Ehammer und die Schweizer Leichtathletik befinden sich im Höhenflug. Foto: imago//Olaf Rellisch

Der Zehnkämpfer Simon Ehammer holt Weitsprungbronze bei der Leichtathletik-WM und träumt von weiteren Medaillen. Was die Schweiz anders macht als Deutschland.

Zehnkämpfer Simon Ehammer sorgt bei der WM in Eugene für Furore. Mit Bronze im Weitsprung (8,16 Meter) gewann der Schweizer die erste WM-Medaille eines Zehnkämpfers in einer Einzeldisziplin. Ehammer ist im Weitsprung und im Zehnkampf Weltklasse, genauso wie die Sprinterinnen Ajla del Ponte und Mujinga Kambundji, die in Belgrad über 60 Meter Hallenweltmeisterin wurde.

Ehammer war in der Halle bereits Vizeweltmeister im Siebenkampf geworden

Ehammer und die Schweizer Leichtathletik befinden sich derzeit auf der Überholspur. Mit drei Medaillen bei der Hallen-WM in Belgrad und Platz vier in der Nationenwertung erreichten die Eidgenossen eine neue Dimension. Der DLV: weit abgeschlagen. „Solche Erfolge wären früher undenkbar gewesen“, sagt Peter Haas, langjähriger Chef Leistungssport bei Swiss Athletics. Einzelne erfolgreiche Athleten gab es in der Schweiz schon immer: Werner Günthör, dreimaliger Kugelstoß-Weltmeister, Anita Weyermann, WM-Dritte über 1500 Meter 1997, Andre Bucher, 800-Meter-Weltmeister 2001. Dies waren jedoch meist Ausnahmen.

Der Aufschrei war groß, als der Schweizer Zehnkämpfer in Götzis (Österreich) mit 8,45 Meter eine Weltjahresbestleistung aufgestellt hatte. Ein Flug in die Rekordbücher. Ein Mehrkämpfer, ein Schweizer? Kaum vorstellbar. Ehammer war in der Halle bereits Vizeweltmeister im Siebenkampf geworden. Das beste Abschneiden des deutschen Teams war ein achter Platz von Maximilian Thorwirth über 3000 Meter. Bereits bei den Olympischen Spielen standen über 100 Meter mit Ajla del Ponte (10,91 Sekunden) und Mujinga Kambundji, die sich zuletzt auf sensationelle 10,89 Sekunden verbesserte, zwei Schweizerinnen im Finale.

Selbstbewusstsein und Patriotismus in der Schweizer Leichtathletik

„Die Erfolge haben uns gezeigt, dass Weltklasse für uns Schweizer machbar ist“, sagt die 30-jährige Bernerin Kambundji. Peter Haas bestätigt dies. „Die EM 2014 in Zürich war der große Meilenstein unserer aktuellen Erfolgsgeschichte“, sagt er. Diese EM leitete einen heute wirkenden Aufschwung ein. Und hierzulande? Da fand 2018 in Berlin eine überragende EM statt: fast 500 000 Zuschauer, riesiges mediales Interesse, sportliche Erfolge (20 Medaillen). Die Frage der Nachhaltigkeit liefert keine vergleichbaren Folgen wie bei den Eidgenossen.

Bemerkenswert ist der Einfluss deutscher Trainer auf die Schweizer Leichtathletik. Valerij Bauer trainierte fünf Jahre Mujinga Kambundji in Mannheim. Herbert Czingon (Mainz), lange Cheftrainer beim DLV und bei Swiss Athletics, betont das Selbstbewusstsein und die patriotische Rolle in der Schweizer Leichtathletik. Patrick Saile (Pliezhausen/Sindelfingen), seit dem Vorjahr Schweizer Nationaltrainer im Sprint, der in seiner Züricher Trainingsgruppe die bobfahrende Sprinterin Alexandra Burghardt an die Weltklasse herangeführt hat, macht einen besonderen Geist in der Schweizer Szene aus. „Wir Trainer pushen uns, aber wir gönnen uns gegenseitig etwas und sind nicht auf Egotrips“, sagt der 34-Jährige aus dem Remstal.

Ehammer hat ambitionierte Ziele für die EM und Olympia

Einen besonderen Stellenwert in der Nachwuchsförderung nimmt der UBS-Kids-Cup ein. Eine Million Franken fließt von Weltklasse Zürich in dieses Programm, an dem rund eine Million Kinder und Jugendliche teilgenommen haben. „Simon Ehammer zählt zur ersten Generation Kids-Cup-Kinder, die jetzt in der Weltklasse angekommen sind“, sagt Peter Haas. Während der Kids-Cup eine Initialzündung geworden ist, hat der Wettbewerb „Jugend trainiert für Olympia“ hierzulande seine Attraktivität eingebüßt und ist immer weniger ein Sprungbrett für Talente geworden.

Wo führt der Weg der Schweizer Leichtathletik auf der derzeitigen Überholspur hin? „Wir werden alles dafür tun, den Höhenflug fortzusetzen“, sagt Weltklasse-Chef Christoph Joho. Ehammer könnte dabei eine wesentliche Rolle einnehmen. Das Selbstbewusstsein des 22-Jährigen ist mit den Erfolgen schnell gewachsen. Er denkt groß. Bei der EM in München will er eine Medaille im Zehnkampf holen und bei den Olympischen Spielen gar im Zehnkampf und im Weitsprung auf das Podest – so sein Traum, sagt der Appenzeller, Träume müssten schließlich größer sein als die Realität, meint er.