus. Die Daten will man auch Medien und Fans zur Verfügung stellen.

Keine voreiligen Schlüsse

Memmert warnt jedoch davor, aus den einfachen Leistungszahlen voreilige Schlüsse zu ziehen. Beispiele: Der Stürmer, der in der Champions-League-Saison 2017/2018 die wenigsten Meter pro Minute zurücklegte war der fünfmalige Weltfußballer Lionel Messi. Auch Basketball-Superstar LeBron James wurde in einer Statistik im Durchschnitt als einer der langsamsten NBA-Profis ausgewiesen.

Dass die beiden deswegen zu den schlechtesten Spieler gehörten, dürfte wohl niemand vermuten. „Spielintelligenz und Kreativität sind sehr wichtig“, sagt Memmert. Damit könne man mögliche physische Defizite ausgleichen und vor allen Dingen auch Situationen besser antizipieren als andere Spieler.