Schon wieder keine Buchmesse in Leipzig. Der überraschende Rückzug der großen Verlage entzweit die Branche und lässt Schlimmes befürchten.
Stuttgart - Die Leipziger Buchmesse war das erste Großereignis, das vor zwei Jahren von der Pandemie vereitelt wurde. Mittlerweile finden Events wie die Berlinale wieder statt, die Fußball-Stadien füllen sich – umso überraschender die erneute Absage des traditionellen Frühjahrstreffen der Buchbranche. Das wirft Fragen auf.
Warum findet die Leipziger Buchmesse auch dieses Jahr nicht statt?
Es ist bereits das dritte Mal in Folge, dass das große Buchfest in Leipzig ausfällt. Ließ in den beiden letzten Jahren der schwere Verlauf der Pandemie und die damit verbundene Rechtslage den Veranstaltern keine andere Wahl, kamen dieses Mal von Politik und Stadt positive Signale. Doch am selben Tag, als die Messeleitung ihr Hygienekonzept vorgestellt hat, begann eine Welle von Absagen: Aufgrund der Unwägbarkeiten der Pandemie hätten sich viele Aussteller nicht mehr in der Lage gesehen, zuverlässig zu planen, sagte der Messedirektor, Oliver Zille. Darunter waren die großen Konzernverlage der Gruppen Penguin Randomhouse, Holtzbrinck und Bonnier, die ihren Rückzug mit Personalausfällen wegen Krankheit oder Quarantäne begründeten. Damit fiel die Zahl der Teilnehmer unter die Schwelle, ab der eine solche Veranstaltung repräsentativ und rentabel ist. Die Messe hätte vom 17. bis 20. März stattfinden sollen, in einer Phase also, in der das Ende fast aller Coronamaßnahmen in Aussicht steht.
Woran entzündet sich die Kritik?
Schon in den letzten beiden Jahren hatten die Großkonzerne früh auf eine Absage gedrängt. Im Raum steht der Verdacht, dass die Unternehmen nur auf einen Vorwand gewartet hätten, den in kommerzieller Hinsicht für sie weniger lukrativen Frühjahrstermin loszuwerden. Buchmessen sind für die Verlage mit hohen Kosten verbunden, denen in der Regel kein direkter Umsatz gegenübersteht. In offenen Briefen protestieren Autoren und Literaturveranstalter dagegen, dass wegen kurzsichtiger betriebswirtschaftlicher Interessen großer westdeutscher Verlage die Bedeutung der Buchkultur für das öffentliche Leben geopfert werde. Kritik kommt auch von der Kurt Wolff Stiftung, die die unabhängigen Verlage vertritt und sich bis zuletzt für die Ausrichtung der Messe eingesetzt hat. Gerade für die kleinen und mittleren Häuser ist die Plattform Leipzig von besonderer Bedeutung. Verlage hätten eine besondere Verantwortung nicht nur für ihre Bilanzen, sondern auch für die Gesellschaft. Befremden erregt, dass fast zeitgleich Messen in London und Bologna oder auch das Lesefestival Lit.Cologne in Köln stattfinden. Dem Vorwurf, man wolle Leipzig abschaffen, treten die Verlagsgruppen Penguin Random House und Holtzbrinck mit der Zusicherung entgegen, 2023 wieder Teil der Buchmesse zu sein.
Was sind Konzernverlage?
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben sich die Voraussetzungen im Verlagsgeschäft signifikant verändert. Große Verlage haben kleinere geschluckt, die unter dem Dach eines Mutterkonzerns zu sogenannten Imprints wurden. Außerdem kam es zum Zusammenschluss einiger Giganten, aus Random House-Bertelsmann und Penguin entstand der größte Verlagskonzern der Welt. In Deutschland gehören S. Fischer, Rowohlt und Kiepenheuer & Witsch zum Medienkonzern Holtzbrinck, während etwa Piper, Carlsen und der Berlin Verlag Imprints des schwedischen Buchkonzerns Bonnier sind. Doch anders als in den USA, wo kaum mehr ein Traditionsverlag sich selbst gehört, konnten Suhrkamp, Hanser, C. H. Beck oder Klett-Cotta bis heute ihre Unabhängigkeit bewahren.
Was unterscheidet die Leipziger Messe von der in Frankfurt?
Die beiden Buchmessen in Deutschland sind weltweit die größten ihrer Art. Als Aufgabenverteilung hat sich herausentwickelt, dass in Leipzig im Frühjahr eher das Publikum im Mittelpunkt steht, in Frankfurt im Herbst der Buchmarkt. Während der deutschen Teilung hat die Stadt am Main für die Branche international eine überragende Bedeutung gewonnen. Leipzig blickt als Buchstadt auf eine lange Tradition zurück, drohte nach der Wiedervereinigung jedoch in den Schatten Frankfurts zu geraten. Die Bedeutung für das ostdeutsche und osteuropäische literarische Leben wurde von westdeutschen Verlagsmanagern immer wieder mit der unterschwelligen Frage relativiert, ob es überhaupt eine zweite Messe brauche. Doch mit dem Lesefestival „Leipzig liest“ oder dem renommierten Preis der Leipziger Buchmesse ist die Stadt zu einer Bühne geworden, die in Reinkultur repräsentiert, was gerne in Sonntagsreden beschworen wird, wenn es um die zivilisierende Kraft der Literatur, des Austauschs und der Begegnung geht. Die Absage rührt an tief sitzende ost-westliche Empfindlichkeiten und Verwerfungen.
Und nun?
In einem gemeinsamen Gespräch mit dem Börsenverein des deutschen Buchhandels, der Messeleitung und Vertretern und Vertreterinnen großer Verlage wollen Kulturstaatsministerin Claudia Roth und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer offene Fragen rund um die Absage der Messe klären. Unterdessen planen Leif Greinus vom Verlag Voland & Quist und Gunnar Cynybulk, Kanon-Verlag, vom 18. bis 20. März eine Pop-up-Messe in der Kulturfabrik Werk II. Die Verleger wollen ein Zeichen für Leipzig als Stadt des Buchs setzen und gegen die Trägheit der Großen. Einfache Stände, geringer Aufwand, auch finanziell, um Publikum, Verlage und Autoren zusammenzubringen. Auch das Netzwerk der Literaturhäuser wird vor Ort sein.