Ein Heim für Tiere: 1890 wurde in Giengen die erste Steiff-Fabrik gebaut. Foto: Triple A//Florian Generotzky

Kinderkram oder doch Weltkulturerbe? Das Geschäftsmodell Teddybär hat sich für die Giengener Margarete Steiff GmbH jedenfalls bestens bewährt. Mit cleveren Strategien hat die Spielzeuglegende ihren Nimbus gepflegt – aber was passiert, wenn die Jugendzimmer noch digitaler werden? Ein Besuch im umsatzstärksten Streichelzoo der Welt.

„Das wird später einmal der Po des Teddys.“ Mit ruhigen Händen hält die Schneiderin ein ovales Stoffmuster in die Höhe und vergleicht es prüfend mit einer Designvorlage. Nach und nach schneidet sie gemäß deren Vorgabe Einzelteile aus einem braunen Stück Mohairstoff – bis auf dem Arbeitstisch vor ihr schließlich die Umrisse eines Teddybären entstehen.

 

Der Beginn eines Stofftierlebens. „Jetzt nähe ich alle Teile zusammen, und das ergibt die Hülle des Bären. Die beweglichen Gliedmaßen und das Gesicht werden später hinzugefügt“, erklärt sie. Ein paar Stationen weiter hat der Teddy diesen Prozess bereits hinter sich. Mit Glasaugen und Stoffnase versehen sitzt er auf dem Tisch einer anderen Mitarbeiterin und wartet geduldig auf sein Feintuning.

Mit einem Zackenkamm streicht die Frau kritisch durch das Fell in seinem Gesicht, hält ihn dann eine Armlänge weit von sich weg und begutachtet konzentriert die Frisur des Stofftiers. Dann greift sie zu einer Schere und trimmt vorsichtig die letzten abstehenden Barthaare. Jeder Bär, der die Steiff-Manufaktur in Giengen an der Brenz verlässt, so beteuert das Unternehmen, wird so zu einem Unikat. Von hier aus starten die Tiere mit dem Knopf im Ohr so behütet in die Welt, dass man schnell einmal vergessen kann, dass Kuscheltiere, die auf dem globalen Markt verkauft werden, heutzutage eigentlich in großen Fabrikhallen von Maschinen gefertigt werden.

Sonderedition für den Buckingham Palace

Wie durch die Zauberkugel der längst abgesetzten „Mini Playback Show“ tritt man auf dem historischen Steiff-Konzerngelände in eine Welt, in der die Zeit stillzustehen scheint. In den Gebäuden, die teils aus dem frühen 20. Jahrhundert stammen, werden die exklusiven Stofftiere zum großen Teil in minutiös ausgearbeiteten Schritten per Handarbeit gefertigt. In lang gezogenen Räumen werden so Geschichten und Lebensgefühle zu Produkten: In Kisten gestapelt liegen Teddybären mit royalen Umhängen dicht aneinander gedrängt und starren an die Decke – eine Sonderedition für den Buckingham Palace in London. Geht man an den Gebäuden vorbei, blicken zahlreiche Stofftiere durch die milchigen Glasscheiben zu einem hinaus. Es ist die Deko für die Weihnachtsschaufenster internationaler Kaufhäuser, die hier zwischengelagert wird.

Das Museum öffnete 2005. Foto: Triple A//Florian Generotzky

Doch so verzaubert die Manufaktur auf den ersten Blick auch wirken mag, ganz wahr ist die Geschichte des Weltkonzerns, der allein von einem kleinen Ort im östlichen Baden-Württemberg aus Stofftiere in die größten Kaufhäuser der Welt liefert, heute natürlich nicht mehr. Die gesamte globale Produktion des Unternehmens lässt sich im beschaulichen Giengen schon lange nicht mehr stemmen. Seit über 40 Jahren unterhält Steiff daher zusätzlich eine Produktionsstätte in Tunesien, Anfang des Jahres gründete das Unternehmen die Steiff Asia Ltd. mit Sitz in Hongkong, die nun die Präsenz und Vermarktung der Produkte im asiatischen Raum vorantreiben soll. Aus Kostengründen hatte man zuvor schon einmal versucht, einen Teil der Produktion nach China auszulagern. Doch nach einigen Jahren trat das Unternehmen hier den geordneten Rückzug an. Der Grund: Den Qualitätsunterschied sah man den Stofftieren an.

Wie man Märchen weiterschreibt

Der Geschwindigkeit globaler Märkte zum Trotz ist es dem Familienunternehmen wichtig, seiner Vision treu zu bleiben: Bei Steiff legt man Wert auf Handwerkskunst – und steht so für die Qualität der produzierten Stofftiere ein. Für Konsumentinnen und Konsumenten ist der Fokus ein Versprechen – und doch zugleich eine Marketingstrategie. „Für uns ist es wichtig, dass unsere Kundinnen und Kunden sich darauf verlassen können: Wenn sie ein Steiff-Tier kaufen, bekommen sie höchste Qualität. Eine schiefe Nase oder einen Fehler in der Verarbeitung wird man bei uns nicht finden“, erklärt Frank Rheinboldt, der seit 2023 an der Spitze des Unternehmens steht. „Der Steiff-Teddybär ist nicht der günstigste – aber dafür hat er zahlreiche Attribute: Qualität, Design und die Tradition, für die wir stehen.“

Dieser Weg zeichnete sich bereits im späten 19. Jahrhundert ab, als die Marke Steiff gerade erst aus ihren Kinderschuhen herauszuwachsen beginnt. 1893 meldet Margarete Steiff ihr Unternehmen, damals noch eine Filzwarenfabrik, erstmals offiziell in den öffentlichen Registern an. Bereits kurze Zeit später schafft sie den Sprung ins internationale Business: Seit 1895 werden ihre Stofftiere im Londoner Luxuskaufhaus Harrods verkauft – und das bis heute fast ohne Unterbrechung. Einige Jahre später wird der Teddybär dann auch zum Verkaufsschlager auf dem amerikanischen Markt und ringt dem Unternehmen so endgültig den internationalen Durchbruch. Aus der kleinen Filzwarenfabrik wird 1907 ein Betrieb mit 400 Mitarbeitenden, der innerhalb eines Jahres knapp eine Million Teddybären produziert. Diese Erfolgsgeschichte sollte eine beachtliche Weile andauern: Es folgen mehrere Designkooperationen mit Branchenriesen wie Disney und Modeikonen wie Karl Lagerfeld – und schließlich die Ausweitung des internationalen Absatzraums.

Frank Rheinboldt, Steiff-Chef seit 2023, war früher unter anderem bei Marc Cain und Escada. Foto: Triple A/Florian Generotzky

Heute können Menschen in über 50 Ländern Steiff-Produkte kaufen. All das klingt auf dem Papier fast wie die Titelstory eines Hochglanzmagazins. Doch wie schreibt man eine Geschichte, die mit einem so glorreichen „Es war einmal“ beginnt, eigentlich im Jetzt weiter? Der Spagat zwischen dem Erhalt der eigenen Tradition und der lauernden Gefahr, in einer sich wandelnden Welt langsam aber sicher abgehängt zu werden, ist eine der größten Aufgaben, die das Unternehmen im 21. Jahrhundert stemmen muss.

Das zumindest findet Rheinboldt, der vor seinem Posten bei Steiff vor allem in der Modebranche aktiv war: „Wir müssen aufpassen, dass wir uns aufgrund unserer langjährigen Geschichte nicht zu sehr auf unsere Tradition verlassen. Es gibt genügend Beispiele von Marken, die irgendwann keinen Anschluss mehr an das Zeitgemäße gefunden haben“, sagt er. „Deshalb ist es für uns besonders wichtig, dass wir uns auch für neue Themen öffnen.“

Bären feiern Halloween

Neben Traditionsprodukten wie dem ersten beweglichen Teddybären mit dem vielsagenden Namen 55PB oder der beliebten Petsy-Reihe bedeutet das für Steiff auch: Man muss sich stärker auf aktuelle Trends einlassen. „Phänomene wie den Barbie-Hype, den es im vergangenen Jahr rund um den Film von Greta Gerwig gab, könnten wir in Zukunft zum Beispiel stärker nutzen, um unsere Produkte daran anzupassen“, sagt Rheinboldt. Zu solchen Anlässen will er daher in Zukunft sogenannte Capsule-Kollektionen entwickeln – also Reihen, die nur für einen bestimmten Zeitraum und Anlass ihren Weg ins Sortiment finden. Anlässe gibt es dafür mehr als genug: vom Muttertag über Halloween bis hin zu gesellschaftlichen Großereignissen wie Fußballweltmeisterschaften oder Olympische Spiele.

Um mit seinen Produkten näher Puls der Zeit zu bleiben, weitet das Unternehmen außerdem auch sein Lizenzgeschäft aus: „Wir haben jetzt zum Beispiel eine neue Lizenz mit Warner Brothers für Batman und eine andere für die Peanuts. Das sind international Riesenthemen, und da wollen wir den Sprung nicht verpassen“, so Rheinboldt.

Teddybären sind hier Designobjekte

Doch um langfristig agiler zu werden, brauche es auch grundlegende Veränderungen, erzählt der Geschäftsführer weiter. Neben einer kostengünstigeren Produktion, zum Beispiel durch eine optimierte Auslastung der Produktionsstätten, müsse das Unternehmen aktiver werden und sich stärker positionieren. Es stimmt schon, vom Prunk und Selbstbewusstsein eines Weltkonzerns spürt man auf dem Firmengelände vor Ort tatsächlich wenig – doch ist diese Zurückhaltung nur schwäbische Bescheidenheit oder versteckt sich hier eine Menge verschenktes Potenzial?

Klassiker mit Knopf im Ohr: Der Steiff-Teddy. Foto: Imago//Jürgen Ritter

Für Frank Rheinboldt ist die Antwort klar: „Wir müssen die Steiff-DNA stärker in den Vordergrund stellen“, sagt er. „Momentan legen wir manchmal noch zu wenig Wert darauf, was wir eigentlich können. Wir sagen nicht: Wir haben mit den besten internationalen Brands zusammengearbeitet und gehen mit diesem Selbstbewusstsein jetzt mal auf andere Marken zu. Sondern wir sind da noch ein bisschen reaktiv. Aber ich bin mir sicher: Heutzutage kommt niemand mehr von allein zu einem.“

Wie stark solche Kollaborationen das Image des Unternehmens mitprägen, wird in Giengen heute schon deutlich. In Rheinboldts Büro hängt zum Beispiel ein überdimensionales Foto von Karl Lagerfeld mit dem von ihm designten Teddybären im Lagerfeld-typischen Sonnenbrille-Sakko-Look. Auf dem Schreibtisch des Unternehmenschefs sitzt zudem der Prototyp einer weiteren Kollaboration, über die er noch nicht öffentlich sprechen darf. Klar wird aber: Teddybären sind hier Designobjekte, Interior-Gadgets und Stilikonen – und werden oft speziell für Sammlerinnen und Sammler entworfen.

So plüschig ist das Netz

Dass sich ihre Stofftiere einst zu Kultobjekten für Designliebhaber entwickeln würden, hätte Margarete Steiff bei der Gründung ihres Unternehmens vor über 140 Jahren wohl nicht geahnt. „Das Beste für das Kind“ ist der Original-Slogan, mit dem Steiff damals die Produktion begann. Verloren ist dieser Gedanke trotz aller Erweiterungen, Evolutionen und Jahrzehnte auch heute nicht. Kinder bleiben eine der drei zentralen Zielgruppen des Unternehmens. „Unser Anspruch ist: Wir wollen den schönsten und besten Teddybären machen“, sagt Rheinboldt und weiß dabei um die zentrale Rolle, die Kuscheltiere für das Aufwachsen seiner jüngsten Kundinnen und Kunden spielen können.

Er selbst erinnert sich noch heute gern an den Steiff-Bären, mit dem er sich in seiner Kindheit das Bett teilte, den er spielerisch mit Verbänden verarztete und nur selten zu Hause vergaß, wenn er Ausflüge mit der Familie machte. Wenn er heute strategisch in die Kinderzimmer der Steiff-Zielgruppe blickt, hat sich die Rolle von Kuscheltieren für ihn allen Umbrüchen zum Trotz kaum verändert. „Sie sind immer noch zum Kuscheln und Trösten da und helfen Kindern dabei, sich weniger allein zu fühlen.

Ein digitales Produkt zum Beispiel kann keine Wärme, keine Sicherheit geben. Man kann es nicht kuscheln und nicht mit ihm sprechen.“ Dennoch ist das digitale Kinderzimmer auch hier ein Thema. Steiff hat eine Reihe von Tonies entwickelt, die beliebten sprechenden Figuren, die unterschiedliche Geschichten erzählen – und auch die Frage, wie klassische Produkte digitaler werden können, stellt sich. Doch kann ein so traditionelles Unternehmen in Sachen Digitalisierung überhaupt zum Vordenker werden? Frank Rheinboldt schüttelt bei dieser Frage vehement den Kopf. „Das ist aber auch in Ordnung. Man würde uns das vermutlich gar nicht abnehmen“, sagt der Geschäftsführer.

Dennoch sieht er die Digitalisierung als Chance und will mit den relevanten Playern auf dem Markt zusammenarbeiten. Zum Beispiel soll in diesem Jahr noch ein Teddybär auf den Markt kommen, der mit Hilfe eines LED-Lichts als Nachtlampe im Kinderzimmer Trost und Sicherheit signalisiert. Ganz so, wie Margarete Steiff es einst vorgedacht hat. Die Zukunft, sie ist wohl doch aus Plüsch – zumindest außen, wo man sie kuscheln kann.