Die lange Nacht der Museen Stuttgarter lockt die Menschen in die Innenstadt. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die lange Nacht der Museen in Stuttgart lockte wieder zahlreiche Menschen an die Kulturorte der Stadt. Ein Überblick, was am Abend erlebt werden konnte.

„Endlich wieder!“ Das hört man an diesem Samstagabend oft. Das Paar, das fast unisono diese beiden Wörter sagt, sitzt in der guten Stube des Alten Schlosses, der Dürnitz, dem mittelalterlichen Gemeinschaftsraum des Landesmuseums Württemberg.

„Endlich wieder findet 2022 die Lange Nacht der Museen statt!“, schwärmen die Winnender. Musste doch die Tour des Stuttgart-Magazins Lift, die seit 1999 jährlich zahlreiche Menschen aus Stadt und Region zu Ausstellungen und Kulturevents bringt, wegen Corona zwei Mal in Folge abgesagt werden.

Bunker unter dem Marktplatz

„Wir haben das Event vermisst, kommen schon seit über zehn Jahren“, so die beiden- „Toll, dass in den Häusern neben Kunst auch Bands, Performances, Tanz und mehr geboten ist.“ Bei Drinks und DJ-Live-Lounge-Musik blättern sie nun erst einmal durchs Programmheft, planen ihre Route durch die Institutionen. 43 Kulturorte machen dieses Jahr mit – im Ticketpreis enthalten ist die Anfahrt per Stadtbahn, S-Bahn und Bus der SSB sowie Shuttle an entferntere Orte. Sollen sie gleich zu den „Wahren Schätzen“ im Landesmuseum und zu deren Ausgrabungsstätte unter dem Haus? Ins nahe Kunstmuseum, wo unter anderem Werke von Tobias Rehberger und Gego alias Getrud Goldschmidt zu sehen sind?

„Wir lassen uns treiben, je nach Andrang!“ Neu dabei sei ja das Museum der Illusionen, dieser Blick in die Welt der optischen Täuschungen, wie Augen Dinge sehen und das Gehirn sie verarbeitet, will sich das Paar nicht entgehen lassen. „Und manche Orte öffnen ja nur heute, wie der Bunker unter dem Marktplatz.“

„Eine Stunde Wartezeit“

Um in diesen hinabzusteigen, reihen sich früh Menschen in eine enorme Schlange. „Eine Stunde Wartezeit“, sagt die 31-jährge Yeliz, die mit Mutter und Schwester wieder aus den Katakomben auftaucht. „Aber es hat sich gelohnt – der Ort, die Fotos, wie das mal war, die Atmosphäre, spannend, aber in diesen Zeiten, in denen wieder Krieg herrscht, auch mahnend.“ Das gelte auch für den Stolperstein-Rundgang, den Räumen der ehemaligen Gestapozentrale Hotel Silber oder der Ausstellung „Hass. Was uns bewegt“ im Haus der Geschichte, meint dazu Lukas, der gerade von letzterem kommt und nun ins Rathaus will, das erstmals bei der Langen Nacht dabei ist.

Drinnen betont Veranstaltungsmanagerin Sabrina Knorr, dass man nicht mit so vielen Besuchenden gerechnet hätte. Insbesondere eine Fahrt im Paternoster sei gefragt. Aber auch der Balkon des Feiersaals: So manches Selfie entsteht da – mit Blick auf die Boliden, etwa einem Ferrari Baujahr 1971, die sich inmitten des Marktplatz aufreihen. Die Oldtimer werben für das legendäre Solitude-Rennen, das im Juli wieder stattfinden soll – mit Württembergischem Automobilclub 1899, Verein „Solitude Revival“ und dem „Rollenden Museum“. Das präsentiert auch vor dem Mercedes-Benz Museum seine Klassiker – und bietet kurze Spritztouren an, während drinnen die Geschichte des SL-Sportwagens ausgebreitet wird.

Kambodschanische Künstler Khvay Samnang

Pinsel und Grafit ausgepackt haben Künstlerinnen im DOQU Dorotheenquartier, wer dort flaniert, kann sich porträtieren lassen. Im angrenzenden Institut für Auslandsbeziehungen indes lautet der Ausstellungstitel „Das Land tanzen“: Der kambodschanische Künstler Khvay Samnang beschäftigt sich in seinen Performances mit Raubbau an der Natur und der Frage, wem Land gehört und wie in Zukunft ein respektvolles Miteinander möglich ist. „Beeindruckend und bewegend“, kommentiert ein Mitdreißiger, der eigens aus Horb gekommen ist.

Bevor er noch die „Subkultur“ bei den Wagenhallen, die „O-Ton-Nachtführung Weissenhof“ und den Württembergischen Kunstverein empfiehlt, meint er anerkennend: „Entlang der Kulturmeile geht es richtig politisch zu!“ Gibt es doch im Stadtpalais Einblicke in Kultur, Wirtschaft und Politik der Zwanzigerjahre Stuttgarts, in Ludwig Windstossers experimentelle Industriefotografie und Heiko Stachels 360-Grad-Aufnahmen von „VRgangenen Orten“. Und im Neuen Schloss lockt ein eindrücklicher Rundgang mit Plakaten und Projektionen zu „Demokratie und Zusammenhalt“: An den Decken drehen und wenden sich Worte von Politikern und Politikerinnen wie unter anderem Hildegard Hamm-Brücher, Rita Süssmuth, Richard von Weizsäcker oder Theodor Heuss, der etwa erklärte: „De Worte Demokratie und Freiheit sind nicht bloß Worte, sondern lebensgestaltende Werte.

Containern mit Malerei und Installationen

Künstlerisches und Politisches mischt sich auch im Hafen Stuttgart – in Containern mit Malerei und Installationen. Eine dunkle Box mit Schiffsmaschinengeräusche erinnert an Flucht, „Boarding Passes“ zu den Hafenrundfahrten gemahnen an Reisefreiheit und den Zusammenhang der Dinge in einer globalisierten Welt.

Die infrastrukturellen Zusammenhänge einer Stadt werden im Regenüberlaufbecken beim Leuze deutlich, dem größten Stuttgarts, in das die Besuchenden der Langen Nacht 2022 erstmals hinabsteigen dürfen. „Wow“, schwärmt ein Teenager. „So ein Entwässerungssystem ist schon komplex. Jetzt ist es nach elf Uhr – und ich könnte immer noch weitermachen, so viele unterschiedliche Themen sind zu entdecken.“