Leerstehende Wohnungen wieder dem Markt zuzuführen ist für die Kommunen im Landkreis kein Kinderspiel. Foto: imago stock&people

Ideen, ungenutzten Wohnraum nutzbar zu machen, gibt es viele. Doch der Erfolg der diversen Initiativen ist überschaubar. Das Forum Diakonie gibt sein Projekt nach einem Jahr auf – obwohl es viele leer stehende Häuser entdeckt hat.

Kreis Ludwigsburg - Ein regnerischer Herbsttag in Ingersheim. Passendes Wetter, um ein Projekt zu beerdigen, das mit viel Ehrgeiz an den Start gegangen ist – nach einem Jahr aber kaum Ergebnisse vorweisen kann. Vertreter des Forums Diakonie im Landkreis Ludwigsburg warten neben aufgebauten Bierbänken und einem Mikrofonständer auf die Pressevertreter. Es geht um die allgegenwärtige Wohnungsnot im Landkreis. Das Forum Diakonie, ein Zusammenschluss von 30 Trägern verschiedener diakonischer Angebote und Dienste, wollte als Wohnungsvermittler auftreten und hat eigens dafür eine Stelle geschaffen – die nun wieder gestrichen wird. Die Aufgabe des Projekts soll ein „deutliches Signal“ an Kommunen und Landkreis sein, mehr in diesem Bereich zu tun, sagt Martin Strecker, der Geschäftsführer des Kreisdiakonieverbands.

Nach einem Jahr ist die Ernüchterung groß: 15 leere Wohnungen kamen in dem Jahr zusammen, doch aus unterschiedlichen Gründen konnte keine davon vermittelt und vermietet werden. „Das bedeutet, dass es den vermuteten Wohnraum nicht gibt oder es uns nicht gelungen ist, an die Leute ranzukommen“, sagt Ute Friesen, die für die Wohnraumakquise zuständig war.

Leerstehende Neubauten bringen Unruhe in den Ort

Ein besonders extremes Beispiel für ungenutzten Wohnraum hat das Forum für seinen öffentlichkeitswirksamen Auftritt vor Ort parat: Im Hintergrund stehen acht seit Jahren leer stehende Neubauten, die noch nie bezogen wurden. Sie alle gehören einer Frau, die noch weitere leer stehende Immobilien hat. Sie stehen in Kornwestheim und in Bissingen sowie in Lauffen im Kreis Heilbronn. In allen Orten seien die „Gespensterhäuser“ ein Thema bei den Anwohnern. „So etwas bringt Unruhe in den Ort“, sagt der evangelische Gemeindepfarrer Michael Harr. Eine Anwohnerin schlägt radikalere Methoden vor: Enteignung, oder zumindest Besetzung der Gebäude.

Die betroffenen Kommunen sind rat- und hilflos. Alle Versuche, Kontakt mit der Frau aufzunehmen, scheiterten. Auch Kaufangebote durch Baufirmen seien unbeantwortet geblieben. Nun denkt zumindest Ingersheim über ein Zweckentfremdungsverbot nach, wie es auch in Tübingen oder Freiburg wirkt: Lässt ein Eigentümer eine Wohnung leer stehen – entfremdet sie also ihrem Zweck – droht ihm ein Bußgeld. Der Ingersheimer Bürgermeister Volker Godel (FDP) merkt jedoch an: „Die rechtlichen Hürden hierfür sind recht hoch.“ Im Übrigen seien die acht leer stehenden Gebäude im Ort nur „die Spitze des Eisbergs“.

Zweckentfremdungsverbot kommt für Bietigheim nicht in Frage

In Bietigheim-Bissingen, wo man ebenso über Leerstand klagt, hat man die Idee geprüft und wieder verworfen. Man verspreche sich keinen großen Effekt davon. „Die Ausreden der Besitzer sind vielfältig“, sagt die Stadtsprecherin Anette Hochmuth. Die städtische Tochter Bietigheimer Wohnbau versucht in einem Projekt, ältere Menschen, die beispielsweise nach dem Tod des Partners oder dem Auszug der Kinder in verhältnismäßig großen Wohnungen leben, ein Angebot für einen Umzug in eine kleinere Wohnung zu machen und sie dabei zu unterstützen. Das Problem dabei: Nur wenige sind bereit, ihre gewohnten vier Wände zu verlassen – auch weil die Miete in der neuen, kleineren Wohnung durch die Neuvermietung dann meist ähnlich hoch ist wie in der alten Wohnung.

Ludwigsburg fährt im Stadtteil Grünbühl seit Anfang des Jahres ein ähnliches Projekt. Die Erfahrungen hier seien gut, sagt der Erste Bürgermeister Konrad Seigfried, es zeigten sich erste Erfolge. „Später müssen wir sehen, ob wir dieses lokale Modell auch an anderen Stellen fahren können“, sagt er. Nicht in Betracht komme für ihn das Zweckentfremdungsverbot, wie es Ingersheim nun erwägt. Das sei ein „erheblicher staatlicher Eingriff“, den er für „nicht angemessen“ halte. „Wir befinden uns nicht im Notstand“. Dennoch stehen 1200 Personen auf der Warteliste der Wohnungsbau Ludwigsburg, 180 Menschen sind obdachlos. „Geisterhäuser“ wie in Ingersheim sind ihm in Ludwigsburg nicht bekannt. „Wenn wir welche hätten, würden wir uns das mit dem Zweckentfremdungsverbot wohl auch überlegen“, gesteht er.

Haus und Grund: Keine Pflicht, zu vermieten

Auch Ludwigsburg hat seit dem vergangenen Jahr aufgrund des Wohnungsmangels eine eigene Stelle für die Wohnraumakquise aufgebaut. Daten aus dem Zensus 2011 legten nahe, dass in der Stadt 1478 Wohnungen leer stehen. Das Prüfergebnis der Stadt im Jahr 2016 war ernüchternd: Es gab 308 Einfamilienhäuser, die seit mehr als einem Jahr leer standen. Doch fast alle aus guten Gründen – beispielsweise, weil die Gebäude gewerblich genutzt werden, renoviert werden oder stark baufällig sind. Am Ende konnten 18 Wohnungen vermittelt werden.

Helga Schneller vom Eigentümerverein Haus und Grund in Ludwigsburg kennt weitere Gründe, warum Wohnraum ungenutzt bleibt: Zähe Streits unter Erben oder schlechte Erfahrungen mit Mietern. Den Fall in Ingersheim nennt sie „einen Irrsinn“. Gleichwohl gebe es für Hauseigentümer „keine Pflicht, einen Vermögenswert dem Markt zur Verfügung zu stellen“.

Kreisverwaltung will keine Kreiswohnbaugesellschaft

Im Kreistag wurde das Thema Wohnungsnot im Verwaltungsausschuss im Juli beraten. Thema war die Gründung einer Kreiswohnbaugesellschaft. Beschlossen wurde aber nur, Ende November eine Infoveranstaltung für Kreisräte, Bürgermeister und Bauträger anzubieten, bei der Handlungsoptionen zum Schaffen und Finden von bezahlbarem Wohnraum erörtert werden sollen. Als mögliches Ergebnis nennt der Kreissprecher Andreas Fritz eine konzertierte Aktion der Wohnungsbaugesellschaften. „Ungeachtet dessen beabsichtigt die Landkreisverwaltung nicht, eine finanzielle Förderung zu übernehmen oder einen Vorschlag zur Gründung einer Kreiswohnbaugesellschaft zu machen“, so Fritz.

Das Forum Diakonie wendet sich zum Abschluss des Projekts Wohnraumakquise mit einem Positionspapier an Hausbesitzer und Kirchengemeinden, die ihren Wohnraum zur Verfügung stellen sollen. An die Politik richten die Träger mehrere Forderungen, darunter auch die Einführung des Zweckentfremdungsverbots, aber auch die unbefristete Sozialbindung von Wohnungen oder die Verpflichtung zu Sozialquoten bei Mehrfamilienhäusern.