Der 100-Meter- Fabelweltrekord von Usain Bolt aus dem Jahr 2009 ist noch immer gültig. Foto: dpa/Nietfeld

Wer wird nach dem Karriereende des Jahrhundertsprinters Usain Bolt der neue Superstar der Leichtathletik? An Weltklasseleuten besteht kein Mangel – doch bedarf es im modernen Sport mehr als guter Leistungen, um zum Gesicht einer Sportart zu werden.

Stuttgart - Es ist ruhig geworden um den Mann, der zu den größten Athleten der Sportgeschichte zählt. Zehn Jahre ist es her, dass Usain Bolt die 100 Meter auf der blauen Tartanbahn des Berliner Olympiastadions in der Fabelweltrekordzeit von 9,58 Sekunden hinter sich brachte und die erste von elf WM-Goldmedaillen gewann. Acht Olympiasiege feierte der Jamaikaner außerdem, ehe seine einzigartige Karriere 2017 in London mit einem Muskelfaserriss in der Staffel zu Ende ging.

Wen könnte es wundern, dass seine anschließenden Versuche als Fußballprofi in Australien von weniger Erfolg gekrönt waren und auch die Expansionspläne seiner Fast-Food-Kette in Jamaika ins Stocken geraten sind?

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In diesen Tagen ist Usain Bolt (33) in seiner alten Welt, der Leichtathletik, wieder sehr präsent. Denn wenn am Freitag die WM in Doha eröffnet wird, beginnt gleichzeitig eine neue Zeitrechnung: Zum ersten Mal seit 2005 in Helsinki fehlt in den WM-Starterlisten der Name des Jahrhundertsprinters, der im Gegensatz zu den meisten Konkurrenten nie des Dopings überführt wurde. Die Leichtathletik muss ohne ihre Lichtgestalt auskommen – die Lücke, die sie hinterlassen hat, könnte größer kaum sein.

„Ich habe den Sport auf ein neues Niveau gehoben“

Bolt hat nicht nur unzählige Medaillen gewonnen – er hat der Leichtathletik zuvor nicht gekannte Popularität beschert. Bescheiden wie er ist, formulierte Bolt während Olympia 2016 in Rio seine Bedeutung mit diesen Worten: „Ich habe den Sport aufregend gemacht, die Menschen dazu gebracht, uns zuzuschauen. Ich habe den Sport auf ein neues Niveau gehoben.“

Und jetzt? Wie soll es weitergehen?

Sebastian Coe, der Präsident des Leichtathletik-Weltverbands IAAF, vergleicht Bolts Karriereende mit dem Rücktritt von Muhammad Ali. Wie damals das Boxen werde auch die Leichtathletik nicht mehr die gleiche sein – „denn solche Figuren haben eine gewaltige Wirkung, auch über den Sport hinaus“, sagte der Brite diese Woche in einem Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung“. Bange sei ihm mit Blick auf die vielen jungen, hochtalentierten Leichtathleten dennoch nicht: „Unsere Herausforderung ist es, ihnen zu helfen, zu Figuren zu werden.“

Der junge Stabhochspringer Armand Duplantis greift den Weltrekord an

An jungen Weltklasseathleten fehlt es tatsächlich nicht. Da ist etwa der schwedische Wunder-Stabhochspringer Armand Duplantis (19), der 2018 in Berlin mit großartigen 6,05 Meter Europameister wurde und angekündigt hat, in naher Zukunft den Weltrekord des Franzosen Renaud Lavillenie (6,16) zu knacken. Oder der Kubaner Juan Miguel Echevarría (21), dem vergangenes Jahr in Stockholm (bei minimal zu starkem Rückenwind) mit 8,83 Metern der weiteste Satz eines Weitspringers seit 24 Jahren gelang. Oder aber der Norweger Jakob Ingebrigtsen (19), der seit frühester Jugend alles in Grund und Boden läuft und das Kunststück vollbrachte, Doppeleuropameister über 1500 und 5000 Meter zu werden.

Sie alle haben das Potenzial, ihre Disziplinen auf Jahre hinaus zu dominieren. Doch weiß auch Coe, dass im modernen Sport Topleistungen alleine nicht genügen, um zum Gesicht einer Sportart zu werden: „Sport ist unsere Betätigung, aber unser Geschäft ist Unterhaltung.“

Karsten Warholm – der Spaßvogel mit dem Wikingerhelm

Karsten Warholm (23) gehört zu jenen, die dies früh verinnerlicht haben. Das WM-Gold 2017 in London über 400 Meter Hürden feierte der charismatische Norweger mit Wikingerhut und beeindruckender Schlagfertigkeit. Allerdings sind es traditionell die Sprinter, die als die schnellsten Menschen der Welt das Publikum am meisten in ihren Bann ziehen.

Buhrufe gab es in London, als der mehrfach überführte Dopingsünder Justin Gatlin (37) mit seinem Sieg über 100 Meter die Nachfolge von Usain Bolt antrat. Noch schneller als der Weltmeister, der auch in Doha am Start ist, war in diesem Jahr nur sein US-Landsmann Christian Coleman (23), der als heißer Titelkandidat gilt. Doch geht er nach drei verpassten Dopingtests auch er stark vorbelastet ins Rennen.

Der US-Sprinter Noah Lyles ist ein begnadeter Entertainer

Zum neuen Star der Sprinter könnte daher WM-Debütant Noah Lyles (22) werden, mit einer Bestzeit von 19,50 Sekunden großer Favorit über 200 Meter. Der Vorteil des Profiläufers aus Florida: Er ist nicht nur schnell und (bislang) frei von Dopingskandalen – er ist auch ein begnadeter Entertainer. Lyles rappt, tanzt, trägt schrill-bunte Socken – und hat wie Bolt schon eine eigene Jubelpose entwickelt. Sie soll zu seinem Markenzeichen werden.