Erst der Spaß, dann die Scham? Auch viele junge Frauen werden noch heute gesellschaftlich stigmatisiert, wenn sie sich mit vermeintlich zu vielen Männern einlassen, beobachtet Claudia Huber. Foto: stock.adobe.com/contrastwerkstatt

Frauen, die mit mehreren Männern Sex hatten, werden auch 2020 gesellschaftlich noch als Schlampen abgestempelt. Unsere Kolumnistin Claudia Huber könnte da an die Decke gehen – und hat eine klare Botschaft für Männer, die am liebsten eine Jungfrau hätten.

Stuttgart - Neulich stöberte ich in alten Sachen rum und ich blätterte ein altes Poesiealbum durch. Eine meiner Omas hatte mir dort einen Spruch hinterlassen: „Der Ruf eines Mädchens hängt am seidenen Fädchen.“ Damals, als Kind, konnte ich mir darauf keinen Reim machen. Jetzt ist mir klar, was damit gemeint war: Du musst darauf achten, nicht mit zu vielen Männern zu schlafen, oder so ähnlich. Heute würde man sagen: um nicht als Schlampe abgestempelt zu werden.

Slutshaming ist mir persönlich zum Glück sonst kaum untergekommen. Aber es ist auch 2020 noch ein Phänomen und ist sogar bei der jüngeren Generation noch ein Thema, bei den so 17- oder 18-Jährigen. Je älter man wird, so scheint es mir, desto egaler ist es, wie viele Sexpartner man hatte.

Wer will schon eine Frau, die tindert?

Slutshaming kommt aus vielen Ecken: Einmal gibt es die Frauen, die womöglich einfach neidisch auf den entspannten Umgang mit Sex sind und die versuchen, andere darüber herabzuwürdigen. Das gibt es nicht nur in der Schule, sondern auch noch in der Arbeitswelt. Ich halte das für äußerst unprofessionell und es sagt viel über das Mindset solcher Leute aus.

Und dann gibt es die diffusen Bildern von Männern. Erschreckend war, was mir eine Kollegin neulich schilderte, eine Sexualberaterin, die viel mit Jugendlichen arbeitet. Ein Junge meinte wohl zu Frauen, die via Tinder Dates suchen: Die würde ich auf keinen Fall noch zur Freundin haben wollen!

Supererfahrene Jungfrauen gibt es nicht

Es gibt da eine beunruhigende Ambivalenz im Frauenbild. Einerseits wollen manche Männer vermeintlich anständige Frauen als Partnerin, andererseits sollen sie für den Sex total offen sein. Supererfahrene Jungfrauen – so was gibt es nur in der Fantasie. Männern, die so denken, kann ich eigentlich nur sagen: Was ist der Reiz daran? Wieso sind sexuell offene Frauen vermeintlich nicht mehr partnerschaftstauglich? Schließt ihr von euch auf andere? Macht’s euch selber!

Soweit mir bekannt ist, gibt es bei Frauen zum Glück keine Angeberei wie „ich hatte den und den und den“ weil uns klar ist, dass man dafür keinen Pokal bekommt. Trotzdem kann man natürlich reflektiert darüber nachdenken, ob das eigene Date-Verhalten einem selber guttut – und das sollte wirklich der einzige Maßstab sein. Eine Frage, die man sich vielleicht stellen sollte, ist: Habe ich wirklich Spaß daran oder mach ich’s nur, um meinen Selbstwert aufzupushen?

Lesen Sie hier alle unsere Teile unserer Kolumne: Über Liebe, Sex und Intimes – alle Folgen im Überblick