Ein Berg aus Brot und Brötchen: Bei der Labag in Marbach werden täglich bis zu 25 Tonnen Backwaren angeliefert. Foto: Werner Kuhnle

In vielen Bäckereien bleiben täglich Massen an Broten und Brötchen in den Regalen liegen. Einiges davon landet in Marbach am Neckar. Viele Betriebe versuchen die Überproduktion so gut es geht einzudämmen. Gelingt das?

Marbach - Bis fast unter die Decke der offenen Lagerhalle türmen sich die Backwaren. Ein gigantischer Haufen aus Brötchen, Broten, Seelen, Brezeln aber auch in Folie abgepackte Laibe und tütenweise Toastbrot. 25 Tonnen karren Bäcker aus dem ganzen Kreis Ludwigsburg jeden Tag auf das Gelände der Labag in Marbach am Neckar. Eine Spedition bringt die Backwaren nach Nordrhein-Westfalen, dort werden sie zu Futter für Schweine und Hühner verarbeitet.

Der Brotberg bei der Labag ist Sinnbild und Beweis gleichermaßen für die Vernichtung und Verschwendung von Lebensmitteln. Die Universität Stuttgart hat errechnet, dass in Deutschland jährlich fast 13 Millionen Tonnen Lebensmittel im Abfall landen. Mehr als die Hälfte stammt aus privaten Haushalten. Es wird viel zu viel gekauft. Aber auch die Produzenten sind nicht unschuldig.

Einen alternativen Umgang mit übrig gebliebenen Nahrungsmitteln sehen Sie in unserem Video über die „Raupe Immersatt“ – einem Food-Sharing-Café im Stuttgarter Westen.

Die Alternative: Brötchen verbrennen oder kompostieren

Rund 20 Bäckereifilialen und Discounter im Umkreis von 40 Kilometern liefern täglich Brot und Brötchen in Marbach ab, teilweise sind sie verdorben, viele der Waren sind aber noch genießbar und sogar noch über eine Woche haltbar. „Gerade in Discountern wird verpacktes Brot aussortiert, obwohl es noch fünf oder sechs Tage haltbar ist“, sagt Jürgen Häußermann, Geschäftsführer der Labag. Etwa die Hälfte der Brotabfälle fällt bei der Produktion an. Manchmal wurde das Brot zu lange oder zu kurz gebacken, manchmal stimmt mit der Rezeptur etwas nicht.

Der Agraringenieur Häußermann findet es gut, dass das aussortierte Brot nicht vernichtet wird, sondern „im Kreislauf verbleibt“. Auf diese Weise lassen sich Getreide und Soja sparen, mit denen die Tiere ansonsten gefüttert werden. Die Alternative für das Brot: verbrennen oder kompostieren.

Die Labag, die nach dem ersten Weltkrieg von Bauern gegründet wurde, mit dem Ziel Betriebsmittel günstig einkaufen und Erzeugnisse besser vermarkten zu können, handelt nicht mit dem Brot, sondern sammelt es nur für die Spedition, die es abholt. Die Bäckereien im Kreis kennen das Problem und versuchen, es so gut sie können einzudämmen. Die wenigsten werfen liegengebliebene Ware einfach weg.

Eine zweite Chance für die Backwaren

Florian Lutz von der Bäckerei Lutz aus Ludwigsburg erklärt die Überproduktion auch mit dem Geschäftsmodell: „Ich muss heute festlegen, was ich morgen brauche – kaum ein anderes Unternehmen arbeitet so.“ Ein Maschinenbauer bekomme erst den Auftrag und fange dann an zu produzieren. Lutz nimmt auch seine Konkurrenz in Schutz: „Bäcker sind nicht daran interessiert, dass abends noch Ware im Regal liegt.“ Dass Lutz nicht nur schön spricht, sondern auch handelt, zeigt sich an seiner Verwertungskette. Nicht verkaufte Brötchen verarbeitet der Bäcker – wie seine Kollegen von Trölsch und Katz auch – zu Weckmehl oder Knödelbrot.

Darüber hinaus gestattet er auch den Mitarbeitern in seinen neun Filialen im Landkreis, sich an den Resten zu bedienen. Und soziale Einrichtungen sowie Food-Sharing-Angebote kommen ebenfalls zum Zug. Wenn dann immer noch etwas übrig bleibt, bekommen Brot und Brötchen am nächsten Tag im sogenannten Re-Bäck-Store eine zweite Chance, zu ermäßigten Preisen. „An manchen Tagen haben wir tatsächlich null Retouren“, sagt Lutz. „Aber es kommt leider noch oft genug vor, dass viel zu viel übrig bleibt.“ Diese Reste liefert Lutz dann an einen Landwirt, der sie als Tierfutter nutzt.

Mit seinem Re-Bäck-Konzept ist Lutz bislang der einzige Bäcker im Kreis. „Ich glaube, viele haben Angst davor, sich selbst zu kannibalisieren. Doch das ist Quatsch.“ Großen Gewinn dürfe man allerdings nicht erwarten, „man macht das aus Nachhaltigkeitsgründen“.

Teilweise hat ein Umdenken eingesetzt

Bäckereien, zumindest die, die bis zu zehn Filialen auf einmal betreiben, sind längst nicht mehr nur Handwerksbetriebe sondern kleine Wirtschaftsunternehmen. Trölsch versucht bei der Planung Verkaufszahlen und Faktoren wie Feiertage, Schulferien und die Wettervorhersage mit zu berücksichtigten. Denn an einem regnerischen Tag greifen manche lieber zum Aufbackbrötchen. Wobei, auch das verrät die detaillierte Analyse des Kundenverhaltens: Ein Umdenken hat eingesetzt. Das zeigt nicht nur der Erfolg des Re-Bäck-Stores. „Lange Zeit haben die Kunden tatsächlich auch kurz vor Geschäftsschluss eine große Auswahl erwartet“, bestätigt Martina Oechsle von Trölsch.

Vom Überfluss profitieren natürlich auch die Tafeln. Während es häufig an Molkereiprodukten wie Käse fehlt, schwimmen die Tafeln, die bedürftige Menschen mit günstigen Lebensmitteln versorgen, in Backwaren. „Wir könnten immer mehr mitnehmen“, sagt Anneliese Schneider-Müller, Geschäftsführerin der Ludwigstafel. Doch anstatt sich darüber uneingeschränkt zu freuen, nimmt der Landesvorsitzende, Wolfart von Zabiensky, die Konsumenten weiter in die Pflicht. „Produzenten und Handel reagieren größtenteils auf die Kundenwünsche.“ Und die Kunden verlangen eben größtenteils noch immer jeden Tag frische Brötchen.