Ursula und Hartmut Plocher sitzen im Esszimmer am Tisch und blättern im Fotoalbum. Mehr Bilder finden Sie in der Bildergalerie. Klicken Sie sich durch. Foto: factum/Granville

Sie leben an einem außergewöhnlichen Ort: Ursula und Hartmut Plocher haben eine Wohnung im Münchinger Schloss gemietet. Die Anfangszeit war nicht leicht.

Korntal-Münchingen - Ursula Plocher liebt es, ihre Wohnung zu dekorieren. In Glasvitrinen stehen Puppen und Bären, auf den Holzbalken Bierkrüge. Orchideen und Kürbisse zieren die Fensterbänke, die Wände hängen voller Bilder. Die Ecke mit den Orchideen werde sie bald aufgeben, sagt die 79-jährige Künstlerin. Die Pflanzen bereiteten zu viel Arbeit.

Zum Gestalten hat die Hobbyfotografin eine Menge Platz: Mit ihrem gleichaltrigen Mann Hartmut lebt sie auf rund 160 Quadratmetern im neuen Teil des Münchinger Schlosses. Die barocke Anlage mit Rokokoschmuck und Mansardendach von 1735 gehört der Familie Gehring. Insgesamt wohnen sechs Parteien im Neuen Schloss, zwei im Alten. Ursula und Hartmut Plochers Zuhause besteht aus einem großzügigen Wohnbereich plus drei weiteren Zimmern. Die Räume sind mit einem mehr als zehn Meter langen Flur miteinander verbunden. Das Ehepaar lebt nicht nur in historischen Mauern, sondern auch inmitten alter Holzmöbel aus der Familie. Im Esszimmer steht Großmutters Jugendstilsofa. Schauen die Plochers nach draußen, blicken sie in den Schlosshof und den Schlossgarten. Beides können sie nutzen. Im Garten wachsen Zwetschgen- und Apfelbäume, im Teich ziehen farbenprächtige Kois gemächlich ihre Bahnen. Hartmut Plocher grinst. „Familie und Freunde besuchen uns häufig und sehr gern.“ Wer zum ersten Mal vom Wohnort der Plochers hört oder ihn sieht, reagiert beeindruckt. Ähnlich erging es den beiden, als sie vor 53 Jahren das Münchinger Schloss betraten.

Neues Domizil ist dem Zufall zu verdanken

Es war der Zufall, der die Plochers zu Schlossbewohnern machte. Er unterrichtete an der Flattichschule, die in den 1960er Jahren einen Anbau erhielt. Der Schlossherr Heinz Gehring war der Architekt. Und er suchte neue Mieter für eine Wohnung im ersten Stock. „Ich habe die Ohren gespitzt“, sagt Hartmut Plocher und lacht. In der Einliegerwohnung seines Schwiegervaters war es mit drei Kindern recht eng. Ein Umzug kam der jungen Familie also gelegen. „Wir hatten 80 Quadratmeter. Unten Küche und Wohnzimmer, zwei Stockwerke drüber im Dachgeschoss Kinderzimmer und Schlafzimmer. Unpraktischer geht es nicht“, meint Ursula Plocher. Mit dem Wohnungsangebot hätten sie richtig Glück gehabt. „Im Schloss zu wohnen, ist ein großes Privileg“, sind die Plochers sich einig. Wobei sie feststellen, dass sie „betriebsblind“ wurden: Ihr Glück werde ihnen oft erst wieder bewusst, wenn sie sich daheim umschauen.

Trotzdem war die Anfangszeit schwierig: „Ich habe mich isoliert gefühlt“, erzählt Ursula Plocher. Ihr Mann war durch den Lehrerjob heimisch in Münchingen, sie dagegen fremd. Zudem hätten die Leute sie argwöhnisch beäugt. Ihnen war die Frau aus dem Schloss offenbar suspekt. Erst allmählich, als Ursula Plocher im ehemaligen Gartenhäuschen Bastelkurse gab, verschwand die Distanz. Ganz so, als hätten die Münchinger gemerkt, dass Ursula Plocher trotz ihres außergewöhnlichen Wohnorts ein Mensch ist wie sie.

Beruflich eine zweite Karriere gestartet

Mit den Händen arbeitet Plocher schon immer leidenschaftlich. Nach der Geburt der Kinder ließ sich die gelernte Sekretärin zur Puppenmacherin ausbilden. 25 Jahre lang stellte sie Porzellanpuppen her, etwa für das Unternehmen Breuninger. Ihr Atelier war dort, wo sie und ihr Mann heute wohnen. Gelebt haben sie zunächst in der vergleichbaren Wohnung nebenan, bis zur Renovierung vor zehn Jahren. „Unser Bereich war der komplette erste Stock“, sagt Plocher, die mit ihrer Arbeit erfolgreich war. Sie gewann „so ziemlich alle Wettbewerbe“, stellte weltweit aus, lehrte. Dennoch blieben die Einnahmen stets nur ein Zubrot. „Weil das Konto immer roter wurde, gab ich das Gewerbe auf.“ Das war 2003.

Von der Puppenproduktion hat die 79-Jährige daraufhin auf Fotografie umgesattelt. „Erst habe ich nur geknipst, jetzt fotografiere ich“ – am liebsten Tropfen. Die nötige Apparatur für die sogenannte Tropfen-Fotografie hat sie selbst gebaut. Plocher ist Mitglied der Fotokomün, ein Zusammenschluss von 14 Hobbyfotografen, und sie präsentiert ihre Werke regelmäßig der Öffentlichkeit, zuletzt beim Münchinger Kunsttag. Dabei öffnet sie auch ihr kleines Fotostudio, jenes frühere Gartenhaus, das lange den Bastel- und Puppenkursen diente. Ihre Werke hängen auch im Eingangsbereich des Schlosses und im Flur. Ursula Plocher dekoriert eben für ihr Leben gern.