Otis Rush 1997 beim Bluesfestival von Notodden in Norwegen Foto: Svein Agnalt/CC BY-SA 3.0

Er hat sie alle beeinflusst: Jimi Hendrix, Eric Clapton, Jeff Beck, Jimmy Page, Duane Allman. Aber mit seiner eigenen Karriere hatte der begnadete Gitarrist Otis Rush meist Pech. Nun ist er im Alter von 84 Jahren gestorben: Ein Rückblick.

Chicago - Lange bevor in den sechziger Jahren in den amerikanischen Großstädten Autos, Häuser und Geschäfte brannten, schlug der Gesellschaft aus den schwarzen Gettos eine sengende Hitze entgegen: aus den Gitarrenverstärkern von Bluesgitarristen. Die krempelten nicht nur die Popmusik der Welt um, sondern erzählten mit ihren Geschichten von Liebe, Eifersucht, Verlassenwerden und alltäglicher Geldnot von einer viel umfassenderen Frustration und von einer viel tieferen Sinnkrise. In keinem anderen Gesang und keinem anderen Gitarrensound war mehr davon zu hören als in dem von Otis Rush, einem Bluesmeister von Chicagos Westside, der nun am 29. September 2018 im Alter von 84 Jahren gestorben ist.

Der Linkshänder Rush reizte intensiv den Sustain aus, entlockte den Saiten ein an die Maso-Wonnen bohrender Selbstvorwürfe oder an innig gehegten Liebeskummer erinnerndes Vibrato. Im Studio des Winzlabels Cobra Records, dessen Chef eigentlich einen Fernsehreparaturladen nebst Plattenabteilung betrieb, rockte er von 1956 bis 1958 Klassiker um Klassiker in die Mikrofone: „I can’t quit you, Baby“, „Groaning the Blues“, „Double Trouble“. Jeder ernsthafte E-Gitarrist der vergangenen Jahrzehnte hat in der Folge vor Otis Rush das Knie gebeugt, Jimi Hendrix, Eric Clapton, Jeff Beck, Jimmy Page, Duane Allman – die Liste ist endlos. Dass Rush bei einem etwas größeren Publikum viel unbekannter blieb als B. B. King oder Buddy Guy, hat mit vielem zu tun, mit Pech, Krankheit und den Brutalitäten eines gnadenlosen Musikmarktes.

Kaltgestellt in Chicago

In Chicagos relativ kleiner schwarzen Musikszene, die bald britische wie amerikanische Rockbands inspirieren sollte, spielte sich in den späten Fünfzigern eine Revolution ab. Die regierenden Hitlieferanten der älteren Generation, die Bands von Muddy Waters und Howlin’ Wolf vor allem, mit ihrem dichten Ensembleklang, in dem Leadgitarre, Mundharmonika und Klavier ihre Linien ineinander flochten, wurden von Newcomern angegriffen. Junge Talente wie Otis Rush und Magic Sam stellten die Gitarre in den Vordergrund und entwarfen unruhigere, überspanntere, wütendere Soli als die Altvorderen.

Beheimatet waren die etablierten Bands auf der Southside und allesamt unter Vertrag beim Label Chess, das Chicagos Blues eigentlich in der Tasche hatte. Die Revoluzzer aber kamen von der Westside, hatten in ihrer Nachbarschaft bei Cobra angeheuert und bedrohten die Marktmacht von Chess. Dort war man nicht nur auf den Erfolg eines älteren Sounds abonniert, man hatte bereits seinen hauseigenen Revolzzer, den damals noch erfindungsreichen Gitarrenvirtuose Buddy Guy. Der lebte zwar auf der Southside, spielte mit den Southside-Bands, lieferte aber eine Variante des Westside-Sounds. So nahm Chess Otis Rush letztlich unter Vertrag, nicht, um ihn zu promoten, sondern um ihn auszuschalten. Das produktivste Blueslabel jener Tage ließ einen der feurigsten Kreativen nur selten ins Studio. Der knallte frustriert die Tür hinter sich zu.

Viele miese Erfahrungen

Das war nur der Anfang jämmerlicher Erfahrungen mit Labels. Die Veröffentlichungsverzögerung des Albums „Right Place, Wrong Time“, 1971 für Capitol eingespielt, dort in den Schrank gelegt und erst 1976 auf den Markt gebracht, ist nur ein Teil dieser Geschichte. Die seelischen Probleme, mit denen Rush ein Leben lang zu kämpfen hatte, wurden dadurch nicht besser. Immer wieder konnte der Mann über längere Zeit hinweg nicht auftreten. Wollten ihn Freude in Chicago in dieser Zeit mit in einen Club nehmen, öffnete er die Haustür, starrte sie eine Zeit lang wortlos und düster an und schloss die Tür dann wieder. Manche späteren Aufnahmen von Rush vermitteln bis zur Unanhörbarkeit seine Depression.

Rush hat dann aber wieder, nicht mehr auf der Höhe einer frühen Erfindungskraft, aber mit konzentrierter Handwerkskunst, feine, ab und an den Herzpanzer doch wieder voll durchschlagende Platten eingespielt. Für „Any Place I’m Going“ von 1998 hat der Mann mit Feuer in den Saiten endlich den Grammy bekommen, den er zuvor mehrfach verdient gehabt hätte. Die letzten Jahre seines Lebens saß er nach einem Schlaganfall im Rollstuhl, aber bei öffentlichen Auftritten lachte er nun öfter. Er, der sich so oft missachtet, zurückgesetzt und betrogen gefühlt hatte, wusste, dass er am Ende doch als einer der größten Gitarristen, Sänger und Songschreiber des Blues in alle einschlägigen Lexika und Bestenlisten eingegangen war.

So klang der Mann

Auf Youtube kann man viel von Otis Rush probehören, seine Aufnahmen sind bei jedem besseren Streamer und Musikshop erhältlich:

Otis Rush: „I can’t quit you, Baby“ (1966 in Berlin, Teil der höchst empfehlenswerten, auf DVD erhältlichen „American Folk Blues Festival“-Aufzeichnungen)

Otis Rush: „Working Man“ (1969, von der klassischen LP „Mourning in the Morning“ )

Otis Rush: „Right Place, Wrong Time“ (1971, von der gleichnamigen LP, die in keiner Bluessammlung fehlen sollte)

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