Der SPD-Ministerpräsident und -Spitzenkandidat Torsten Albig gibt sich siegessicher – doch sein CDU-Kontrahent Daniel Günther hat mächtig aufgeholt.Foto:dpa Foto:  

Noch profitiert SPD-Ministerpräsident Torsten Albig in Kiel von der Schwäche der CDU. Aber deren Spitzenmann Daniel Günther legt vor der Landtagswahl am 7. Mai zu – und liegt in den jüngsten Umfragen mit seiner Partei sogar vorn.

Kiel - Es ist ein Heimspiel für Torsten Albig im historischen Festsaal des Restaurants am Rathaus von Schönberg (Kreis Plön) an der Ostsee. Ihm wird beim Bürgergespräch wie einem Landesfürsten gehuldigt, und der SPD-Ortsvorsitzende von Schönberg wird zum Auftakt von der Moderatorin gefragt, wann er dem „Herrn Ministerpräsidenten“ zum ersten Mal begegnet sei. Ganz so, als ob das ein Erweckungserlebnis gewesen sein müsse. Im Laufe des Abends geht es viel um störende Windrotoren, und Albig, seit fünf Jahren SPD-Regierungschef in Kiel, darf erklären, ob er gern zur Schule gegangen sei, und darauf hinweisen, dass sein Vater einfacher Soldat und seine Mutter Supermarktkassiererin gewesen sein – also auch ein Martin-Schulz-SPD-Lebensweg: „Ich bin der erste Albig, der studieren durfte!“

Torsten Albig (53) ist ein Mann aus dem Volk fürs Volk und gleichwohl in der Lage, als Jurist und als früherer Sprecher von mehreren Bundesfinanzministern bürgerliche Milieus fern der SPD zu erschließen. Als Oberbürgermeister von Kiel von 2009 bis 2012 hat der getrennt lebende Vater von zwei Kindern, der jetzt einer Unternehmerin liiert ist, den letzten Schliff darin erhalten, wie man den Draht zum Bürger pflegt. Entsprechend populär ist er. Er stach den links-intellektuellen, scharfzüngigen und bundesweit bekannten SPD-Landeschef Ralf Stegner einst in einer Kampfkandidatur um die Spitzenkandidatur aus und regiert seit 2012 unangefochten in Kiel. Mit simplen Slogans wie „Wir machen das. Wir können das. Wir wollen das“ plakatiert die SPD und will nach der Landtagswahl am 7. Mai mit den Grünen und der Partei der dänischen und friesischen Minderheit, dem SSW, die sogenannte Küstenkoalition fortsetzen.

Stegner bedient das linke Spektrum der SPD

Das Abservieren eines starken Rivalen wie Ralf Stegner, der immer noch SPD-Landesvorsitzender und Fraktionschef ist, hätte anderswo vielleicht zur Selbstzerfleischung einer Partei geführt. Nicht so in Kiel. Stegner rackert im Wahlkampf mindestens so viel wie Albig, er bedient das linke Spektrum und sagt, dass Schleswig-Holstein bei der sozialen Gerechtigkeit vorexerziert habe, was Martin Schulz nun bundesweit machen wolle. Seine SPD-Fraktion brilliert mit vielen eigenen Anträgen – sie sei „kein Anhängsel der Regierung“, wie Stegner betont.

Nicht nur in der Opposition geht die Rede davon, dass Stegner der „Strippenzieher“ und eigentliche Regierungschef sei. Als Torsten Albig in seinem Büro mit dem schönen Blick auf die Kieler Förde darauf angesprochen wird, braust der stets präsidial wirkende 53-Jährige doch ein bisschen auf: „Ich bin der Ministerpräsident und dessen Aufgabe ist es, unsere politischen Ziele auch umzusetzen.“ Fraktionschef Stegner stelle die notwendigen Mehrheiten „für unsere Projekte im Landtag“ sicher. „Ich schätze ihn als einen absolut loyalen und sehr klugen Menschen.“

Im Tandem scheinen der mitunter behäbig wirkende Albig und sein bissig wirkender Partner Stegner erfolgreich zu sein. 84 Prozent der Schleswig-Holsteiner schätzen ihre persönliche wirtschaftliche Lage als gut oder sehr gut ein. „Die Zufriedenheit mit der Landesregierung ist sehr hoch“, freut sich Albig. Man punkte bei der Infrastruktur und dem Kita-Ausbau und habe die Aufgabe, rund 35 000 Flüchtlinge aufzunehmen, im Jahr 2016 „fast geräuschlos gemeistert“. Würden sie den Ministerpräsidenten direkt wählen können, würden laut den jüngsten Umfragen 46 Prozent ihr Kreuzchen bei Albig machen, nur 31 Prozent bei Daniel Günther, dem eher unbekannten Herausforderer der CDU. Also alles in Butter für die Genossen?

Günther lässt nicht locker

Obwohl Albig seinen Kontrahenten Günther und dessen Partei gern als rückständig bezeichnet, holt der in den Umfragen beständig auf und hat die CDU längst aus ihrem März-Umfragetief von 27 Prozent befreit. Mehr noch: Laut dem jüngsten ZDF-Politbarometer liegt die CDU gut eine Woche vor der Landtagswahl mit 32 Prozent knapp vor der SPD (30 Prozent). Die Grünen kämen demnach auf zwölf Prozent, die FDP auf neun Prozent, der SSW, der von der Fünf-Prozent-Klausel befreit ist, auf drei Prozent, die Linke auf fünf Prozent und die AfD auf sechs Prozent. Und auch nach der aktuellen ARD-Vorwahlumfrage würde die bisherige Regierungskoalition knapp die Mehrheit verpassen.

Die Beharrlichkeit des smarten Langstreckenläufern Günther (43) scheint sich auszuzahlen. Täglich absolviert der CDU-Spitzenmann fünf öffentliche Termine, um bekannter im Land zu werden. Wenn er Journalisten im Kieler Landhaus eine heiße Suppe serviert, wirkt er jungenhaft und eher wie der Typ-Lieblingsschwiegersohn – und nicht wie ein rückständiger Konservativer. In seinem Schattenkabinett sind von neun Mitgliedern vier Frauen. Günther ist ein Sacharbeiter, nüchtern, fleißig, zielstrebig. Punkt für Punkt arbeitet er sich an der Regierungsarbeit der Küstenkoalition ab. Der Regierung wirft er wegen des Unterrichtsausfalls Versagen in der Schulpolitik vor und kritisiert, dass sie „keinen einzigen Kilometer Autobahn im Planfeststellungsverfahren“ vorangebracht habe. Kürzlich hat er zwei Organklagen beim Landesverfassungsgericht gestellt, wegen seiner Ansicht nach unerlaubter Wahlwerbung der Regierung für die SPD. Dabei geht es um Schreiben von Bildungsministerin Britta Ernst – übrigens die Ehegattin des SPD-Bürgermeisters Olaf Scholz in Hamburg – sowie Innenminister Stefan Studt (ebenfalls SPD). Ernst hatte Schulleitern, Lehrern und Schülern per E-Mail von schulpolitischen Erfolgen berichtet, Studt schrieb im Intranet von Plänen für die nächste Legislatur, die Arbeitszeit von Polizisten zu reduzieren. Die Entscheidung über die Klagen wird sicher erst nach der Wahl am 7. Mai fallen.

Bundesweit machte Günther nur einmal Schlagzeilen

Daniel Günther, katholisch, verheiratet und Vater einer Tochter, lässt nicht locker und bleibt dran an Themen, wie es sich für einen Berufspolitiker gehört – und das ist er ja auch. Schon mit 26 war er CDU-Kreisgeschäftsführer, danach CDU-Landesgeschäftsführer. Erst sehr spät, im November 2016, nominierte ihn die CDU für die Spitzenkandidatur, nachdem sein Vorgänger Ingbert Liebing angesichts niedriger Umfragewerte das Handtuch geschmissen hatte. Das ist überhaupt das Problem der CDU im hohen Norden, wo die Menschen eigentlich konservativ ticken – der Drehtüreffekt beim Führungspersonal. Seit dem Abgang des populären CDU-Ministerpräsidenten Peter-Harry Carstensen im Jahr 2012 hat die Nord-CDU fünf verschiedene Vorsitzende gehabt: Der eine – Christian von Boetticher – musste wegen einer Beziehung mit einer 16-Jährigen gehen, ein anderer wurde krank, andere verdauten Wahlniederlagen nicht. Auch der eilig im Herbst geholte Ersatzmann Günther sagt, dass seine „späte Nominierung“ die Sache für ihn „nicht leichter“ gemacht habe.

Bundesweit fand er bisher nur einmal einen Widerhall in den Medien, mit seinem Ruf nach einer Schweinefleischpflicht in Kantinen – was allgemein belächelt wurde. Dabei habe er nur gesagt, so Günther gegenüber dieser Zeitung, dass Schweinefleischverzehr zu den deutschen Essgewohnheiten gehöre und „dass Kantinen nicht aus Respekt vor Muslimen überhaupt kein Schweinefleisch anbieten sollten“.

Im Falle eines Wahlsieges will Günther ein Bündnis mit der FDP eingehen und gegebenenfalls auch eine Jamaika-Koalition mit den Grünen – klappt es nicht, will er in der Landespolitik bleiben. Aber wie gesagt, er ist Langstreckenläufer und lässt keinen Streckenposten aus. Diese Woche kam es im ansonsten recht braven TV-Duell zwischen Albig und Günther zum Eklat: Eine Zuschauerin und SPD-Funktionärin warf Günther vor, der habe sie im Landtag einmal als „Verdi-Schlampe“ beleidigt. Das sei ein „ungeheuerlicher Vorwurf“ empörte sich der studierte Politikwissenschaftler, so etwas gehöre nicht zu seinem Vokabular. Der CDU-Politiker hat nun rechtliche Schritte angedroht, die Kieler CDU verlangt auch von den SPD-Größen Albig und Stegner eine Entschuldigung und Distanzierung. Wie die Sache auch ausgeht ist offen – Daniel Günther stand jedenfalls wieder einmal im Rampenlicht.