Landwirt Christoph Glaser aus Schlat stellt sich den Herausforderungen Foto: Horst Rudel

Der Milchpreis bewegt sich wie auf einer Achterbahn – steigt mal kräftig an und fällt dann wieder stark ab. Das zermürbt die Bauern zunehmend. Viele geben ihre Höfe auf. Wie es gelingt, mit den Schwankungen umzugehen, zeigt Bauer Christoph Glaser.

Göppingen - Zuweilen erinnert Christoph Glaser an einen modernen Zulieferer für die Industrie. In seiner Fabrik lässt er Produkte herstellen, die auf dem Weltmarkt gehandelt und weiterverarbeitet werden. Maschinen summen in der Halle und Lastwagen fahren am Morgen auf das Gelände, um die Erzeugnisse abzuholen. Doch wenn Christoph Glaser aus seinem Büro durch das Fenster in die Produktionsstätte blickt, sieht er keine Angestellten im Blaumann, sondern Kühe, die sich vor der Melkmaschine reihen.

„Der Landwirt ist heute mehr Unternehmer als Bauer“, sagt Glaser – stämmiger Körperbau, bubenhafte Augen. In Gummistiefeln sitzt er auf dem Drehstuhl und studiert die Grafiken und Diagramme auf dem Computerbildschirm. Zu sehen ist der Fett- und Eiweißgehalt der Milch, die seine 60 Kühe im Moment produzieren. Namen haben die Tiere keine, nur Nummern. Das sei einfacher, versichert Glaser. Mithilfe von Big Data behält er sein Geschäft auf dem Hof in Schlat, im Landkreis Göppingen im Blick. Ein Wlan-Router ist im Büro an der Wand montiert. An der Decke baumelt der „Muggafänger“, der elektrische Insektenvernichter, der hin und wieder Geräusche macht, wenn ihn eine Fliege heimsucht.

Einer von 7200 Milchviehhaltern in Baden-Württemberg

Glaser ist einer von 7200 Milchviehhaltern in Baden-Württemberg. Doch seine Spezies wird seltener: Noch vor knapp zwei Jahren gab es im Land 1000 Milchbetriebe mehr. Der Grund für das Höfesterben liegt auch am Milchpreis. Denn wer heute mit Milch handelt, braucht mehr als starke Nerven. Seit dem Ende der Milchquote vor zwei Jahren durch die Europäische Union (EU), schwankt der Preis im Jahr schon mal um zehn Cent. Große Überproduktionen in Form von Milchseen und Butterbergen gehören seither zwar der Vergangenheit an. Doch das Spiel um Angebot und Nachfrage verlangt von den Bauern Fähigkeiten ab, die vorher nur wenige ausgebildet hatten: unternehmerische Weitsicht.

So sieht das zumindest Anton Weber. Der Landwirt aus Schwäbisch Gmünd begleitet seit mehr als 40 Jahren Milchverhandlungen zwischen Molkereien und dem Einzelhandel und kennt den Markt. Er glaubt, dass Bauern lernen müssen, mit der neuen Situation umzugehen. „Wenn heute auf Weltmärkten aufgrund einer Krise drei Prozent der Milch wegfällt, kann der Preis um 25 Prozent nach oben schnellen“, sagt Weber. Ebenso schnell kann der Preis aber auch einbrechen. Das müssten Bauern berücksichtigen und Investitionen vorsichtiger planen.

100 000 Euro investiert

Landwirt Glaser ist dieser Umstand auch fast schon zum Verhängnis geworden, als er vor fünf Jahren den Hof von seinem Onkel übernommen hat. 100 000 Euro investierte er mit Anfang 20 in den neuen Stall und kaufte einen automatischen Melkstand, um die Grundkosten, wie etwa Löhne oder Arztkosten, zu senken. Denn die Maschine ist auch ein Frühwarnsystem, das die Tiere bei jedem Melken auf ihre Gesundheit überprüft. Just zu dieser Zeit fiel der Milchpreis im Zuge des Russlandembargos auf 21 Cent. Die Banken aber wollten ihr Geld. Ein Kollege nach dem anderen gab seinen Betrieb auf. Glaser hielt durch. „Es war nicht einfach“, sagt er. Nur wenige Monate danach zog der Milchpreis wieder an – Landwirte wie er atmeten auf.

„Ich muss vom Milchpreis unabhängiger werden“, sagt Glaser. Seit wenigen Tagen ist klar, dass die Landwirte in den nächsten Monaten etwa 38 Cent für einen Kilogramm Milch bekommen. Der Betrag ist etwas geringer als in den Wochen vorher, doch Glaser ist zufrieden: „Davon kann man leben.“ Am Ende ist es für ihn eine einfache Rechnung: Fällt der Milchpreis pro Kilogramm unter 30 Cent, macht er mit jeder Tanklieferung von 1000 Kilogramm, die mit seinem Produkt zur Molkerei fährt, Verlust. Liegt der Betrag über 30 Cent, kann er die Bankzinsen begleichen, Löhne bezahlen, Investitionen planen und auch in den Urlaub fliegen. Von der Milch unabhängiger werden, heißt für ihn vor allem: in andere Bereiche und Güter investieren – zum Beispiel in den Obstbau.

Aprilfrost hat die Obsternte zunichte gemacht

Mit festem Schritt geht Glaser vom Hof zu den Weiden. Saftiges Gras und Apfelbäume wachsen links und rechts des Weges. Es ist herrliches Herbstwetter, die Sonne scheint, erdige Luft steigt in die Nase. Weit hinten am Horizont thronen die Kaiserberge. 2,5 Hektar bewirtschaftet Glaser neben der Milchproduktion. In guten Jahren machen die Äpfel, Zwetschgen und Kirschen schon mal 50 Prozent der Einnahmen aus. In diesem Jahr fiel die Ernte wegen des Aprilfrosts aber fast vollständig ins Wasser.

Glaser erzählt von der Erntearbeit im Sommer. Davon, dass er mit dem Geld auf einen Stundenlohn komme, der nicht höher als der Mindestlohn liege. Er verbiete sich aber eine solche Rechnung, denn er mache seine Arbeit gerne. 30 Urlaubstage nehme er sich im Jahr. Dank der Technik könne er am Abend Freunde treffen und morgens auch mal bis 7 Uhr schlafen.

Steigerung der Milchqualität

Plötzlich stoppt Glaser. „Da ist das neue Kalb“, sagt er. Ein Jäger hatte ihm erzählt, das eines seiner Kühe gekalbt hatte. Glaser stellt die schwangeren Tiere auf die Weide und lässt sie frisches Gras fressen. Das steigere die Milchqualität, sagt er. Er steigt über den Elektrozaun, geht vorsichtig auf das kleine Tier zu. Mit glänzend schwarzem Fell liegt das Kalb nur wenige Meter von seiner Mutter auf der Erde und registriert jede Bewegung, die Glaser macht. Etwa zwei Jahre wird es nun dauern, bis aus dem Kalb eine Kuh wird und auch sie besamt wird, um Milch zu produzieren. Dann geht der Zyklus von vorne los: Besamung, Kalben, Milchproduktion.

Mit einem Lächeln steigt Glaser wieder über den Zaun. „Wenn man das einmal erlebt, weiß man, warum diese Arbeit besonders ist“, sagt er. Es sei eben ein Unterschied, ob man mit Metal oder mit Tieren zu tun habe. Später wird er das Tier mit einem Anhänger in den Stall transportieren und ihm eine Nummer vergeben.

Weitere Idee um unabhängiger von der Milchvermarktung zu werden

Vor kurzem hatte er eine weitere eine Idee, wie er sich von der Milch unabhängiger machen kann. Er fährt zu seinem Elternhaus nach Schlat hinein, drei Minuten vom Hof entfernt. Mutter Ingeborg hat am Wegesrand bereits den Verkaufsstand für das Obst aufgestellt. In der Garage verkauft die Familie selbstgebrannte Schnäpse und regionale Spezialitäten. Daneben soll das dritte wirtschaftliche Standbein für den Landwirt dazu kommen. Glaser deutet auf den alten Stall neben dem Haus. In Kürze soll daraus ein Café werden. Dort wo heute Traktoren stehen, sollen es sich bald Gäste gemütlich machen. Sie sollen Lebensmittel direkt vom Erzeuger serviert bekommen. Vorbeifahrende Touristen gäbe es in der Gegend genug, sagt auch seine Mutter. „In anderen Wirtschaftszweigen sind unsichere Märkte normal. Jetzt müssen auch wir Bauern lernen, mit der freien Wirtschaft umzugehen“, sagt Glaser.