Auch in diesem Jahr bleibt die Halle der Leipziger Buchmesse geschlossen – hoffentlich nicht für immer. Foto: dpa/Jan Woitas

Die zum dritten Mal abgesagte Leipziger Buchmesse droht betriebswirtschaftlichem Kalkül geopfert zu werden. Nicht nur der Buchkultur, auch der Demokratie würde damit ein Bärendienst erwiesen, kommentiert Stefan Kister.

Stuttgart - Ohne allzu große Leichtfertigkeit und einen sonst wie getrübten Geruchssinn meint man etwas wie Morgenluft zu wittern: Die Tage der großen pandemiebedingten Einschränkungen könnten bald zu Ende gehen. Umso erstaunlicher, was und wer sich diesem Gang der Dinge entgegenstemmt. Jetzt, wo Licht am Ende des Tunnels aufscheint und sich selbst in die besorgte Sprachmelodie des Bundesgesundheitsministers ein für seine Verhältnisse geradezu keck-optimistischer Nebenton schleicht, häufen sich wieder die Aufmärsche von Kritikern der Coronapolitik. Als wollten sie mit aller Gewalt festhalten, wogegen sie angeblich demonstrieren: einen Zustand, der ihnen maximale Aufmerksamkeit verschafft.

 

Doch es sind nicht nur sogenannte Spaziergänger, die offenbar mit den absehbaren Lockerungen ihre Protestfellchen davonschwimmen sehen. Auch die Geschäftsführer der großen Buchverlage scheinen sich mit aller Macht an das zu klammern, was die Pandemie ihnen beschert hat: einen willkommenen Vorwand, das literarische Leben in Deutschland ihren Bilanzen gemäß zu machen. Anders kann man die erneute Absage der Leipziger Buchmesse kaum verstehen, die auf den Tag folgte, an dem ein allseits abgesegnetes Hygienekonzept vorgestellt wurde. Rund um den Termin des 20. März, an dem fast alle Coronabeschränkungen fallen sollen, bleiben die Tore des Frühjahrstreffens der Branche verschlossen. Und anders als die beiden Jahre zuvor, ist es dieses Mal keine Entscheidung der Politik oder der Stadt, sondern von Verlagskonzernen wie Bonnier, Holtzbrinck und Random House.

Lästiger Frühjahrstermin

Das verlangt nach Erklärungen. Die drohender Personalausfälle wegen Omikron reicht nicht aus, zumal wesentlich kleinere Häuser mit deutlich geringeren Mitteln sich durchaus in der Lage gesehen hätten, die Tage in Leipzig zu bestreiten. Näher an die wahren Gründe reicht der Umstand, dass die – westdeutschen – Konzernverlage auch schon in den letzten beiden Jahren ganz vorne dabei waren, wenn es darum ging, den aus betriebswirtschaftlicher Sicht offenbar eher lästigen Frühjahrstermin in Leipzig einzusparen.

Dass sie damit massiv beschädigen, was ihre Produkte von Schraubendübeln oder Wurstdelikatessen unterscheidet, scheinen sie hinzunehmen. Eine Buchmesse ist eben nicht nur ein Umschlagplatz für Flachwaren aller Art, sondern ein Ort der Verständigung der Gesellschaft über sich selbst. Um diese Verantwortung übernehmen zu können, werden den Verlagen Privilegien wie die Buchpreisbindung zugestanden. „Verlage bereiten geistigen Schöpfungen einen Markt, sie sind Kulturvermittler und Wirtschaftsunternehmen zugleich und als solche unentbehrlich für die Entwicklung unserer freiheitlich demokratischen Gesellschaft, ihrer Grundwerte und Ideale“, heißt es vollmundig auf der Webseite des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, der in der Sache ein klägliches Bild abgibt.

Westdeutsche Arroganz

In Frankfurt wird gehandelt, in Leipzig aber entfaltet das literarische Leben seine öffentliche Strahlkraft: von „Leipzig liest“ bis zu Manga und Cosplay über alle Schwellen hinweg. Diese Aufgabenverteilung hat sich seit der Wiedervereinigung herausgebildet, bei der auch viele ostdeutsche Verlagshäuser auf der Strecke geblieben sind. Der Osten mag sich damit trösten, mit der Hauptstadt Berlin wohl über die Metropole mit der größten Autorendichte zu verfügen. Doch es wäre ein fatales Zeichen, die Leipziger Buchmesse, Ort der Begegnung und des Austauschs, unternehmerischem Kalkül zu opfern. Der freiheitlich-demokratischen Kultur würde mit diesem neuerlichen Beweis der Arroganz westdeutscher Managementetagen ein Bärendienst erwiesen.