Harry Pfau und Cem Özdemir treffen sich an Harrys Bude. Foto: dpa/Christoph Schmidt

Seit dem Sommer 2020 werden an Harrys Bude gerettete Lebensmittel direkt an Bedürftige verteilt. Daraus soll nun eine App erwachsen. Unterstützung gibt’s aus der Bundespolitik.

Frischer Feldsalat ist eingetroffen, in der Auslage von Harrys Bude liegen bereits Pastinaken, Brokkoli, Brote und Berliner. Reichlich Essen, das im Müll verkommen wäre, wenn Harry Pfau und seine Mitstreiter es nicht gerettet hätten. Harrys Bude gibt es seit dem Sommer 2020. Das Prinzip ist ebenso einfach wie effektiv: Im Container vor der Kirche Sankt Maria an der Tübinger Straße werden gerettete Lebensmittel verteilt, ähnlich wie in den Fairteilern der Organisation Foodsharing. Das Besondere ist, dass sie zum großen Teil direkt an Bedürftige gehen. Andrea Laux von der Bürgerstiftung, die das Projekt unterstützt, spricht von einer „sozialen Innovation“: Müllvermeidung, Klimaschutz plus Armutsbekämpfung.

Harry Pfau (62) ist das Gesicht von Harrys Bude. Viele Probleme der gut 300 Menschen, die sich täglich hier Essen holen – Tendenz steigend –, kennt er. 13 Jahre lang war er selbst ohne Obdach. Nun engagiert er sich für andere, die wenig haben, und er predigt: „Es kann jeden treffen.“ 50 Ehrenamtliche helfen mit. Wer etwas mitnehmen will, wird nicht gefragt, inwiefern er bedürftig ist. Studenten kämen, Wohnungslose, Senioren und „Leute, die ganz normale Jobs haben“, bei denen durch Inflation und Energiekrise aber das Geld knapp sei, erklärt Harry Pfau. Seine Bude ist längst zum Treffpunkt geworden. „Essen ist eine Kulturtechnik, wo Menschen zusammenkommen, das geschieht über die Milieus hinweg“, sagt Laux. Auch die Politik ist auf das Prinzip aufmerksam geworden. Am Samstag hat Cem Özdemir (Grüne), Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, sich informiert. „Das ist die ideale Weise der Lebensmittelrettung“, sagte er, die Weitergabe an Bedürftige sei noch niederschwelliger als bei der Tafel.

Auch die Politik ist auf das Prinzip aufmerksam geworden

Tatsächlich soll aus dem Sozialexperiment Harrys Bude etwas erwachsen – eine App, die mittels künstlicher Intelligenz ermitteln soll, welche Lebensmittel noch genießbar sind, auch soll sie Tipps zur Verarbeitung geben. Vorangetrieben wird das Projekt von zwei Wissenschaftlern und Buden-Mitarbeitenden: Elena Ramirez ist Expertin auf dem Feld der Verhaltensökonomie und Kirchengemeinderätin, Juan Diaz ist Physiker und Gemeindemitglied. Geldgeber werden gesucht. „Die Leute haben Zweifel. Es fehlt an Wissen“, sagt Elena Ramirez.

Harry Pfau ist nominiert für den Ehrenamtspreis „Stuttgarter des Jahres“. Für Andrea Laux ist er bereits ein Gewinner. Sie nennt ihn einen „Glücksarbeiter, es ist zauberhaft, was hier passiert“. Die Begegnungen an Harrys Bude würden das soziale Miteinander stärken. Das findet auch Cem Özdemir: „Jeder hier ist wenigstens so wichtig wie ein Chefarzt, ein Unternehmer und ein Bundeskanzler.“