Armand Duplantis fliegt über die Stange – und das hat Folgen: Stolz präsentiert der neue Star der Szene seine Rekordmarke. Foto: AFP/Lukasz Szelag, dpa/Aleksandra Szmigiel

Der Stabhochspringer Armand Duplantis knackt den Weltrekord und verzückt mit seinen 20 Jahren die Sportszene. Mit einem Besenstiel fing einst im Wohnzimmer alles an.

Stuttgart - Für ein paar Sekunden schien der 20-jährige Schweden-Amerikaner Armand Duplantis die Gesetze der Schwerkraft außer Kraft zu setzen. Mit drei Sekunden Anlauf und einem Flug von drei Sekunden vollzog er im polnischen Torun einen Quantensprung, steigerte seine Bestleistung um zwölf Zentimeter. Mit 6,17 Meter entriss das Wunderkind dem Franzosen Renaud Lavillenie seinen sechs Jahre alten Weltrekord (6,16 Meter). Fassungslosigkeit und Jubel herrschen seitdem in der Leichtathletik. „Wie kann man diesen Traum beschreiben“, sagte der neue Weltrekordler ungläubig. Schon in absehbarer Zeit könnte Duplantis auch die Mauer von 6,20 Meter einreißen. Nur der Himmel als Barriere.

Armand Duplantis ist der neue Superstar der Leichtathletik. Der Mann, der wie Usain Bolt mit seinen 9,58 Sekunden im Sprint die Grenzen sportlicher Leistung mit dem Stab entrückt hat. Duplantis bringt den Glanz, nach dem der Sport lechzt. Mit insgesamt 35 Weltrekorden war Sergej Bubka 15 Jahre lang der Dominator im Stabhochsprung, Lavillenie eine weitere Dekade. „Toller Job, spring noch höher“, twitterte Sergej Bubka. In Torun hat das nächste Zeitalter mit dem Glasfiberstab begonnen.

Unbändiger Jubel

Mit ausgestreckten Armen und einem unbändigen Jubelschrei war der Student wie ein fliegender Adler in den Armen seiner Mutter gelandet. Duplantis kommt aus einer sportverrückten Familie. Vater und Mutter waren Weltklasse. Der Stabhochsprung liegt dem neuen Weltrekordler in den Genen. Der Vater sprang 5,80 Meter, die Mutter war Siebenkämpferin, alle drei Geschwister versuchten sich mit dem Stab. Weil Mutter Helena von Schweden in die USA auswanderte, konnte Duplantis die schwedisch-amerikanische Doppelstaatsbürgerschaft annehmen. Armand Duplantis entschied sich für einen Start im Trikot Schwedens, weil er so den harten US-Trials vor Meisterschaften entgehen wollte. Ein Geschenk für die Schweden, die zuletzt 2008 mit Susanna Kallur im Hürdenlauf und Kajsa Bergqvist im Hochsprung Weltrekordler in ihren Reihen hatten.

Bereits mit vier Jahren begann diese spektakuläre Geschichte der Leichtathletik. Mit einem Besenstiel sprang der kleine Hüpfer im Wohnzimmer auf das Sofa. Vater Greg bastelte systematisch an der Karriere des Sohnes, der mit 13 Jahren bereits sieben Altersklassen-Weltrekorde aufgestellt hatte. Mit 15 schaffte er bereits 5,30 Meter, als 18-Jähriger übersprang er unvorstellbare 6,05 Meter. Mit 20 bestieg er in Torun den Stabhochsprung-Thron.

2018 kam der Durchbruch

Seinen Durchbruch feierte Duplantis 2018 bei der EM in Berlin, als er 60 000 Zuschauer geradezu entzückte und jüngster Europameister wurde. In Doha wurde er hinter Sam Kendricks Vize-Weltmeister im vielleicht besten Wettbewerb, den es jemals gab. „Tiger Woods des Stabhochsprungs“ nannten sie den 1,81 Meter und 79 Kilo schweren Überflieger danach in den USA. Zwei Dinge zeichnen ihn aus. „Mit einer Geschwindigkeit von 10 Meter pro Sekunden (entspricht 36 Kilometer pro Stunde) ist Duplantis mit Abstand der schnellste Stabhochspringer, er kann ohne Stab 10,5 Sekunden auf 100 Meter rennen“, sagt Herbert Czingon, jahrelang Bundestrainer. Einzigartig sei aber auch die extrem frühe Beschäftigung mit Disziplin und Technik. „Erfahrung ist im Stabhochsprung ein ganz entscheidendes Kriterium“, weiß Czingon, und davon habe Duplantis trotz seiner erst 20 Jahren schon erstaunlich viel.

Der Weltrekord von Duplantis ist auch ein Werk der Disziplin. Die Stabhochspringer sind wie Artisten unter einer Zirkuskuppel. Sie sind Konkurrenten, aber keine Rivalen, beeindrucken mit ihrem kollektiven Auftreten. Sie pushen sich im Wettbewerb gegenseitig und profitieren gemeinsam von ihren Leistungen, auch wenn der Zweitplatzierte bei einer WM nur noch die Hälfte der 60 000 Dollar Siegprämie erhält. Die Konkurrenten trugen Duplantis nach seinem Weltrekord in Torun auf Schultern von der Anlage.

Ein neues Geschenk?

Als Junge hatte Armand Duplantis das Bild von Renauld Lavillenie in seinem Zimmer hängen. „Er war mein ganz großes Vorbild, seine Unterstützung auf dem Weg zum Weltrekord war phänomenal“, zeigt er sich vom Franzosen inspiriert und begeistert. Jetzt hat er ihm den Weltrekord entrissen und ihn in die zweite Reihe geschickt. Die Gesetze des Sports. „Ich wollte immer alle Goldmedaillen gewinnen, die es gibt“, sagte Duplantis, „aber das größte, nein, das allergrößte Ziel war dieser Weltrekord“.

Am Wochenende in Glasgow, am 19. Februar in Lievin und vier Tage später beim Meeting von Lavillenie in Clermont Ferrand wird Duplantis wieder starten. Mit einem Geschenk für sein Vorbild?