Viele zu viele Lebensmittel landen im Müll. Foto: dpa

Durchschnittlich 235 Euro pro Jahr könnte jeder sparen, wenn er mit Lebensmitteln sorgsamer umginge. Das Land will das leichter machen.

Stuttgart - Friedlinde Gurr-Hirsch setzt auf die Kinder: „Sich gesund ernähren und sorgsam mit Lebensmitteln umzugehen, das sollte schon früh beginnen“, sagt die Staatssekretärin im Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz in Stuttgart. Wenn Kinder das im Kindergarten oder in der Schule lernten, wirke das auch in die Familien hinein, hofft die CDU-Politikerin. Denn die meisten Lebensmittelabfälle entstehen bei den Endverbrauchern – europaweit sind private Haushalte für 53 Prozent der Verschwendung verantwortlich, Großverbraucher für zwölf Prozent, der Handel für fünf Prozent. Bei der Ernte gehen elf Prozent verloren, bei der Lebensmittelverarbeitung 19 Prozent.

Das wollen die EU-Staaten ändern. Im September 2015 vereinbarten sie, dass bis zum Jahr 2030 die Abfälle im Handel und auf Verbraucherebene halbiert werden und auch die Verluste bei Ernte, Herstellung und Transport deutlich sinken sollen. In den 28 EU-Staaten landen nach einem EU-Bericht jährlich rund 88 Millionen Tonnen Lebensmittel im Abfall – das entspricht etwa 173 Kilo pro Person und 20 Prozent der in der EU erzeugten Lebensmittel. In Deutschland wirft im Durchschnitt jeder Lebensmittel im Wert von 235 Euro pro Jahr weg.

Um gegenzusteuern, will Gurr-Hirsch die Aufklärung verbessern. Vom kommenden Schuljahr an können Drittklässler einen sogenannten Ernährungsführerschein machen. Den Erwachsenen soll ein Kompetenzzentrum helfen, das Informationen, Beratung und Unterstützung anbietet – für Privathaushalte und Großverbraucher wie Restaurants und Kantinen, für Handel und Produzenten. Wenn etwa Studenten ihr Mensamenü elektronisch vorbestellen könnten, ließe sich vermeiden, dass zu viel vorgekocht werde, sagt sie. In Freiburg haben Studenten mit Aktionen auf die Lebensmittelverschwendung aufmerksam gemacht.

Handelsverband gegen Mindeshaltbarkeitsdatum auf haltbaren Lebensmitteln

Ob das Zentrum in der Hoheit des Landes liegen oder an einen privaten Träger vergeben wird, entscheidet sich in nächster Zeit bei den Beratungen über den Doppelhaushalt 2018/19, wenn es um das Thema zusätzliche Stellen geht. Zudem will Gurr-Hirsch mit allen Beteiligten darüber sprechen, welchen Beitrag sie leisten können. Seit Anfang Mai gibt es einen Runden Tisch mit dem Einzelhandel, Gespräche etwa mit den Innungen sollen folgen.

„Wir brauchen keine neuen Gesetze, sondern sollten uns mit Schwachpunkten auseinandersetzen“, sagt Sabine Hagmann, Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbands Baden-Württemberg. Dass der Handel für nur fünf Prozent der Verschwendung verantwortlich sei, sei auf Verbesserungen zurückzuführen. So würden etwa Backwaren vom Vortag oder Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abläuft, an Tafelläden weitergegeben, die diese an Bedürftige verteilen oder zu einem niedrigen Preis weiterverkaufen. Aus Sicht des Handelsverbandes ließe sich die Verschwendung weiter reduzieren, wenn bei haltbaren Lebensmitteln wie Kaffee, Tee oder Nudeln auf ein Mindesthaltbarkeitsdatum verzichtet würde. Viele verwechselten dieses mit dem Verbrauchsdatum.

Initiativen wie die Tafelläden begrüßt Maria Heubuch. Auch Online-Plattformen, auf denen Gastronomiebetriebe unverkaufte Portionen ermäßigt anbieten, seien wichtig, sagt die Europaabgeordnete der Grünen, die Landwirtin ist. Nötig seien aber weitere Schritte. „Unlautere Handelspraktiken und Preisdumping führen häufig dazu, dass Lebensmittel unter ihrem tatsächlichen Wert verkauft werden.“ Verkaufspreise, die unter dem Erzeugerpreis lägen, müssten verboten werden, „auch, damit die Verbraucher für den wirklichen Wert von Lebensmitteln sensibilisiert werden“. Zudem müsse bei der Gewinnung von Energie aus Lebensmittelabfällen genauer hingesehen werden. „Das Thema darf nicht als Feigenblatt missbraucht werden, um neue Biogasanlagen zu bauen. An oberster Stelle muss die Vermeidung von Lebensmittelabfällen stehen, nicht deren gewinnbringende Verwertung.“