"Überall sind radikale, rechtspopulistische Bewegungen und Parteien auf dem Vormarsch", sagt Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Foto: dpa

Die Flüchtlingskrise droht die Gesellschaft hierzulande zu spalten. Ministerpräsident Winfried Kretschmann spricht von einer „starken Polarisierung der Gesellschaft“ und kündigt an, wie er den Zusammenhalt stärken will.

Stuttgart - Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) will Bürgerforen veranstalten, um den sozialen Zusammenhalt im Land zu stärken. Das kündigte der 67-Jährige zwei Wochen vor der baden-württembergischen Landtagswahl in seiner Grundsatzrede „Was uns zusammenhält“ in Stuttgart an. Die Flüchtlingskrise habe zu einer starken Polarisierung der Gesellschaft geführt, sagte der Spitzenkandidat der Grünen. „Viele Menschen fühlen sich fremd im eigenen Land, sehen sich als Opfer gesellschaftlicher Veränderungen – Opfer, denen niemand zuhört, denen die Wahrheit vorenthalten wird und deren Ängste niemand mehr ernst nimmt.“

Zukunftskommission für gesellschaftlichen Zusammenhalt

Er wolle von den Menschen deshalb wissen, welche Aufgaben es für den sozialen Zusammenhalt gebe, wo Probleme seien und wie man sie lösen könne. Kretschmann betonte, dass Kritik bei den Veranstaltungen nicht verboten sei. Allerdings dürfe der Diskurs nicht in Misstönen untergehen. Man müsse die Mitte finden zwischen übertriebener politischer Korrektheit und hemmungslosem Verbalradikalismus. Denn auf Basis der in den Bürgerforen erarbeiteten Ergebnisse will der Spitzenkandidat der Grünen eine Zukunftskommission für gesellschaftlichen Zusammenhalt einsetzen.

Kretschmanns Idee zufolge soll sich diese aus Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur, Medien und Bürgergesellschaft zusammensetzen und eine Agenda für den Zusammenhalt im Land entwickeln.

Mit diesem Plan will Kretschmann einem weiteren Rechtsruck in der deutschen Gesellschaft und einer drohenden Renationalisierung entgegensteuern. „Überall sind radikale, rechtspopulistische Bewegungen und Parteien auf dem Vormarsch“, sagte der Ministerpräsident mit Blick auf die Umfragewerte der AfD sowie die jüngsten Wahlergebnisse in Frankreich, Polen, Großbritannien, den Niederlanden, Ungarn, Schweden und der Schweiz. Gemeinsam sei all diesen Bewegungen, „dass sie die Menschenrechte und zivilisatorische Errungenschaften infrage stellen und zur Diskriminierung von Minderheiten neigen“.

Kretschmann sieht zwei Gründe für den Rechtsruck

Für den Rechtsruck in Europa sieht der Ministerpräsident zwei Gründe. Zum einen nennt er eine „neue Phase der internationalen Unordnung“, die aus einem Machtverlust der USA, den zunehmenden kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten und der sich ausbreitenden Terrororganisation Islamischer Staat resultiere. Zum anderen gebe es in nahezu allen westlichen Demokratien eine „Krise unseres kulturellen Selbstverständnisses, eine zunehmende Unsicherheit im Hinblick auf die Frage, wer wir sind und was uns ausmacht“.

In Baden-Württemberg habe man beim Thema Zuwanderung in der Vergangenheit „vieles richtig“ gemacht. Rund 27 Prozent der Menschen im Südwesten haben mittlerweile einen Migrationshintergrund. Die allermeisten seien integriert. Und das wirke sich auf den Zusammenhalt der Gesellschaft in Baden-Württemberg aus, der „überdurchschnittlich gut“ sei. Für Kretschmann ist dies auch ein Verdienst der Unternehmen: „Die Wirtschaft als Arbeitgeberin war in den letzten Jahrzehnten ein Garant für eine gelungene Integration.“ Die tägliche Zusammenarbeit bringe die unterschiedlichsten Menschen zusammen, sagte er, die starke Wirtschaft sei die beste Wegzehrung für den Weg in die Zukunft.

Der Grünen-Politiker sagte in seiner fast einstündigen Rede vor etwa 200 geladenen Gästen im Haus der Architekten zudem, dass es mit ihm keine No-go-Areas geben werde: „Der öffentliche Raum ist uns heilig.“ Dazu werde die Polizei gestärkt. Um eine Ghettoisierung in Städten zu vermeiden, sprach sich Kretschmann für eine Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge aus. „Sie können weiterhin Verwandte in anderen Bundesländern besuchen oder zu Vorstellungsgesprächen in eine andere Stadt fahren“, erklärte er, „aber der Lebensmittelpunkt muss in der Kommune liegen, der sie zugeteilt werden.“ So könne man Flüchtlinge besser verteilen und die Voraussetzung schaffen für eine bestmögliche Integration.