Kneipe, Restaurant, Institution: Das ist der Böblinger Zwinger. Doch Ende Februar ist Schluss. Die Betreiber Bernd und Alex Gürtler haben andere Pläne. Die Stadt verliert damit ein weiteres gastronomisches Unikat. Ganz dicht gemacht wird die Lokalität allerdings nicht.
Das war’s dann schon fast im urigen Untergeschoss an der Poststraße. Im Zwinger stehen die Zeichen auf Abschied. Die Küche liefert nur noch Vesper, das Aufräumen beginnt, Bernd und Alexander Gürtler sind auf dem Absprung. Demnächst ist Schluss im Gewölbe des ehemaligen Gasthaus Bären, das längst Hendlburg heißt.
Den Faschingskehraus nehmen die Gürtlers in diesem Jahr wörtlich. Sobald die Narren abgedankt haben, packt das Ehepaar seine Sachen und wagt wenige Kilometer weiter den Neubeginn. Ab März sind die Gürtlers Pächter des Golf-Restaurants am Schaichhof. Dort wollen sie mit deutscher und internationaler Kulinarik den Stil ihres Vorgängers beibehalten. „Ehrliche, selbst gemachte Küche“, verspricht Bernd Gürtler. Nach 18 Jahren Zwinger warte eine neue Herausforderung, die sie gereizt habe, sagt er.
Die Entscheidung ist nicht leicht gefallen
Dennoch: Leicht gefallen sei dieser Entschluss nicht, bekennt Gürtler. „An die Gäste hier denke ich mit einem weinenden Auge zurück“, sagt er. All denen, die im Zwinger ein- und ausgegangen sind, die die gemütliche Atmosphäre zwischen Steinwänden, 500 Jahre alten Holzbalken und Gewölbedecken zu schätzen gelernt haben, dürfte es ähnlich gehen. Denn nachdem Bernd und Alexander Gürtler im Jahr 2005 von der Alten Kulisse in der Sindelfinger Straße in die Poststraße gewechselt waren, war es ihnen gelungen, aus der vormaligen Pinte einen Ort zu machen, in dem Kneipe und Restaurant unter einem Dach funktionierten. Aus dem Zwinger wurde ein Gastrobetrieb, der als Tresen-Treff und Anlaufstelle für Nachtschwärmer genauso diente, wie als Adresse für viele Stammtische und Freunde des gutbürgerlichen Rostbratens.
Nach dem Krieg suchten hier auch die US-Soldaten ihr Vergnügen
Einer, der dort häufig unterwegs war, ist Kurt Koblowsky. „Hier hat man immer jemanden zum Schwätzen gefunden“, sagt er und erzählt von der bunten Gästemischung, die sich an diesem Ort tummelte. Der Böblinger verdankt dem Zwinger manche Freundschaft, die dort ihren Anfang nahm. Wie für viele hatte der Zwinger auch für Koblowsky die Funktion eines Marktplatzes. „Das bricht jetzt leider weg“, klagt er.
Das Licht der Böblinger Gastrowelt erblickte der Zwinger in den 1950er Jahren. Damals nach dem Krieg suchten nicht nur die in der Panzerkaserne stationierten US-Soldaten das Vergnügen. Böblingen antwortete mit Tanzcafés und Nachtbars. Auch die Besitzer des Gasthaus Bären schlossen sich diesem Trend an. In dem Böblinger Traditionslokal, das schon im 18. Jahrhundert als Wirtschaft betrieben worden war, und als Urzelle der benachbarten Kinos gilt, wurde das Kellergeschoss zur Tanzbar ausgebaut. Die Böblinger Jugend und die amerikanischen Soldaten strömten.
Der Name basiert auf einer Legende
Für den Namen der Kellerbar sorgte eine Geschichte, die man sich in der Stadt gerne erzählte: In diesem Gemäuer habe sich früher der Zwinger für die Bären des württembergischen Herrschergeschlechts befunden. Dessen Mitglieder haben immer mal wieder im Böblinger Schloss zum Jagen und Atmen der guten Luft vorbeigeschaut. Eines Tages, erzählt man sich, sei einer der Bären ausgebüchst und durch einen unterirdischen Verbindungsgang in die herrschaftliche Gemächer eingedrungen – sehr zum Unwohlsein des versammelten Adels. Das ist zwar reichlich Bären-Latein, das der historischen Wahrheit nicht Stand hält, aber der Laden hatte seinen Namen.
Der soll auch in Zukunft weiterexistieren, sagt Michael Bauer. Bauer ist der Nachfahre von August Bauer, der den Bären im Jahr 1900 erworben hat, 14 Jahr später neben der Wirtschaft die Bären-Lichtspiele eröffnete und damit das Kino nach Böblingen brachte. Dass mit den Pächtern des Zwingers auch das komplette Bären-Gebäude gehe, in dem noch der Hähnchenbrater Hendlburg untergebracht ist – diesen Gerüchten erteilt Michael Bauer eine klare Absage. Auch an Abbruch sei nicht zu denken, versichert Michael Bauer. Das lasse der Denkmalschutz gar nicht zu.
Ende des Jahres soll’s weitergehen
Und sein Herzblut sowieso nicht. 123 Jahre gastronomische Familientradition, bekennt er, hätten ihre Spuren hinterlassen. Hinzu komme die „exponierte Lage“ mitten in Böblingen und ein Gewölbekeller, den man nicht ungenutzt lassen könne. Ende des Jahres hofft Bauer, der zwischen 1983 und 1989 einmal selbst hinter dem Zwinger-Tresen stand, werde es im Bären-Untergeschoss weitergehen.
Doch zunächst muss das Energieproblem gelöst werden. „Wir pfeifen energetisch aus dem letzten Loch“, sagt Bauer. Nur der Bau eines Trafohauses könne sicherstellen, dass die Küche in Zukunft nicht kalt bleibt. Danach soll der Zwinger wieder belebt werden – jedoch mit anderem Gesicht.
Einen Wirt oder eine Wirtin wird es dann vermutlich nicht mehr geben, aber Räume, die für Privatfeiern und geschlossene Gesellschaften gebucht werden können. Vielleicht wäre ja auch Platz für ein Pop-up-Restaurant, das im Gewölbekeller über den Winter sein Gastspiel gibt, sinniert Michael Bauer. „Wir brauchen neue Konzepte“, sagt er.
Eins zumindest ist gewiss: Es bleibt spannend im guten alten Zwinger.
Als es in Böblingen noch Tanzbars und Kneipen gab
Tanzlokale und Bars
Der „Zwinger“ ist, zumindest was den Namen und Standort betrifft, das letzte Überbleibsel aus der Zeit, als es in Böblingen noch Bars und Tanzcafés gab. Neben dem „Zwinger“ waren das Café Ebner in der Marktstraße und das Café Böhler am Postplatz gefragt. Eine Anlaufstelle war auch die „Dolly Bar“ in der Schafgasse. Legendär war das „Prisma“ in der Liststraße. Dort gab es nicht nur Tanz und Getränke. Dieser Laden versorgte die Stadt auch mit Striptease und fungierte als Spiel-Casino.
Kneipen
Mit dem heutigen „Zwinger“ verschwindet eine der letzten klassischen Kneipen Böblingens, in der es noch ein Bier und ein belegtes Brötchen dazu gab. Ähnliche Lokalitäten wie die Bierakademie am Berliner Platz, das ehemalige SVB-Vereinsheim am Silberweg oder auch der Ritter Bobilo an der Sindelfinger Straße sind längst Geschichte. Auch das Caligo in der Klaffensteinstraße gibt es seit 2019 nicht mehr.