Er war nicht nur einer der berühmtesten Kolumnisten Deutschlands, sondern genoss auch in der Branche Kultstatus. Jetzt ist Franz Josef Wagner im Alter von 82 Jahren gestorben.
Am Zeilengeld wird der Unterschied zwischen einem jungen Journalisten und Franz Josef Wagner vielleicht am deutlichsten; diese für freie Journalisten übliche Vergütung, die sich eben an der Zeile in der gedruckten Zeitung bemisst. Eilte man selbst als Nachwuchsreporter auch an Wochenenden von Termin zu Termin und schrieb ganze Seiten voll, wurde besonders augenscheinlich, dass da in Berlin beim Axel-Springer-Verlag einer saß, der seinen Lebensunterhalt mit drei Absätzen am Tag bestritt – und vermutlich deutlich höherem Salär: der Star-Kolumnist Franz Josef Wagner.
Wochentags immer auf der Seite 2 des Boulevardblatts „Bild“, arbeitete sich der Ausnahmeschreiber in seiner Kolumne „Post von Wagner“ in wenigen Worten an prominenten Persönlichkeiten ab, wobei er mit zunehmendem Alter milder wurde. Waren diese Worte, die auf einen Bierdeckel passten, wirklich so viel mehr wert als die eigenen?
Dem Axel-Springer-Verlag waren sie es. Wagner, der das Schreiben auch im hohen Alter nicht lassen konnte oder wollte oder beides, habe bei Springer „Gott-Status“ genossen, wie ehemalige Mitarbeiter des Hauses übereinstimmend erzählen. Als nahbar habe er zumindest in seiner Zeit als Kolumnenschreiber bei jüngeren Kollegen nicht gegolten. Nur ab und an ließ er sich auf einer Party blicken: „Man hatte das Gefühl, einem Star zu begegnen.“ Auch dort habe er meistens geraucht wie ein Schlot. Filterlose Gitanes, eine ausgefallene französische Marke.
Kolumnen per Telefon diktiert
Wie die Kolumne täglich in die „Bild“ kam, darum ranken sich Mythen. In einem bitterbösen wie brillanten Text des RTL-Autoren Jens Oliver Haas stellt sich dieser bildhaft vor, wie Wagner auf seine Gedanken kommt. Der Text beginnt so: „Berlin, 16.15 Uhr: Franz Josef Wagner wirkt erfrischt, nach fünf Stunden komatösem Schlaf. Das Sodbrennen ist heute mal erträglich, und die Stimmen im Kopf schweigen noch.“
Auf Umwegen, über französischen Landwein, der ins Weißbierglas gegossen wird und einem am Ende ohnmächtigen Wagner wird eine Kolumne schließlich von der Putzfrau vollendet. Das ist natürlich alles komplett erfunden. Der Text trifft aber gut, wie der durchaus verlebt wirkende Wagner theoretisch hätte arbeiten können: völlig von den Regeln der Arbeitswelt entrückt.
Näher an der Wahrheit dran dürfte die Legende sein, dass Wagner seine Kolumnen ins Springer-Hochhaus reintelefonierte. Ob das wirklich stimmt, ist ebenfalls unbelegt, aber die Vorstellung, dass einer wie Wagner seine Texte artig ins Redaktionssystem tippt wie jeder andere Mitarbeiter des Medienhauses, wäre doch etwas profan.
Kein Adjektiv zu viel
Auch wenn sein Kolumnen-Vermächtnis den Eindruck erweckt, Franz Josef Wagner hätte im Leben nie etwas anderes gemacht, als seine Momenteindrücke von Menschen von der Leber weg aufzuschreiben und sich dafür feiern zu lassen, begann sein Leben weniger schillernd. Wagner wurde während des Zweiten Weltkriegs im Protektorat Böhmen und Mähren geboren. Als Vertriebene landete die Familie später in Regensburg. Nach seiner Ausbildung bei der „Nürnberger Zeitung“ arbeitete er zunächst als gewöhnlicher „Bild“-Reporter in München, später als Kriegsreporter.
Wagner wechselte zeitweise zur Illustrierten „Bunte“ und danach zur „B.Z. am Sonntag“, wo er unter anderem Chefredakteur war – jedoch von Wegbegleitern nie als besonders guter Chef beschrieben wurde; seine Stärken lagen woanders. 2001 kehrte er als Chefkolumnist zur „Bild“ zurück und verfasste die erste Ausgabe „Post von Wagner“ – an Altkanzler Gerhard Schröder gerichtet.
Sein für jedermann verständlicher, bisweilen über die Schmerzgrenze hinaus pointierter Stil brachte ihm den Beinamen „Gossen-Goethe“ ein. Die Sätze sind kurz, aufs Wesentliche reduziert, kein Adjektiv zu viel. Selbst einfache Relativsätze vermied er, wo es nur ging. Wagner lobte dabei Personen des öffentlichen Lebens wie Angela Merkel während der Flüchtlingskrise und kritisierte sie Jahre später, nachdem Kritik an der Migrationspolitik im Diskurs lauter wurde, immer dem Zeitgeist folgend. Dafür hatte er ein Gespür wie nur wenige. Merkel hat ihm die Spitzen offenbar verziehen: Laut „Bild“ gratulierte sie Wagner noch zu seinem 80. Geburtstag.
Poet oder Populist?
Was Wagner geschaffen hat, war vielleicht eine eigene Stilform – andere Kolumnisten, auch die Guten, brauchen viel mehr Platz, um sich mitzuteilen. Wagners Texte lesen sich manchmal wie kleine Gedichte, die sich nicht reimen. Ob man ihm nun einen Poeten sieht oder einen Populisten, und auch dafür lässt sich mit Blick auf die starken Vereinfachungen in seinen Texten argumentieren. Doch kannte er selbst dann, wenn die häufig zurecht kritisierte „Bild“ Phasen des Rechtsdralls durchmachte, keine Lager. Kritisierte auch diejenigen, die selbst auf populistischen Pfaden wandelten, schmähte Hubert Aiwanger nach dessen Flugblattaffäre einmal als „Bierzelt-König“. Einen wie ihn wird es wahrscheinlich nie wieder geben. Zumindest wird sich sich kaum ein Verlagshaus mehr so einen leisten.
Franz Josef Wagner ist mit 82 Jahren gestorben. Der Springer-Verlag teilte am Dienstag mit, dass er im Berliner Franziskus-Krankenhaus eingeschlafen ist.