Der heimlich Star der WM: Hedgehog Foto: Getty

Die Leichtathletik besteht nur aus Usain Bolt? Das ist Unfug, wie die WM in London gezeigt hat. Gesa Krause oder Luvo Manyonga und andere haben die Zuschauer ebenfalls begeistert.

London - Es gibt ja immer sehr viele Gesichter, die eine WM der Leichtathleten prägen. Meist sind es die großen Sieger, die in Erinnerung bleiben. Die noch schöneren Geschichten aber liefern nicht selten jene, die nicht auf dem Podium stehen und trotzdem eine Hauptrolle spielen.

Gesa Krause

Schluchzend stand Gesa Krause vor der Kamera – wer wollte es ihr verdenken. Nach einen unverschuldeten Sturz waren ihre Medaillenträume im Finale über 3000 Meter Hindernis jäh geplatzt. All die Entbehrungen und Trainingslager, sagte sie, seien umsonst gewesen. Das Publikum litt mit – und feierte die 25-Jährige anschließend wie eine Heldin für ihren Sportsgeist. Sie war trotz des Sturzes, bei dem sie auch noch einen Tritt auf den Knöchel und einen Schlag gegen den Kopf hatte einstecken müssen, tapfer weitergelaufen und am Ende sogar noch an drei Konkurrentinnen vorbeigezogen. Der überwältigende Zuspruch der Menschen, sagt Krause sei „unfassbar schön“ und lindert ihre Leiden: „Ich habe mich als Versager gefühlt und bin als Gewinner aus diesem Rennen gegangen.“

Ivana Spanovic

Legionen von Wissenschaftlern sind in der modernen Leichtathletik mit der Suche beschäftigt, noch ein paar Hundertstel oder Zentimeter rauszuholen. Dass es manchmal aber auch bei einer WM noch so zugeht wie auf Bundesjugendspielen, das hat das Weitsprungfinale der Frauen bewiesen. Ein weiter Satz gelang Ivana Spanovic bei ihrem letzten Versuch, die Serbin jubelte, weil sie sicher war, in den Medaillenrängen gelandet zu sein. Umso größer ihre Enttäuschung, als ihre Weite aufleuchtete: Sie war viel kürzer als vermutet. Spanovic protestierte, doch es half nichts. Sie blieb Vierte. Die Fernsehbilder belegten: Es war ihre Startnummer, mit Stecknadeln unachtsam am Trikot befestigt, die sich gelöst und noch vor der Landung Spuren im Sand hinterlassen hatte. Kleiner Tipp an den Weltverband: Man könnte doch bei der nächsten WM über die Anschaffung einer Beflockungsmaschine nachdenken.

Ielu Tamoa

Zum Thema Bundesjugendspiele passt auch Ielu Tamoa aus Tuvalu. Mit der Empfehlung einer persönlichen 100-Meter-Bestzeit von 12,73 Sekunden war der Mann aus dem Pazifik zur WM gekommen. Das würde zwar reichen, um in der ewigen deutschen Bestenliste der über 70-Jährigen Guido Müller vom TSV Vaterstetten (12,88) von der Spitze zu verdrängen. Bei den Süddeutschen Meisterschaften der 14-jährigen Mädchen in Ingolstadt aber hätte er neulich nur die Hacken von Hawa Jalloh (12,40) gesehen. Immerhin: bei der WM gelang Tamoa der Sprung in eine neue Dimension. Seine Bestzeit steigerte er um gleich sechs Zehntel auf 12,12. Das Podium der 14-jährigen Jungs in Ingolstadt hätte er damit nur knapp verpasst.

Hero the Hedgehog

Die unvermeidlichen Maskottchen großer Sportveranstaltungen spielen häufig eine sehr traurige Rolle. Mal haben sie nur ein Auge wie Wenlock und Mandeville bei den Olympischen Spielen 2012, mal hat man vergessen, ihnen einen Hose anzuziehen wie im Falle von Goleo, dem Bären bei der Fußball-WM 2006. Dass es auch ganz anders geht, hat in London „Hero the Hedgehog“ gezeigt, der heimliche Star der Leichtathletik-WM. Wer immer sich unter dem Kostüm dieses Igel-artigen Wesens verborgen haben mag – er hat einen großartigen Job verrichtet. Mit Handstandüberschlägen hüpfte er die Tribüne hinunter, hängte im Regen nasse Trikots an einer Wäscheleine auf, zog Usain Bolt die Schuhe aus und hielt sich dabei die Nase zu. Glück hatte Bolt, dass er überhaupt starten durfte. Als er vor seinem ersten Lauf „Hero the Hedgehog“ einen Klaps auf den Kopf gab, ging der wie vom Blitz getroffen zu Boden und krümmte sich. Trotz der Theatralik: im Fußball wäre die Rote Karte fällig gewesen.

Shaunae Miller-Uibo

Würde man auch im Falle von Shaunae Miller-Uibo einen Vergleich aus der Welt des Fußballs bemühen, dann müsste man sagen: Der Ball lag fünf Meter vor dem leeren Tor, und sie hat es trotzdem geschafft, meterweit vorbeizuschießen. Mit langen Schritten bog die Olympiasiegerin von den Bahamas im 400-Meter-Finale als Führende in die Zielgerade ein. Ihr Vorsprung wurde immer größer. Doch plötzlich, keine 20 Meter vor der Zielline, geschah das: Miller-Uibo geriet ins Stocken – und wurde auf den letzten Metern von drei anderen überholt. Blech statt Gold. Was war passiert? Ein Krampf? Eine Zerrung? Keineswegs. Sie habe sich, erklärte Miller-Uibo am Tag darauf, auf der Videotafel selbst laufen sehen und sei dadurch aus dem Tritt gekommen. Jetzt weiß man auch, warum in Fußballstadien die Spiele nicht gleichzeitig auf der Anzeigetafel zu sehen sind.

Luvo Manyonga

Man gönnt es Sportlern ja von Herzen, wenn sie sich nach Erfolgen auch mal ein bisschen gehen lassen. Luvo Manyonga allerdings hatte es in der Vergangenheit nicht bei einem Bierchen belassen, sondern war den Drogen verfallen. 2012 wurde der Südafrikaner, in ärmlichsten Verhältnissen aufgewachsen, positiv getestet und aus dem Verkehr gezogen. Er rutschte noch tiefer ab („Ich war in der Nähe des Todes“) – und fand durch den Sport dann doch noch einen Weg aus dem Drogensumpf. In London folgte das (vorläufige) Happy-End seiner Geschichte: Manyonga wurde mit 8,48 Metern erster afrikanischer Weltmeister im Weitsprung. Der Weltrekord, sagt der ehemalige Junkie, ist sein nächstes Ziel. Der besteht seit 1991 – doch wenn das einer schaffen kann, dann ist es Luvo Manyonga.