Eine bessere Bildung halten viele Firmen für gut – aber sie soll ihnen auch etwas bringen. Foto: dpa-Zentralbild

Ist das Glas halb voll oder halb leer? Finanzminister Nils Schmid hat einiges für die Wirtschaft unternommen, unter dem Strich aber gibt es viele Klagen. Die IG Metall dagegen ist hoch zufrieden.

Stuttgart - So können sich die Einschätzungen unterscheiden: „In den vergangenen Jahren wurden die Weichen richtig gestellt“, erklärt Roman Zitzelsberger, Chef der IG Metall im Land. Dazu zählten Verbesserungen beim Tariftreue- und Mindestlohngesetz sowie beim Chancengleichheitsgesetz. Auch die Arbeitgeberseite hält die Regulierung des Arbeitsmarkts bei der Bilanz über die Amtszeit von Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid für zentral – stellt ihm dafür jedoch ein denkbar schlechtes Zeugnis aus. „Den Unternehmen brennen die vielen zusätzlichen Belastungen auf den Nägeln, die durch zahlreiche politische Regulierungen entstanden sind.“

Mag Schmid sich auch um ein Profil bemüht haben, nicht nur die Interessen der Arbeitnehmer zu berücksichtigen, sondern sich auch für den Mittelstand einzusetzen – die Zeugnisse aus der Wirtschaft fallen nicht gut aus. Verbände klopfen ihm zwar auf die Schulter, weil er sich bei der Reform der Erbschaftsteuer deutlich auf die Seite der Unternehmen geschlagen hat, die weiter bevorzugt werden wollen, um nicht wegen der Steuer die Kapitalbasis ihrer Firmen schmälern oder diese gar verkaufen zu müssen. Auch der Umstand, dass Baden-Württemberg mit seinem neuen Bildungsplan Pionier beim Schulfach Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung ist und überdies einen Anfang beim Pflichtfach Informatik macht, findet Anerkennung. Doch sie wird überlagert durch kritische, zuweilen auch fast schon ätzende Stimmen.

„Dass die SPD im Gleichlauf mit der Linken im gesamten Frageblock Regulierungen in keiner Frage mit der Position der Arbeitgeber Baden-Württemberg überstimmt“, ist nach Ansicht von Landesarbeitgeberpräsident Rainer Dulger „doch sehr bemerkenswert für eine Partei, die aktuell die Wirtschafts- und Finanzpolitik in unserem Land verantwortet“.

Freistellung an muslimischen und alevitischen Feiertagen wird als Misstrauensvotum wahrgenommen

Die schlechte Stimmung zwischen der Wirtschaft und ihrem Minister ist zum Teil nicht auf harte Eingriffe, sondern auf Symbolpolitik zurückzuführen, mit der Schmid sozialdemokratische Duftmarken setzen will. Ganz vorne rangiert der von Schmid gegen erbitterten Widerstand der Firmen durchgesetzte Bildungsurlaub. Damit habe die Landesregierung nicht nur „einseitig Fakten geschaffen“, sondern löse auch „kein einziges Problem auf dem Arbeitsmarkt. Mit dem Bildungsurlaub ist keinem Arbeitslosen, keinem benachteiligten Jugendlichen und auch nicht den An- und Ungelernten in den Betrieben geholfen“, sagt Dulger. Deshalb bleiben die Arbeitgeber Schmids „Weiterbildungspakt Baden-Württemberg“ fern – nicht ohne darauf hinzuweisen, dass ein solcher Pakt ohne den mit Abstand wichtigsten Träger der beruflichen Weiterbildung nutzlos ist.

Auch das Partizipations- und Integrationsgesetz, wonach sich Muslime und Aleviten für je drei religiöse Feiertage von der Arbeit freistellen lassen können, sorgt bei Firmen für Verdruss – zumal nicht einmal klar geregelt ist, ob für diese Tage ein Lohnanspruch besteht oder nicht. Firmen sehen sich dadurch bevormundet, obwohl sie seit vielen Jahren geräuschlos mit dem Thema umgehen, indem sie Überstundenkonten anzapfen oder Urlaub geben. Sie sehen sich dadurch in ihrem Einsatz für die Integration am Arbeitsplatz missachtet.

Zu den zentralen Themen, bei denen die Firmen Handlungsbedarf sehen, gehört die Energiepolitik. Wegen der hohen Subventionen für erneuerbare Energien würden die deutschen Strompreise heute nur noch von Italien übertroffen, sagte Hans-Eberhard Koch, Präsident des Landesverbands der Industrie (LVI). Das trage mit zur Schwäche der Investitionen in Deutschland bei und ermutige Firmen zusammen mit anderen Faktoren dazu, lieber im Ausland zu wachsen. Weil sich der Betrieb konventioneller Kraftwerke kaum noch lohne, deren Strom durch die Einspeisung erneuerbarer Energien verdrängt wird, drohten überdies Versorgungsengpässe, wenn die Atomkraftwerke abgeschaltet werden.

Auch beim Thema Digitalisierung hat die Wirtschaft Wünsche – vor allen den, das schnelle Internet möglichst schnell flächendeckend auszurollen, damit es keine Firmen mehr gibt, die im digitalen Tal der Ahnungslosen leben, weil ihr Zugang zum weltweiten Datennetz ein Tempolimit hat. Die Wirtschaft müsse Anschluss finden an die Apples und Googles und es schaffen, bei Maschinen und Autos die Dominanz zu verhindern, die sich diese Konzerne bei Smartphones und Online-Diensten längst verschafft haben. Doch dazu muss es auch in der Politik ein Umdenken geben, meint LVI-Präsident Koch: „Derzeit gehen alle Politiker ins Silicon Valley und sind begeistert. Sie sollten sich mal erkundigen, ob die Arbeitszeiten dort auch so streng reguliert sind wie bei uns.“ Und die Arbeitgeber im Land wollen auch zentrale Themen wie Energie und Infrastruktur in einem eigenen Wirtschaftsministerium bündeln. Man könnte auch sagen: Ein Finanz- und Wirtschaftsministerium schreit aus ihrer Sicht nicht nach Wiederholung.

Schmid ergeht es ein wenig wie dem Ex-Kanzler Schröder mit der Agenda 2010

Nils Schmid scheint es nicht anders zu ergehen als Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder. Der hatte einst mit der Agenda 2010 ernen uralten Wunsch der Wirtschaft realisiert. Doch je näher die Wahl kam und die Aussicht auf einen Wechsel, desto weiter gingen die Verbände auf Distanz. Damals lockte die Aussicht auf eine schwarz-gelbe Regierung, von der die Arbeitgeber aber ebenfalls schwer enttäuscht waren.

Die Unzufriedenheit der Verbände mit der SPD und dem von ihr gestellten Wirtschaftsminister bedeutet nicht, dass die anderen Parteien mit Lob überhäuft werden. Bei einer Umfrage unter den sechs Parteien mit Chancen auf Landtagsmandate sprachen sich vier dafür aus, Werkverträge stärker zu regulieren, indem etwa die Mitbestimmung der Betriebsräte ausgeweitet oder genauer definiert wird, wann Menschen mit einem Werkvertrag tätig werden dürfen, der diesen in der Regel deutlich weniger Rechte zubilligt als ein Arbeitsvertrag. Grüne, SPD, CDU und Linke beantworteten die Frage mit Ja – nur FDP und AfD sprachen sich dagegen aus. „Dass vier der sechs Parteien die geplante Regulierung unterstützen, ist für uns höchst alarmierend“, erklärt Dulger.

Insgesamt ergab die Auswertung der Antworten der Parteien auf 50 Fragen, dass es die größte Übereinstimmung mit der FDP gibt, die geringste mit der Linken. Und wie hält es der Wirtschaftsverband mit der AfD, die immerhin bei zwei Dritteln der Fragen die Position von Südwestmetall teilt? Diese Partei nehme zwar „zum Teil wirtschaftsliberale Positionen ein, zeige aber die deutlichste Ablehnung beim Freihandelsabkommen TTIP, bei der Zuwanderung oder beim Euro“. Das sei „für unsere exportorientierte Wirtschaft völlig ungeeignet“. Zudem beschädige die Partei mit „unvertretbaren Äußerungen zur Flüchtlingskrise und zum politische System das Bild Deutschlands im Ausland“. Das sehe man „noch kritischer“.

IG Metall ist mit der Wirtschaftspolitik hoch zufrieden

Auch die IG Metall hat die Wahlprogramme von fünf Parteien – ohne AfD – unter die Lupe genommen. Einer der Aspekte sind dabei die Arbeitsbedingungen unter den Bedingungen der Digitalisierung. Das Ergebnis: Die SPD bekenne sich „klar zu guter Arbeit und integriert das Thema in die Anforderungen der künftigen digitalen Arbeitswelt“, erklärt IG-Metall-Landeschef Roman Zitzelsberger; Gewerkschaften würden als gleichberechtigte Partner in die Diskussion einbezogen. Auch die Grünen und die Linke begriffen den digitalen Wandel „als Chance für Verbesserungen für Arbeitnehmer und wollen diesen gemeinsam mit den Beschäftigten gestalten“. Die CDU widme sich guter Arbeit dagegen nur „randständig“, Gewerkschaften und Mitbestimmung kämen fast gar nicht vor.

Handlungsbedarf sieht die Gewerkschaft vor allem beim Ausbau von Regelungen im Sinne der Arbeitnehmer. Auch hier sieht sich die Gewerkschaft besser bei Grünen, SPD und Linken aufgehoben als bei CDU und FDP. Grüne, SPD und die Linke setzten sich weiter gegen Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen und für die Begrenzung prekärer Arbeitsverhältnisse ein. Dagegen sähen „weder FDP noch CDU bei prekärer Beschäftigung Handlungsbedarf“.