Mike Mohring ist Landesvorsitzender und Fraktionschef der CDU. Er geht für seine Partei als Spitzenkandidat in die Landtagswahl im Oktober. Foto: L

Der CDU-Chef Thüringens, Mike Mohring, ist enttäuscht von der großen Koalition in Berlin und fordert eine neue Schwerpunktsetzung – zugunsten der ostdeutschen Bundesländer.

Stuttgart - Mehr als dreißig Jahre nach dem Mauerfall gibt es immer noch erhebliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Der thüringische CDU-Politiker Mike Mohringspricht über unfaire Förderkriterien, Brüsseler Geldtöpfe und die Notwendigkeit einer Grundrente.

Herr Mohring, die Bundesregierung stellt an diesem Mittwoch die Ergebnisse der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ vor. Darin wird festgestellt, dass es zwischen den Regionen in Deutschland erhebliche Unterschiede gibt bei Einkommen, Arbeitschancen bis hin zur Internet-Versorgung – insbesondere zwischen Ost und West. Welche Schlüsse müssen daraus gezogen werden?

Der nicht ganz überraschenden Analyse müssen jetzt Taten folgen. Es geht darum, den Menschen in den strukturschwachen Regionen bessere Chancen zu ermöglichen, wenn schon die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse noch nicht erreicht ist.

Was heißt das praktisch?

Nehmen Sie die Forschungsförderung. Bei der Vergabe der Fördermittel für die Batteriezellenforschung haben wir gerade wieder erlebt, dass dort etwas grundsätzlich schiefläuft. Wenn ich die Förderkriterien so gestalte, dass nur die Region zum Zuge kommt, in der bereits heute ein Forschungsschwerpunkt in diesem Bereich etabliert ist, dann führt das auf Dauer zu schweren Ungleichgewichten. Dann werden Regionen, in denen sich gerade erst etwas entwickelt, nie aufschließen. Sinnvoller wäre es gewesen, die 500 Millionen Euro Forschungsgelder neben Nordrhein-Westfalen zum Beispiel auch auf Baden-Württemberg und Thüringen zu verteilen.

Wo sollte denn Ost-Deutschland bevorzugt werden?

Wir sollten etwa bei den Modellregionen für den Ausbau der 5G-Funknetze schneller zum Zug kommen. Ich werbe auch dafür, dass wir zusätzlich zwei der Transferzentren für Künstliche Intelligenz in den ostdeutschen Ländern platzieren.

Ist das Ziel, überall in Deutschland gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen, überhaupt erfüllbar?

Es geht nicht darum, dass es überall gleich aussieht. Aber überall in Deutschland müssen die Menschen spüren, dass es bei ihnen vor Ort für sie echte, gute Lebenschancen gibt. Und da müssen wir wesentlich mehr tun als heute.

Was ist dabei für Sie vordringlich?

Wir müssen gemeinsam darauf achten, dass wir in der Europäischen Union bei den Budgetverhandlungen – da geht es jetzt um die Förderperiode ab 2021 – ordentlich mit dabei sind. Ein Land wie Thüringen hat eine Steuerdeckungsquote von knapp 65 Prozent – der Rest unserer Ausgaben muss durch Hilfen aus dem Bund und der EU gedeckt werden. Wenn durch den Brexit weniger Geld in die Brüsseler Kassen kommt, wird es einen harten Verteilungskampf geben. Da brauchen wir eine verhandlungsstarke Bundesregierung.

Die Grünen und andere regen ein milliardenschweres Entschuldungsprogramm für Kommunen an. Denen sollte durch einen Abbau der Altschulden und Unterstützung bei ihren hohen Sozialkosten geholfen werden. Wäre das in Ihrem Sinne?

Die Ausmaße der Kassenkredite in Rheinland-Pfalz, im Saarland und in Nordrhein-Westfalen sind bedrohlich, während Kommunen in Bayern, Baden-Württemberg und Thüringen quasi schuldenfrei sind. Dennoch sind die Kommunen in Deutschland durch Bund und Länder unterfinanziert, da könnten die Grünen in den Landesregierungen, an denen sie beteiligt sind, selbst Abhilfe schaffen. Ich unterstütze aber die Forderung der kommunalen Spitzenverbände, dass der Bund seinen Anteil an den Hartz-IV-Zahlungen erhöht und damit die Kommunen entlastet.

Apropos Entlastung: Was erwarten Sie vom Bund in der Steuerpolitik?

Nach dem Langen Hin und Her begrüße ich, wenn im Herbst der Solidaritätszuschlag wie im Koalitionsvertrag vereinbart abgeschafft wird. Für mich ist wichtig, dass die schwarz-rote Koalition in Berlin jetzt das liefert, was für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft notwendig ist. Das ist eine Unternehmenssteuerreform, die die Arbeitgeber entlastet und ihnen auch ermöglicht, bessere Löhne zu zahlen, um Fachkräfte zu binden.

Lassen Sie uns über den Einfluss der Ostdeutschen in Berlin reden. Bei der Frage, wer Ursula von der Leyen im Verteidigungsministerium nachfolgen soll, wird ein halbes Dutzend Namen gehandelt – aber keiner aus dem Osten. Ist das symptomatisch?

Ich möchte nicht über die Personalaufstellung, sondern lieber über Inhalte sprechen. Da vermisse ich in Berlin eine Priorität Ost – gerade jetzt im Wahljahr 2019. Es geht um drei wichtige Landtagswahlen in Ostdeutschland und die Rechtfertigung, ob wir als Volksparteien noch in Gesamtdeutschland wahrgenommen werden. Wir hätten vor der Sommerpause Weichen stellen können. Beispielsweise für die Grundrente, eine Idee der SPD, für die ich auch geworben habe. Wir haben hier im Osten viele Menschen in der Generation meiner Eltern, die 45 oder 47 Jahre gearbeitet haben, am Ende aber nur Einkünfte aus der staatlichen Rente beziehen, mit der sie kaum über die Runden kommen. Es hätte dem Vertrauen in die Große Koalition gut getan, wenn die Grundrente für die Bedürftigsten schon vor den Wahlen beschlossen wäre. Stattdessen hat die SPD die Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag mit neuen Forderungen überzogen und blockiert am Ende ihre eigene Idee.

Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer setzt im Moment ganz andere Prioritäten – nämlich pro Klimaschutz. Bewegt der die Menschen im Osten genauso wie im Westen?

Die Wähler treiben doch ganz andere Probleme um. Eltern holen ihre Kinder aus Schulen ab, die aussehen wie zu ihren Schulzeiten. In Thüringen gibt es massiven Unterrichtsausfall. Lehrer sind überfordert, dauerkrank, fühlen sich allein gelassen. Manche Polizisten gehen mit der Eingangsbesoldung später auch in die Pension, weil es keine Beförderungsmöglichkeiten gibt. Die Leute misstrauen dem Sicherheitsversprechen des Staates. Gleiches gilt für das Wohlstandsversprechen. Das führt zum einem Vertrauensverlust gegenüber den Institutionen des Staates und seinen Repräsentanten.

Im Herbst wird in Thüringen gewählt. Wie in Sachsen und Brandenburg deuten sich schwierige Regierungsbildungen an. Sie haben sowohl eine Zusammenarbeit mit der AfD als auch mit der Linken abgelehnt. Verbauen Sie sich damit nicht die Chance, Ministerpräsident zu werden?

Wir haben in vielen ostdeutschen Bundesländern die Situation, dass durch AfD und Linkspartei zusammen rund vierzig Prozent der Wählerstimmen an den Rändern links und rechts gebunden sind. Das macht Regierungsbildungen in der Mitte generell schwieriger. Deshalb kämpfen wir umso mehr darum, stärkste Kraft zu werden und dann eine stabile Regierung der bürgerlichen Mitte zu bilden.

Sie bleiben also bei einem kategorischen Nein zu jeder Form von Zusammenarbeit mit der AfD?

Ja. Mein Ziel ist es, mit der CDU als Volkspartei der Mitte die Spaltung in unserer Gesellschaft zu überwinden. Da verbieten sich Kooperationen mit den extremen Parteien – links wie rechts. Aber den potenziellen Wählern der AfD die Hand zu reichen, sie für die Mitte der Gesellschaft zu gewinnen und sie nicht als Nazis zu beschimpfen, das muss eine Volkspartei wie die CDU leisten. Unser Hauptgegner zur Wahl ist aber Rot-Rot-Grün. Wir wollen diese Linkskoalition ablösen. Politik muss auch in Thüringen wieder mehr sein als die Verwaltung des Ist-Zustandes.

Frau Kramp-Karrenbauer hat sich sehr radikal von einer Zusammenarbeit mit der AfD distanziert und dies sogar mit dem Lübke-Mord begründet. Verstehen Sie Stimmen im Osten, die dies dennoch nicht ausschließen wollen?

Entscheidend neben der klaren Abgrenzung gegen Gewalt und rechtsextremistische, umstürzlerische Bestrebungen ist für mich, dass wir nicht die Wähler der AfD insgesamt ausgrenzen. Wir müssen ihre Unzufriedenheit wahrnehmen, ihnen Gesprächsangebote und konkrete Politik machen, die Probleme beseitigt. Viele Leute haben das Gefühl, dass sie in eine Ecke gedrängt werden, in der sie sich gar nicht sehen. Für mich gilt der Grundsatz: Klar abgrenzen, aber nicht ausgrenzen.

Mit Björn Höcke steht an der Spitze der AfD-Thüringen der Anführer des extrem rechten Flügels dieser Partei. Fällt es Ihnen dadurch leichter, Wähler zurückzugewinnen?

Tatsächlich steht Höcke für den Flügel der AfD, der die Gesellschaft spalten will und am rechten Rand mit dem Feuer spielt. Meine These ist: die AfD insgesamt wird sich weiter radikalisieren, weil die Höcke-Truppe die einzig organisierte Gruppierung in der Partei ist. Sie mischt ja schon jetzt regelmäßig die Parteitage auf und verdrängt die gemäßigten Kräfte in der AfD. Für die anständigen bürgerlichen Wähler ist diese Partei keine Alternative.