Winfried Kretschmann hatte am Sonntag gemeinsam mit seiner Frau Gerlinde seine Stimme im Wahllokal in Laiz bei Sigmaringen abgegeben. Foto: dpa/Marijan Murat

Die Partei von Winfried Kretschmann bleibt stärkste Kraft im Land. Darauf lassen die ersten Hochrechnungen schließen. Nun muss er sich überlegen, mit wem er weiterregiert.

Stuttgart - Der Jubel fällt coronabedingt etwas leiser aus als in anderen Wahljahren. Aber um 18 Uhr weichen die Corona-Abstände im Landtag langsam der Begeisterung. „Dieses Ergebnis wäre das stärkte grüne Landtagswahlergebnis ever“, sagte die Landesvorsitzende Sandra Detzer nach der ersten Hochrechnung, die ihre Partei bei knapp 31 Prozent sieht. Es sei ein „absolutes Rekordergebnis“ und „ein ganz klarer Regierungsauftrag für uns Grüne“, stellt sie fest. „Die Menschen wünschen sich Winfried Kretschmann auch als nächsten Ministerpräsidenten, und das gibt uns wahnsinnig Rückenwind für ein Superwahljahr 2021 auch Richtung Bundestagswahl.“

Der Wahlabend ist von Corona beherrscht. Wahlpartys fallen aus, im Landtag sind nur wenige Abgeordnete zugelassen. Die Sicherheitsmaßnahmen sind streng. Die Grünen wollten zumindest virtuell feiern. Bevor ihr Spitzenkandidat Winfried Kretschmann sich einem breiten Publikum zeigte, wandte er sich in einem Livestream an Parteimitglieder und Wähler. Der Ministerpräsident dankte den Wählern. „Ich verstehe das als Auftrag, unserem Land weiter als Ministerpräsident zu dienen“, sagte er. „Diesen Auftrag nehme ich mit großer Dankbarkeit und Demut an.“

Kretschmann hat sein Ziel erreicht. „Wir jedenfalls hoffen, dass wir die Regierung wieder führen können und dass niemand an uns vorbeiregieren kann“, wurde der 72-Jährige in den vergangenen Wochen nicht müde zu betonen. Nach den ersten Hochrechnungen am Wahlabend ist er nun in der komfortablen Situation, dass keine Bündnisse ohne seine Partei möglich sind.

Die Grünen kommen ersten Hochrechnungen in der ARD zufolge auf 31,9 Prozent. Die CDU rutschte in einem historischen Wahldebakel ab auf 23,9 Prozent. Die AfD landet bei 10,8 Prozent. Die FDP konnte ihre Position ausbauen auf 10,7 Prozent und die SPD kommt auf 11,8 Prozent. Die Linke schafft es erneut nicht in den Landtag. Die ersten Prognosen und Hochrechnungen sind wegen der großen Anzahl an Briefwählern allerdings noch mit Vorsicht zu genießen, wie Wahlforscher betonten.

Welche Bündnisse rechnerisch zu Mehrheiten führen werden, stand am frühen Abend noch nicht endgültig fest. Für Grün-Schwarz würde es sicher reichen, ebenso wie für die Ampel aus Grünen, FDP und SPD. Ob dank der Überhang- und Ausgleichsmandate, die das baden-württembergische Wahlrecht zulässt, auch andere knappe Mehrheiten möglich wären, ist noch offen.

Kretschmann sagte am Wahlabend: „Ich betrachte es als Auftrag, mit allen demokratischen Parteien zu sprechen. Das werden wir in der nötigen Ernsthaftigkeit tun.“ Die Bundesvorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck gratulierten, Baerbock via Twitter-Boschaft. „Zum dritten Mal in Folge haben Grüne in BW zugelegt“, jubelte sie. „Das zeigt dass wir Grünen auch in schwierigen Zeiten das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler gewinnen können.“ Habeck sagte: „Es ist für uns ein super Start ins Superwahljahr“. Den Rückenwind wolle man nun mit vollen Segeln aufnehmen. „Dieses Superwahljahr hat den Auftrag nicht nur die Inhalte umzusetzen, sondern das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit von Politik zu erneuern und zu gestalten“, sagte Habeck.

Kretschmann war bis zuletzt vorsichtig

Bis zuletzt hatte Kretschmann nicht von einem Wahlsieg sprechen wollen, sondern betont, er gehe mit „Demut“ in die Wahl, bezeichnete die Wählerinnen und Wähler – den Souverän, wie er sagte – gar als „launische Diva.“ Die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gelten als erster wichtiger Stimmungstest im Corona-Superwahljahr vor der Bundestagswahl am 26. September.

In Umfragen bekam zuletzt eine Neuauflage von Grün-Schwarz deutlich mehr Zustimmung. Eine Dreier-Koalition aus Grünen, SPD und FDP hingegen stieß eher auf Ablehnung. Und auch der Koalitionspartner würde gern weitermachen wie bisher. CDU-Landeschef Thomas Strobl betonte zuletzt, er könne sich eine Fortsetzung der grün-schwarzen Koalition vorstellen.

Für welchen Koalitionspartner sich die Grünen entscheiden werden, ist noch offen. Zumindest das Verhandlungsteam steht bereits. Kretschmann wird dem Vernehmen nach zusammen mit den beiden Landesvorständen Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand sowie mit Fraktionschef Andreas Schwarz zum Kernteam für die anstehenden Sondierungsgespräche gehören.

Klimaschutz als Bedingung

Der grüne Spitzenkandidat hatte vor der Wahl allerdings klare Grenzen für Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen aufgezeigt. Eine Koalition mit den Grünen heiße in dieser Dekade „erstens Klimaschutz, zweitens Klimaschutz, drittens Klimaschutz“, sagte Kretschmann gut zwei Wochen vor der Wahl. „Da gibt es kein Vertun.“

Er werde keine Koalition eingehen, in der Klimaschutz keine hohe Priorität habe. 2016 waren die Grünen erstmals stärkste Kraft im Land geworden. Damals hatten sie 30,3 Prozent der Stimmen geholt. In 46 Wahlkreisen konnten sie damals ein Direktmandat erringen, dazu kam ein Zweitmandat.

Dieses Mal wird damit gerechnet, dass die Grünen noch mehr Direktmandate erzielen könnten. Kretschmann kam in seinem Wahlkreis Nürtingen 2016 auf 34,9 Prozent der Stimmen – ein Plus von 9,2 Prozentpunkten gegenüber 2011.

Kretschmann nach wie vor beliebt

In Umfragen war die Beliebtheit des Ministerpräsidenten ungebrochen hoch. Zuletzt kam Kretschmann im ZDF-Politbarometer bei der Frage, wen man wählen würde, wenn der Ministerpräsident direkt gewählt werden könne, auf 70 Prozent. Selbst bei CDU-Anhängern ist der Grüne nach wie vor beliebter als eine Konkurrentin Susanne Eisenmann, die mit ihrer Partei eine herbe Niederlage einstecken musste.