Die Sportlerinnen sind immer mehr im Fokus der Kameras. Foto: AP/Morry Gash

Neuerungen sollen den Leichtathletiksport für das Publikum attraktiver machen – die WM in Doha aber torpediert alle Mühen.

Doha - Ein Saunatuch um die Hüften gewickelt versuchte Gina Lückenkemper die Schmach möglichst zügig abzuhaken. Auf dem letzten Platz war sie in enttäuschenden 11,30 Sekunden in ihrem Halbfinale über 100 Meter gelandet, was in der Gesamtwertung der Leichtathletik-WM in Doha nur Rang 20 bedeutete. „Das ist natürlich scheiße“, sagte die Vizeeuropameisterin so kurz wie bündig.

Einen Achtungserfolg konnte Gina Lückenkemper trotzdem erringen. Kurz vor ihrem verkorksten Halbfinallauf gab der Weltverband IAAF bekannt, dass die Protestnote des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV) ihre Wirkung nicht verfehlt hatte: Die umstrittenen neuen Kameras in den Startblöcken schicken fortan nur noch genau ausgewählte Bilder um die Welt. Heißt: die Aufnahmen der sogenannten „Upper Cameras“ werden erst nach draußen übertragen, wenn die Athletinnen bereits im Startblock sitzen und nur noch ihre Gesichter zu sehen sind. Nach spätestens 24 Stunden, auch dies wurde nachträglich beschlossen, müssen sämtliche Aufnahmen vom Server unwiderruflich gelöscht werden.

Vor allem Lückenkemper war es gewesen, die sich zuvor massiv über die Nahaufnahmen empört hatte. Als „sehr unangenehm“ empfand es die 22-Jährige verständlicherweise, „in den knappen Sachen über diese Kamera zu steigen, um in den Block zu gehen“. Es könne doch nicht sein, „dass man uns in den Schritt filmt“.

Innovation wird zum Rohrkrepierer

Als zündende Idee hatte es die IAAF kurz vor der WM gefeiert, nach einjähriger Planungsphase dem Fernsehpublikum vor den 100-Meter-Rennen und Hürdensprints beider Geschlechter eine ganz neue Perspektive der Athleten zu liefern. Zum Rohrkrepierer wurde die Innovation nicht nur wegen der Beschwerden der von der Neuerung überraschten Sprinterinnen. Von sehr überschaubarem Erkenntnisgewinn sind die Bilder, auf denen häufig Haare, Goldkettchen oder Beine die Gesichter der Athleten verdecken.

Wohlwollend betrachtet könnte man sagen: Zumindest haben die Strategen vom Leichtathletik-Weltverband um Präsident Sebastian Coe endlich einmal etwas Neues probiert, um die olympische Traditionssportart attraktiver und moderner zu machen und mehr öffentliche Aufmerksamkeit zu erzeugen. „Die Meisterschaften werden sich ändern müssen“, sagte Coe vor dem WM-Auftakt. Man könne dem Publikum nicht mehr einfach das anbieten, „was wir vor 60 Jahren schon gezeigt haben“. In Doha feierte daher neben der neuen Kamera auch die 400-Meter-Mixed-Staffel ihre Premiere, zudem werden die Mehrkämpfe der Frauen und Männer erstmals parallel ausgetragen. Diese WM, sagte Coe, „war eine Gelegenheit, Innovationen voranzutreiben“.

Streit um Austragungsort

Doch helfen solche Schönheitskorrekturen rein gar nichts, wenn Diskussionen um die eklatanten Defizite des Austragungsorts alle gut gemeinten Bemühungen zunichte machen. Immer brutaler tritt zu Tage, dass diese Wüsten-WM eine noch viel größere Schnapsidee war als die Kameras in den Startblöcken. Es sind nicht die Bilder fröhlicher Spiele, die um die Welt gehen, sondern der Bilder der in der Hitze kollabierenden Athleten und der menschenleeren Ränge im Stadion. Zum PR-Desaster ist diese WM, die doch eigentlich Werbung für die Leichtathletik machen sollte, schon jetzt geworden.

Man müsse in solchen Fällen vorsichtig sein und dürfe „nicht immer mit dem Finger auf andere zeigen und ihnen verbieten, eine WM auszurichten“, sagt Gina Lückenkemper: „Auch andere Nationen haben das Recht auf seine solche Veranstaltung, egal wie warm oder kalt es dort ist.“ Sie mag mit diesem Vorwurf grundsätzlich nicht Unrecht haben – im Falle von Katar aber zielt er ins Leere. Ganz offensichtlich gibt es in dem nur 2,7 Millionen Einwohner zählenden Land keine neuen Zielgruppen, die durch eine WM von der Leichtathletik begeistert werden könnten. Sonst hätte das 100-Meter-Finale der Frauen nicht vor so dramatisch leeren Rängen stattfinden müssen. Mitleid bekommt man mit den Athleten aus aller Welt, die sich monatelang vorbereitet hatten – und im Khalifa-Stadion fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit um Medaillen und Bestleistungen kämpfen.

Immerhin ein klein wenig Stimmung kam am Sonntag trotz der trostlosen Kulisse bei der Mixedstaffel auf. Der erstmalige und daher gänzlich ungewohnte Wettlauf zwischen Mann und Frau schaffte es, das Publikum zumindest vorübergehend aus seiner Lethargie zu reißen. Wenigstens dieses neue Weltmeisterschaftsformat darf also als Bereicherung betrachtet werden – und freut nicht zuletzt die Veranstalter: Sie ließen sich die Gelegenheit nicht entgehen, euphorisch die Weltrekorde zu bejubeln, die bei der Erstauflage ganz zwangsläufig aufgestellt wurden.

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