Bot den 12601 Zuschauern in der Berliner O2-World ein Spektakel: der Franzose Renaud Lavillenie Foto: dpa

Renaud Lavillenie springt beim Leichtathletik-Hallenmeeting in Berlin in einer eigenen Liga und holt mit der Jahresweltbestleistung von 6,02 Metern den Sieg. Weltmeister Raphael Holzdeppe überrascht ebenfalls – mit der kurzfristigen Absage seines Starts.

Berlin - Als Renaud Lavillenie im dritten Versuch den Weltrekord anpeilte, hielt es niemanden mehr auf seinem Sitz. Die 12 600 Zuschauer verwandelten die Halle in einen Hexenkessel und feuerten den Olympiasieger mit lauten Rufen und rhythmischem Klatschen noch einmal ekstatisch an. Es reichte nicht. Der Stabhochspringer aus dem französischen Clermont-Ferrand hatte zwar die Höhe von 6,17 Metern, riss die Latte aber mit dem Knie. Nach der Landung raufte sich Lavillenie kurz die Haare, dann wich die Enttäuschung der Freude – er springt in höheren Sphären, und er jubelte über seine Jahresweltbestleistung von 6,02 Metern. „Ich bin total glücklich, es war ein super Wettkampf“, sagte Lavillenie, „das Resultat ist für mich eine große Freude, eine riesige Motivation.“

Erstmals in seiner Karriere benötigte der 28 Jahre alte Ausnahmeathlet nur drei Sprünge, um nach 5,73 m und 5,93 m die Sechs-Meter-Marke zu überqueren. Dass er danach dreimal scheiterte, seinen eigenen Weltrekord (6,16 m) zu überbieten, konnte der Ausnahmeathlet verschmerzen: „Ich bin überhaupt nicht enttäuscht. Ich habe gerade eine wirklich gute Dynamik drauf. Aber bei Sprüngen ab 6,15 Metern kommt es auf jedes kleine Detail an – da muss einfach alles stimmen.“ Zweiter wurde der Pole Robert Sobera (5,81 m), Dritter Lavillenies jüngerer Bruder Valentin (5,73). Als bester deutscher Teilnehmer landete Carlo Paech (5,65) auf Rang fünf. Der 22-Jährige aus Leverkusen erfüllte damit zum zweiten Mal die Norm für die Hallen-EM von 6. bis 8. März in Prag.

Davon ist Raphael Holzdeppe derzeit weit entfernt. Eigentlich hatte der Weltmeister die Veranstaltung der World Challenge, eine Serie von 14 hochkarätig besetzten Meetings, nutzen wollen, um vor der deutschen Hallen-Meisterschaft am kommenden Wochenende in Karlsruhe unter Wettkampfbedingungen in Form zu kommen. Doch der 25-Jährige vom LAV Zweibrücken verzichtete kurzfristig auf seinen Start, nachdem es beim Einspringen nicht gut gelaufen war. Es ergebe keinen Sinn, ließ er durch Meeting-Moderator Wolf-Dieter Poschmann ausrichten. Die Zuschauer waren freundlich und spendeten warmen Applaus.

Holzdeppe selbst wollte nicht reden. Nach der Vorstellung der Athleten setzte er sich stattdessen auf das blaue Ledersofa im Innenraum der Arena, aß eine Banane und beobachtete die ersten Sprünge seiner Kollegen. Sein Blick wirkte traurig und gequält. Der Weltmeister steckt in einer tiefen Krise. Im Sommer 2013 hatte er Renaud Lavillenie in Moskau noch überraschend die Show gestohlen und mit 5,89 Metern die WM-Goldmedaille gewonnen – als erster deutscher Stabhochspringer überhaupt.

Doch während der Franzose die Leichtathletik-Welt danach mit grandiosen Flugeinlagen verzückte und dem Ukrainer Sergej Bubka im Februar 2014 in Donezk den Weltrekord abnahm, stürzte Holzdeppe rasant ab. Erst fehlte er lange wegen einer Rückenverletzung, dann brach er die Sommersaison schon im Juli wegen anhaltender Formschwäche ab. Im Herbst wechselte er den Trainer. Unter seinem alten Coach Andrej Tiwontschik will er in seiner Heimatstadt Zweibrücken das Gefühl fürs Fliegen wiederfinden. Das Seuchenjahr sei abgehakt, sagte er zuletzt, er wolle den Blick nach vorn richten, „einfach nur Spaß haben und gute Sprünge zeigen“.

Anfang Januar feierte er sein Comeback in Merzig. Der Leichtathlet des Jahres 2013 übersprang 5,20 Meter und verkündete: „Ich denke, dass der Wettkampf geholfen hat, um gut in die Saison hineinzukommen.“ Es war offenbar ein Trugschluss. Vergangene Woche in Dessau kam er nicht über die Einstiegshöhe von 5,21 Metern hinaus. In Berlin bewahrte Holzdeppe sich selbst vor dieser Blamage.