Jörg Piringer, Künstler, Lautpoet und Informatiker aus Wien. Foto: Georg Linsenmann

Computer können sogar aus Suchbegriffen Sonaten komponieren. Wie derlei Experimentelles klingt, war bei einer Performance im Literaturhaus zu hören.

S-Mitte - Radikale Sprachkritik. Das war das entscheidende Motiv bei der Geburt der Lautpoesie moderner Prägung. Durchgeschüttelt von den auch geistigen Verheerungen des Ersten Weltkriegs, schien die einschlägige Nutzung der Sprache deren Ursachen eher zu verschleiern als zu klären. Ähnlich die Wiedergeburt der Lautpoesie nach dem Zweiten Weltkrieg, wo der propagandistische Missbrauch der Sprache ein ganzes „Wörterbuch des Unmenschen“ gefüllt hatte. Künftig aber solle die Sprache „kein Rechtfertigungsvehikel mehr für weltanschaulichen Unfug“ sein, wie Max Bense, der Spiritus rector der „Stuttgarter Schule“ der Konkreten Poesie in den 1950er Jahren proklamierte. Dekonstruktion und absolut rationale Rekonstruktion war die Aufgabe.

Und heute? Andere Vorzeichen – und doch dieselbe Herausforderung. So sieht es jedenfalls Johannes Auer, Lautpoet und Kurator der vierten Auflage des „Laut P – Literatur & Strom“-Festivals des Literaturhauses: „Einer Angela Merkel zum Beispiel kann ich schon lange nicht mehr zuhören. Das rauscht nur noch an mir vorbei.“ Zwischen „Sprachmüll“ und „digitalem Wolkenkuckucksheim“ reklamiert er das Eintauchen „in die tiefste Alchemie der Sprache“. Wie Dada und Co, wie Hugo Ball und Kurt Schwitters etwa, wie die eminent politischen Pariser Lettristen – und die Stuttgarter Konkreten. Und weil die Lautpoeten des Festivals den Computer, die Hypermaschine der Gegenwart, als Werkzeug nutzen, rief er dem Publikum im Literaturhaus zu: „Willkommen bei der Avantgarde!“

Die Latte lag hoch – aber nicht zu hoch

Damit war die Latte ziemlich hoch gelegt. Jörg Piringer aber, Künstler, Lautpoet und Informatiker aus Wien, konnte das nicht schrecken. In seiner computerbasierten, audiovisuellen Poesie-Performance nutzt er das Grundprinzip der digitalen Maschine, alles algorithmisch zu verrechnen, also auch Töne. Im synchronen Gebrauch von Mikrofon und Tastatur setzt er so das nackte Alphabet einem experimentellen Stresstest aus. Eine Performance, die sich auch ohne tiefere Kenntnis vom Dschungel des Binärcodes, zu einem grandiosen visuellen Ereignis auswächst.

Akkurat sortiert, erscheint auf der Großleinwand das Alphabet als Ausgangsmaterial, bevor es in unendlich scheinender Variation gerüttelt, geschüttelt, geschichtet, gestoßen, geflippert, geballt und wieder zerrissen und neu sortiert wird. Vom sanften Solo und Pas de deux der Buchstaben bis zur wilden, anarchischen Hatz im Jeder gegen Jeden.

Der Autor ist nicht mehr Knecht der Maschine

Neben der grafischen Sensation wird eines evident: Der Autor ist hier nicht mehr Knecht, sondern Herr von Maschine und Material. Als Interface, als Schnittstelle zwischen beiden. So ist dieses „Technopoem“ nichts weniger als eine Befreiung des Subjekts aus der digitalen Knechtschaft, die nebenbei zu einer ästhetischen Erfahrung wird.

Ähnliches geschieht bei der Aufführung der „SearchSonata 181“ von Johannes Auer, Beat Suter und René Bauer, an der zudem das Publikum beteiligt ist: per Eingabe von Google-Suchwörtern, die in Echtzeit zu Passwörten generiert werden. Dabei entsteht ein Buchstaben-Mäander, der von Christiane Maschajechi live gelesen und vokal interpretiert wird: eine grandiose Performance mit Schwitters Ursonate als Hintergrund, in der die emotionalisierten rhetorischen Hohlformen des Polit-Sprech als lächerliche Instrumente der Manipulation kenntlich werden.

Was die beiden Performances verbindet? Nichts ist, wie andernorts in der Politik gerne postuliert, „alternativlos“ bei diesem Gebrauch des sprachlichen Grundmaterials. Entscheidend wird das subjektive Moment, das „human interface“ als Mittler und Akteur. So wird prozesshafte Konzeptkunst pur erlebbar. Von eigenem ästhetischen Wert und mit einer Stoßrichtung, die an Fragwürdigkeiten unserer Gegenwart rührt. Im „Sinngehalt die reine „metaphysische Ungemütlichkeit“ à la Max Bense und Stuttgarter Schule – und doch über diese hinausweisend: Voilà, willkommen bei der Avantgarde der Lautpoesie!