Wenn Dürre oder Starkregen die Ernte belasten, werden Nahrungsmittel knapper und teurer. Experten sehen die Erderwärmung zunehmend als Risiko für die Preisstabilität.
Obwohl die Inflation in Deutschland insgesamt nachlässt, machen rasante Preisanstiege bei einigen Lebensmitteln Schlagzeilen – ein wichtiger Faktor dahinter ist laut Fachleuten der Klimawandel. Angesichts explodierender Kosten für Kakao lautete das Motto zur diesjährigen Osterzeit: „Schokohasen in Gefahr“. Zuvor wurde bereits zum „Ölwechsel in der Küche“ geraten – wegen der kräftigen Verteuerung von Olivenöl. Auch Kaffee und Orangensaft sind in letzter Zeit stark im Preis gestiegen. Inwieweit wirken sich die Folgen der Erderwärmung an der Supermarktkasse aus?
Der Preis von Kakao hat sich seit Jahresbeginn verdoppelt
Wissenschaftliche Untersuchungen deuten darauf hin, dass der Klimawandel ein nicht zu unterschätzender Preistreiber ist, dessen Einfluss in Zukunft noch steigen dürfte – „Climateflation“ lautet der Fachbegriff dafür. „Dabei handelt es sich um Preissteigerungen, die durch die bereits stattfindenden klimatischen Veränderungen ausgelöst werden“, erklärt Ökonom Volkmar Baur von der Fondsgesellschaft Union Investment. Beispiele seien höhere Preise wegen Ernteausfällen durch Hitzewellen und Produktionsunterbrechungen aufgrund von Unwettern. Auch Logistikprobleme, wie der Stopp der Rheinschifffahrt aufgrund des Niedrigwassers 2018, zählten dazu.
Bei einzelnen Produkten scheint der Zusammenhang klar. Dass sich der Preis für Kakao seit Jahresbeginn mehr als verdoppelt hat, liegt laut Rohstoffanalysten maßgeblich an Wetterschwankungen, die schwache Ernten in Ghana und der Elfenbeinküste bewirkten – den mit einem Anteil von über 60 Prozent an der weltweiten Produktion wichtigsten Anbauländern. „Der Klimawandel hat die Lage verschärft“, meint Expertin Kerstin Weber von der Umweltschutzorganisation WWF. „Häufigere Dürreperioden und Starkregen führen zu mageren Erträgen und zur Ausbreitung von Pilzerkrankungen.“
Die Vereinten Nationen signalisieren bislang keine Eskalation auf breiterer Front
Auch beim Olivenöl, dessen Preis dem Analysehaus Barkow Consulting zufolge in den vergangenen zwei Jahren um fast 80 Prozent zulegte, gelten Ernteausfälle wegen Dürre und Trockenheit im Mittelmeerraum als entscheidende Faktoren. Der Kaffeeanbau litt unter heftigem Regen in Brasilien – auch hier gingen die Preise in den vergangenen Monaten kräftig nach oben. Ähnliche Entwicklungen waren auch schon bei Orangensaft zu beobachten, die Liste betroffener Güter ist noch länger. Handelt es sich bei solchen klimabedingten Preissprüngen noch um Einzelfälle und vorübergehende Ausreißer oder um einen größeren und dauerhaften Trend?
Der FAO Food Price Index der Vereinten Nationen signalisiert bislang keine Eskalation auf breiterer Front. Auch wenn das Barometer im März erstmals nach sieben Monaten mit Rückgängen wieder leicht anzog, lag es knapp acht Prozent unter seinem Vorjahreswert. In der Gesamtbetrachtung muss auch klar sein, dass „Climateflation“ nur einer von einer Reihe von Preistreibern bei Nahrungsmitteln ist. Als Hauptfaktoren galten in den letzten Jahren eher Folgen der Coronakrise und der Ukraine-Krieg.
Neuer Fachbegriff: „Greedflation“ – auf Deutsch „Gierflation“
Lebensmittelpreise können zudem stark durch Rohstoffspekulationen an den Finanzmärkten beeinflusst werden. Auch sind Unternehmen bei Preiserhöhungen um Ausreden generell nicht verlegen. Profitmaximierung, bei der die Preise stärker angehoben werden als wegen gestiegener Kosten notwendig, hat längst ihren eigenen Fachbegriff: „Greedflation“ – auf Deutsch „Gierflation“. Hier kann der Klimawandel für Firmen auch ein willkommenes Alibi sein.
Eine Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und der Europäischen Zentralbank (EZB) kommt jedoch zu dem Schluss, dass die Erderwärmung ein wesentlicher Teuerungsfaktor ist und auf längere Sicht die Preisstabilität bedroht. Konkret heißt es dort, dass steigende Temperaturen die Nahrungsmittelinflation bis 2035 jährlich um 3,2 Prozentpunkte und die Gesamtinflation um 1,18 Prozentpunkte antreiben könnten. Angesichts eines Inflationsziels von zwei Prozent in der Eurozone wäre das ein erhebliches Teuerungsrisiko.
Die europäischen Währungshüter haben das Problem längst auf dem Schirm
„Die Auswirkungen erstrecken sich über alle Nationen, wobei heiße Regionen und Sommer am stärksten betroffen sind und darauf hindeuten, dass die zukünftige Erwärmung diese Effekte verschlimmern wird“, schreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von PIK und EZB. Das Forscherteam untersuchte auch den Sommer 2022 in Europa, als Hitze und Trockenheit weitreichende Auswirkungen auf die Landwirtschaft und die Wirtschaft hatten: „Anhand unserer Ergebnisse schätzen wir, dass der extreme Hitzesommer die Lebensmittelinflation in Europa um etwa 0,6 Prozentpunkte erhöht hat“, erklärt Studienautor Maximilian Kotz vom PIK.
Die europäischen Währungshüterinnen und Währungshüter haben das Problem längst auf dem Schirm. „Die Anzahl an Naturkatastrophen und Unwetterereignissen steigt – und auch ihr Einfluss auf die Konjunktur und die Preise“, warnte Isabel Schnabel, deutsche Topökonomin im Direktorium der EZB, bereits im März 2022. „Zum Beispiel haben außergewöhnliche Dürren in großen Teilen der Welt zum starken Anstieg von Nahrungsmittelpreisen beigetragen, der eine schwere Last für Menschen ist, die ohnehin schon Probleme haben, über die Runden zu kommen.“
Klimaschonende Initiativen sollten mehr gefördert werden
Einige Experten fordern, dass die Notenbank ihre Geldpolitik zugunsten von klimaschonenden Initiativen anpasst. „Um die Energietransformation zu beschleunigen, braucht die EZB ein neues Instrument“, meinen die Wirtschaftswissenschaftler Dirk Schoenmaker und Rens van Tilburg in einer aktuellen Studie für die Brüsseler Denkfabrik Bruegel. Sie machen sich dafür stark, dass Geschäftsbanken vergünstigtes Zentralbankgeld erhalten, wenn sie damit Kredite vergeben oder Projekte finanzieren, von denen der Wandel zu Erneuerbaren Energien profitiert. Damit werde die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringert und zugleich die Preisstabilität gefördert.