Glyphosat wird auch in Deutschland auf vielen Äckern eingesetzt, um Unkräuter zu bekämpfen. Foto: Adobe Stock

Die EU-Länder müssen sich jetzt einigen, ob die Zulassung des umstrittenen Unkrautvernichtungsmittels verlängert wird oder nicht. Doch über die gesundheitlichen und ökologischen Risiken wird heftig debattiert.

Brüssel - Unangenehme Entscheidungen und Arbeiten schiebt man gerne auf. Gewonnen ist dadurch am Ende allerdings meist nichts – das ist auch im Fall Glyphosat nicht anders. Bereits zwei Mal wurde die Zulassung des Pflanzenschutzmittels um einige Monate verlängert, weil sich die EU-Mitgliedsländer nicht auf ein grundsätzliches „Ja“ oder „Nein“ einigen konnten. Heute muss eine Entscheidung getroffen werden – und es sieht nicht danach aus, als hätten sich Gegner und Befürworter des Mittels in den vergangenen Monaten irgendwie angenähert. Im Gegenteil. Über die Auswirkungen des meistgenutzten Pflanzenschutzmittels ist ein heftiger Streit entbrannt.

Erstmals bekannt wurde Glyphosat unter dem Markennamen „Roundup“, was so viel wie „Razzia“ heißt. Doch eine Razzia ist es eigentlich nicht, die auf dem Feld stattfindet. Denn Glyphosat tötet als Totalherbizid nicht nur unerwünschte Unkräuter ab, es lässt ausnahmslos alle Pflanzen eingehen, die gerade auf dem Feld wachsen. Für viele Landwirte ist das die einfachste und beste Lösung, um die Felder für den Anbau vorzubereiten. Denn Glyphosat wirkt nur kurze Zeit und auch nur bei Pflanzen, die bereits aus der Erde sprießen und den Wirkstoff über ihre Blätter aufnehmen können. Diese Eigenschaften haben Glyphosat seit der Einführung in den 1970er Jahren zum weltweit wichtigsten Pflanzenschutzmittel gemacht. In Deutschland wird bereits auf fast 40 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen Glyphosat eingesetzt – insgesamt waren es in den letzten Jahren 5000 bis 6000 Tonnen.

Pflanzen werden mit Roundup entfernt

Auch beim Anbau von Zwischenfrüchten wird Roundup verwendet. Diese Pflanzen werden zwischen der Ernte der einen und dem Anbau der nächsten Feldfrucht ausgesät, um Stickstoff im Boden zu binden und Bodenerosion zu verhindern. Zwischenfrüchte sorgten dafür, dass weniger Nitrat ins Grundwasser gelangt, betonen Bauernvertreter. Doch wenn der Winter wie in diesem Jahr nicht besonders frostig ausfällt, dann verrotten diese Pflanzen nicht von allein. Sie müssen im Frühjahr irgendwie auf andere Weise wieder vom Acker entfernt werden. Grundsätzlich gibt es dafür zwei Methoden: Entweder sie werden tief in den Boden eingepflügt oder die Pflanzen werden mit Pflanzenschutzmittel behandelt, was sie schnell absterben lässt. Letzteres geht schneller, schont den Boden und verbraucht weniger Sprit.

Die Hersteller preisen ihre Mittel daher als saubere und effektive Lösung für den Pflanzenschutz an. Glyphosat sei das am besten untersuchte Pflanzenschutzmittel, es sei abbaubar und toxikologisch harmlos, so die Argumente. Doch für die Agrarkonzerne steht auch ein riesiger Markt auf dem Spiel. Vor allem Monsanto hat eine großes Interesse an der Neuzulassung von Glyphosat, weil der Konzern nicht nur am Absatz des Mittels verdient, sondern auch am Verkauf von gentechnisch verändertem Saatgut, das jede Glyphosat-Behandlung übersteht. So können die Landwirte die Felder jederzeit unkrautfrei spritzen.

Weniger Klarheit denn je

Obwohl diverse Behörden und Institutionen sich in den letzten Jahren intensiv mit Wirkung und Folgen des Glyphosateinsatzes beschäftigt haben, herrscht momentan weniger Klarheit denn je: Die Internationale Behörde für Krebsforschung, die zur Weltgesundheitsorganisation (WHO) gehört, hält Glyphosat für potenziell krebsauslösend. Andere WHO-Experten, die das Glyphosat zusammen mit der Welternährungsorganisation FAO untersucht hatten, sehen hingegen keine gesundheitliche Gefahr. Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hält das Mittel für harmlos, sieht sich aber immer wieder mit Kritik zu seiner Methodik konfrontiert.

Wer sich in die Tiefen des Streits begibt, fühlt sich schon bald verloren: Hier wird die Zahl der Versuchstiere kritisiert, dort die Tumoranfälligkeit der Rattenart. Hier bemängeln die Gegner, dass Studien von Glyphosat-Herstellern finanziert wurden, dort wird darauf hingewiesen, dass die Hersteller verpflichtet sind, mit solchen Studien die Unbedenklichkeit ihres Mittels nachzuweisen. Gegner und Befürworter von Glyphosat werfen sich gegenseitig vor, „Junk-Science“ zu produzieren – eine Art „Fake-News“ der Wissenschaft.

Hitzige Debatte über Gesundheitsgefahr

In den hitzigen Debatten um eine mögliche Gesundheitsgefährdung durch das Pflanzengift gerät die Frage nach den ökologischen Folgen oft in den Hintergrund. Dass kurz vor der Entscheidung über die Neuzulassung von Glyphosat eine vielbeachtete Studie mit eigentlich lange bekannten Zahlen zum Insektenschwund veröffentlicht wurde, mag ein dezenter Hinweis aus der Wissenschaft gewesen sein: Es geht nicht nur um die Krebsgefahr von Glyphosat, es geht auch um das Ökosystem als Ganzes. Denn gerade weil Glyphosat so hervorragend alle unerwünschten Pflanzen bekämpft, kann es große Auswirkungen auf die Artenvielfalt haben.

Zwar schränkt jeder Ackerbau und jedes Pflanzenschutzmittel in der Regel die Biodiversität ein. Doch das zusätzliche Problem beim Glyphosat ist sein durchschlagender Erfolg: Wenn auch nur auf einem Drittel der 184 000 Quadratkilometer landwirtschaftlicher Fläche in Deutschland Glyphosat zum Einsatz kommt, werden jedes Jahr riesige Gebiete behandelt. Welche langfristigen Folgen das ür das Ökosystem hat, weiß man noch nicht. Hinzu kommt der oft nicht sachgemäße Einsatz in privaten Gärten, der in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen hat. In den USA gibt es zudem erhebliche Probleme mit resistenten Superunkräutern, gegen die das Herbizid nicht mehr wirkt.

Was sind die Alternativen?

Doch eine Landwirtschaft ganz ohne Glyphosat – auch das muss klar gesagt sein – würde viele Änderungen mit sich bringen. Denn die Alternativen sind schnell benannt: Entweder es kommen andere Pflanzenschutzmittel zum Einsatz, die in der Regel giftiger oder weniger wirksam sind. Oder das Unkraut wird mechanisch mit Hacke und Pflug bekämpft. Beim Pflügen müssen mit einem schweren Trecker rund 30 Zentimeter Boden umgedreht werden – ein Eingriff, der viel Treibstoff frisst, viel CO2 in die Luft bläst und auch für den Boden nicht unbedingt von Vorteil ist. Zumindest zeitweise rechnen viele Experten mit niedrigeren Erträgen und höheren Kosten.

http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.glyphosat-fragen-und-antworten.6b4af686-35bf-4292-8682-8b4e75d08467.html

Allzweckwaffe Glyphosat

Wirkstoff
Glyphosat gehört zu den Phosphonaten und findet breite Anwendung in Pflanzenschutzmitteln. Erstmals wurde es 1974 unter dem Handelsnamen „Roundup“ auf dem Markt eingeführt. In der europäischen Landwirtschaft wird es hauptsächlich dazu benutzt, Unkräuter vor oder nach dem Anbau von Feldfrüchten – dazu zählen Wintergetreide, Raps, Sonnenblumen, Mais und Zuckerrüben –, sowie in Obst- oder Weinanlagen zu bekämpfen.

Wirkung
Einmal über die Blätter aufgenommen, hindert das Mittel die Pflanzen daran, bestimmte Aminosäuren zu bilden, die für den Stoffwechsel nötig sind. Dadurch sterben die Pflanzen ab. Schon kurze Zeit nach der Glyphosat-Behandlung können auf dem dann freien Acker neue Pflanzen ausgesät werden und ohne Konkurrenz wachsen und gedeihen.

Resolution
Das Europäische Parlament hat am Dienstag in einer Resolution gefordert, das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat komplett zu verbieten. Der Beschluss sieht Einschränkungen in der Anwendung ab 2018 und ein Totalverbot innerhalb von fünf Jahren vor.

Zulassung
Die EU-Kommission muss nun entscheiden, ob und wie lange Glyphosat erneut in der EU zugelassen wird. Angestrebt wird derzeit eine Verlängerung um fünf bis sieben Jahre