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Die Oberbürgermeisterkandidaten der im Gemeinderat vertretenen Parteien diskutierten über Details des umstrittenen LBBW-Deals.

Stuttgart - Die Stimmung im Saal der Martinsgemeinde im Nordbahnhofviertel ist aufgeheizt. Rund 80 betroffene Mieter haben sich am Samstagnachmittag eingefunden, um von den anwesenden OB-Kandidaten zu erfahren, wie sie als zukünftiges Stadtoberhaupt ab Herbst mit dem früheren Wohnungsbestand der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) verfahren würden.

Es geht um eines der großen Reizthemen der vergangenen Monate. Im Februar waren landesweit rund 21 000 Wohnungen für 1,4 Milliarden Euro an die Augsburger Patrizia AG verkauft worden. Ein Großteil der 3800 Stuttgarter Wohnungen befinden sich im Nordbahnhofsviertel, wo viele Mieter auf die für Stuttgarter Verhältnisse günstigen Mieten angewiesen sind. Nun scheinen sich die Befürchtungen der Mieter zu erfüllen: Trotz einst anderslautender Bekundungen gab es zum 1. September bereits erste Mieterhöhungen. Auch die dem Verkauf zugrunde liegende Sozialcharta ist höchst umstritten – auch bei den OB-Kandidaten.

Fritz Kuhn (Grüne), Bettina Wilhelm (für die SPD) und Hannes Rockenbauch (SÖS) waren der Einladung der Mieterinitiative LBBW-Patrizia gefolgt, Sebastian Turner (für CDU/FDP/Freie Wähler) hatte terminbedingt abgesagt. Er ließ sich vom Landtagsabgeordneten Reinhard Löffler (CDU) vertreten, der das Nordbahnhofviertel als Eisenbahnersohn noch von früher kennt.

Der Verkauf der Wohnungen an die Patrizia AG sei ein Fehler von Stadt und Landesregierung gewesen, sagte Fritz Kuhn (Grüne). „Stuttgart hätte mehr bieten müssen, um den Zuschlag zu bekommen.“ Hinsichtlich seiner möglichen Amtszeit als Oberbürgermeister forderte er zudem, mehr Wohnungen zu bauen. „Nach dem Rückgang der letzten Jahre brauchen wir künftig 300 neue sozial geförderte Wohnungen jährlich.“

Sozialwohnungen im Rosensteinviertel?

SPD-Kandidatin Bettina Wilhelm erklärte, sie rege sich „fürchterlich auf über den Verkauf“. Nun müsse der Kündigungsschutz der Mieter auf 20 Jahre erweitert und die Sozialcharta nachverhandelt werden. Die Kosten für mögliche Sanierungen dürften nicht an den Mietern hängen bleiben. Darüber hinaus sei ein Förderprogramm des Landes nötig, um in Stuttgart jährlich rund 150 Wohnungen bauen zu können.

Der Darstellung seiner beiden Konkurrenten widersprach Hannes Rockenbauch (SÖS) energisch: „Das Problem ist nicht, dass wir zu wenige Wohnungen bauen, sondern dass jährlich 400 Wohnungen aus der Mietpreisbindung herausfallen.“ Die Reaktion darauf könne nicht wildes Bauen sein. „Die Stadt muss langfristige Bodenpolitik betreiben und mit auf den Markt gehen“, forderte er. Kuhns Vorschlag, im Rosensteinviertel Sozialwohnungen zu bauen, erteilte er eine Absage: „Die Fläche zu bebauen ist Quatsch, schließlich handelt es sich um eine Frischluftschneise für die ganze Stadt.“

„Der Verkauf der Wohnungen war kein Fehler“, erklärte wiederum Reinhard Löffler und erntete erboste Zwischenrufe. Der Verkauf sei von der EU vorgegeben gewesen. Der größte Fehler sei es, den Menschen nicht die Wahrheit über die Bedingungen zu sagen. Er kritisierte, dass die Landesregierung die Sozialcharta nicht öffentlich mache und forderte: „Die Charta muss weg und vom künftigen OB neu verhandelt werden.“

Trotz vieler freundlicher Worte für die betroffenen Mieter zeigten sich manche nicht überzeugt. „Ihr habt genau gewusst, wozu der Verkauf führt!“, rief ein Herr am Mikrofon an die vermeintlichen Vertreter der Landesregierung Kuhn und Wilhelm gerichtet. „Ich lasse mich nicht in Sippenhaft nehmen“, erklärte die SPD-Kandidatin.

„Ist bezahlbarer Wohnraum an den Einkommen der Mieter orientiert, oder geht es nur um die Rendite für Spekulanten?“, hatte Günter Krappweis, Vorsitzender der Mieterinitiative eingangs gefragt. Eine einfache Antwort gab es an diesem Abend nicht.