Nach einer Veröffentlichung des Deutschen Ärzteblatts greifen jährlich 4,5 Prozent aller Bundesbürger zum Joint oder anderen Cannabis-Produkten. 68 Prozent der Deutschen sprechen sich derzeit jedoch gegen eine Freigabe aus Foto: johny87/Fotolia

In Deutschland rauchen rund 30 Prozent aller Jugendlichen und jungen Erwachsenen gelegentlich einen Joint – noch verbotenerweise. Zahlreiche gesellschaftliche Gruppen fordern nun eine Lockerung des Cannabis-Verbots. Doch birgt das nicht mehr Gefahren? Darüber streiten Experten aus Suchtmedizin, Justiz und Wissenschaft.

Mosbach - Da war dieser Freiburger Verwaltungsangestellter, Mitte 40, der unter ständigen Rückenschmerzen litt. Statt Tabletten gegen die Schmerzen zu nehmen, rauchte er lieber hin und wieder einen Joint. Bei einer routinemäßigen Verkehrskontrolle gab er seinen gelegentlichen Drogenkonsum zu, der letzte Joint lag da aber schon mehr als einen Tag zurück.

Prompt sah er sich erst im Gerichtssaal und später arbeitslos auf der Straße wieder: Die Pflanzen, die der Mann für den Eigenkonsum anbaute, enthielten eine zu hohe Dosis an rauschhaften Bestandteilen. Eine Haftstrafe wurde zwar auf Bewährung ausgesetzt. „Doch der Arbeitgeber kündigte dem Verwaltungsangestellten fristlos“, sagt der Rechtsanwalt Sebastian Glathe, der den Mann damals verteidigte.

Der Fall des Freiburger Angestellten ist nur ein Beispiel aus der Justiz, den Glathe beim Symposium der Deutschen Gesellschaft der Toxikologie und Forensik (GTFCH) im baden-württembergischen Mosbach vorbringt, um zu belegen: Die Forderung nach einer Legalisierung von Cannabis ist nicht das Werk von benebelten Spinnern.

Bisherige Prohibitionspolitik gescheitert

„Sie würde eine gerechtere Strafverfolgung ermöglichen.“ Die bisherige Prohibitionspolitik beim Thema Cannabis sei dagegen krachend gescheitert. „Die derzeitige Gesetzeslage verhindert nicht den unsachgemäßen Konsum von Cannabis“, sagt Glathe. Vielmehr erschwere sie die Aufklärung über ihre Nebenwirkungen. Und: „Durch eine legale Abgabe würden auch die Schwarzmärkte geschwächt werden.“

Das Plädoyer für eine Lockerung der Drogenpolitik seitens des Rechtsanwalts Glathe beim GTFCH, kommt nicht von ungefähr: Im Februar hatte die Koalition beschlossen, dass es schwer kranken Patienten ab 2016 erleichtert werden soll, an medizinische Cannabis-Präparate zu kommen, die dann auch von der Krankenkasse vergütet werden.

Entwurf für ein Cannabiskontrollgesetz

Daraufhin hatte die Bundestagsfraktion der Grünen im März einen Entwurf für ein Cannabiskontrollgesetz vorgelegt. Demnach soll der Konsum für Erwachsene entkriminalisiert und die Abgabe von Marihuana und Haschisch reguliert werden.

Seitdem gab es kaum eine relevante gesellschaftliche Gruppe, die nicht mehr Bewegung in der Cannabis-Debatte gefordert hat: Schmerztherapeuten, die chronisch Kranken den Zugang zu dem Therapeutikum erleichtern wollen, Sozialökonomen, die im Fall einer Legalisierung Steuereinnahmen von mehreren Milliarden Euro erwarten, und selbst der Bund der Deutschen Kriminalbeamten.

So argumentiert Rainer Wendt, Chef der Polizeigewerkschaft: „Es wäre besser, den Konsum geringer Mengen von Cannabis nicht mehr verfolgen zu müssen – um sinnlose Bürokratie zu vermeiden.“

Mehrheit der Deutschen gegen Legalisierung

Nach einer aktuellen Veröffentlichung des Deutschen Ärzteblatts greifen hierzulande jährlich 4,5 Prozent aller Bundesbürger zu einem Joint oder anderen Cannabis-Produkten. Doch offenbar will die gesellschaftliche Mehrheit dies weiter geahndet wissen: Derzeit sprechen sich 68 Prozent der Deutschen gegen eine Freigabe aus.

Das freut Mediziner, die teils drastisch vor den gesundheitlichen Risiken der Substanz warnen: „Wer als Jugendlicher regelmäßig kifft, der kann seinem Gehirn auch gleich einen Faustschlag versetzen“, sagt etwa der Suchtexperte Rainer Thomasius.

In Hamburg behandelt der Psychiater am dortigen Uniklinikum viele Teenager, die an Psychosen leiden, die aufgrund von Cannabis-Konsum entstanden sind. Beim Symposium in Mosbach wirft der ärztliche Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen daher mit Studien und Fallbeispielen um sich, die zeigen sollen, was das als „weiche Droge“ benannte Cannabis bei Pubertierenden auslösen kann: Angstzustände, Schizophrenie, Entwicklungsstörungen und Lernschwierigkeiten.

Dies oft dauerhaft: „Bei Jugendlichen bleiben Gehirnveränderungen ein Leben lang – etwa eine Verkleinerung des Hippocampus, in dem wichtige Strukturen des Gedächtnisses stecken.“

Gefahr vom unkontrollierten Schwarzmarkt

Doch würde eine Legalisierung tatsächlich mehr Jugendliche gefährden? Soziologen wie Bernd Werse vom Centre for Drug Research der Goethe-Universität in Frankfurt, antworten darauf mit „Nein“. Trotz des Verbots steige hierzulande die Anzahl der Konsumenten kontinuierlich. Denn die Realität sei nicht das drogenfreie Paradies, sondern ein unkontrollierter Schwarzmarkt ohne jeden Jugend- und Verbraucherschutz.

„Dass eine gesetzlich erlaubte Abgabe von Marihuana die Zahl der Drogensüchtigen insbesondere unter Jugendlichen steigert, ist derzeit weder erkenn- noch belegbar“, sagt Werse. „Selbst die europäische Beobachterstelle für Drogen in Lissabon kommt zu dem Ergebnis, dass die rechtliche Lage auf die Menge des Konsums keinen Einfluss hat.“

29 Prozent der Jugendlichen kiffen gelegentlich

So sind es etwa nicht die niederländischen Jugendlichen, die am meisten kiffen – obwohl in diesem EU-Land der Kauf von Cannabis legal ist. Den Zahlen der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht zufolge gaben 45 Prozent der französischen und auch tschechischen Jugendlichen an, hin und wieder einen Joint zu rauchen.

„Beide Länder betreiben eine ähnlich strikte Drogenpolitik wie Deutschland“, so Werse. Zum Vergleich: Insgesamt konsumiert jeder dritte Jugendliche in der EU (31 Prozent) gelegentlich Marihuana. In Deutschland sind es 29 Prozent der Jugendlichen.

Zumindest in Mosbach zeigt sich niemand mehr von Werses Vorschlag entsetzt, den Anbau unter staatliche Kontrolle zu stellen und speziellen Abgabestellen Marihuana und Haschisch mit kontrollierter Qualität zu verkaufen – so wie es schon in vielen US-Bundesstaaten gehandhabt wird. Vielmehr wird eifrig geklatscht. Ob sich diese Zustimmung allerdings auch auf Bundesebene in eine Gesetzesänderung einbringen lässt, muss sich zeigen. Die Debatte ist im Gang.