Die heiße Phase des Wahlkampfs hat begonnen: Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD, rechts) lässt sich von Werkleiter Alexander Dörsel (links) durch das Riva-Stahlwerk in Brandenburg an der Havel führen. Foto: dpa

Gut ein Jahr nach der Amtsübernahme von Matthias Platzeck muss Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) erstmals durch eine Landtagswahl. CDU-Herausforderer Michael Schierack will ihn dabei stellen.

Gut ein Jahr nach der Amtsübernahme von Matthias Platzeck muss Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) erstmals durch eine Landtagswahl. CDU-Herausforderer Michael Schierack will ihn dabei stellen.

Kremmen/Caputh - Sie streiten jetzt auch schon über Autos. Nicht über ihre Dienstfahrzeuge, aber über insgesamt vier Polizeistreifenwagen zusätzlich, die Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) vor einigen Wochen in seinen Wahlkreis Spree-Neiße I nahe der deutsch-polnischen Grenze in den Dienst gegen Autodiebstahl, Einbruch und andere Grenzkriminalität hat schicken lassen. Herausforderer Michael Schierack (CDU) stinkt das.

Plötzlich geht, was über eine gesamte Legislaturperiode nicht ging. Grenznahe Polizeiposten werden aufgerüstet, ausgerechnet in den Städten Forst und Guben im Wahlkreis des Ministerpräsidenten. Schnell zog das Innenministerium nach und meldete auch noch für die Grenzstädte Frankfurt/Oder und Eisenhüttenstadt Polizeiverstärkung. Doch dieses Sicherheitsplus gibt es nur befristet bis Mitte Oktober. Dann ist der Wahlkampf zu Ende, eine neue Landesregierung in Potsdam aller Wahrscheinlichkeit nach gebildet und Woidke vermutlich erstmals in einer Wahl als Ministerpräsident bestätigt.

Dietmar Woidke hat den Posten des Ministerpräsidenten in Brandenburg erst Ende August vergangenen Jahres von Matthias Platzeck (SPD) übernommen. Der hatte nach elf Jahren im Amt und mehreren gesundheitlichen Einschlägen, zuletzt ein weiterer Schlaganfall, den Stress-Job Regierungschef abgegeben. Woidke übernahm. 52 Jahre alt, Diplom-Agraringenieur mit Promotionsgrad, zuvor Innenminister des Landes. Jetzt befindet er sich mitten im Wahlkampf. Am 14. September wird in Brandenburg ein neuer Landtag gewählt.

Woidke, ein Mann mit stahlblauen Augen, fährt in der 7000-Einwohner-Stadt Kremmen 40 Kilometer nordwestlich von Berlin vor. Hier hat die Landes-SPD zu einem ihrer Strohballenfeste geladen. Der Ministerpräsident soll mit Wählern im ländlichen Brandenburg ins Gespräch kommen. Im blauen Anzug, wie es gerade Mode ist, weißen Hemd mit offenem Kragen. 400 Gäste warten. Die Vier-Mann-Band The Sugar Beats spielt schon mal das Publikum warm. Im März feierte die Band 50 Jahre Bühne – dabei war Woidke: Er schnappte sich das Mikrofon und schmetterte die Rolling-Stones-Version von „Under the Boardwalk“. „Dietmar Woidke ist sehr volksnah, umgänglich und unkompliziert“, sagt Gitarrist Norbert Wolf über den Ministerpräsidenten – ähnlich wie sein Vorgänger Platzeck.

Trotzdem: Einen Amtsbonus hat Woidke noch nicht, auch wenn er, wen wundert es, bekannter ist als CDU-Spitzenkandidat Michael Schierack. 75 Prozent der Brandenburger kannten ihn zum Wahlkampfauftakt im Juli laut einer Umfrage von Infratest-Dimap überhaupt nicht. Es tritt also ein Halbbekannter gegen einen Unbekannten an. Auch das ist Brandenburg.

CDU-Spitzenkandidat Michael Schierack, Facharzt für Orthopädie und Sportmedizin aus Cottbus, nimmt die kleine Polizeioffensive des Ministerpräsidenten denn auch zum Anlass, um gegen eine „Lex Woidke“ zu wettern. Der SPD-Spitzenkandidat mache plötzlich in seinem Wahlkreis möglich, was viele Menschen und Unternehmen zwischen Schwedt an der nördlichen Landesgrenze zu Polen und Lauchhammer im Süden Brandenburgs dringend brauchten: mehr Polizei. Selbst Linke-Landtagsabgeordnete und somit Woidkes Koalitionspartner in der rot-roten Landesregierung sind darüber aufgebracht. Es sei „ein Skandal sondergleichen“, sagt Jürgen Maresch, wenn nun bis Herbst im Grenzgebiet vier Streifenwagen mehr fahren. Aber eben nur zwischen Forst und Guben – im Wahlkreis des Ministerpräsidenten.

Woidke, der die innere Sicherheit im Wahlkampf als Thema für sich entdeckt hat, ließ seinen Finanzminister Christian Görke, der zugleich Spitzenkandidat der Linken ist, vier Wochen vor der Landtagswahl noch eine frohe Botschaft für die geplagten Brandenburger Polizisten verkünden: Die Beamten sollen höhere Zulagen für Schichtdienste und Gefahreneinsätze bekommen. Für die CDU ein klarer Fall eines rot-roten Wahlgeschenkes. „Es beginnt, ärgerlich zu werden“, sagt die Grünen-Spitzenkandidatin Ursula Nonnenmacher. Rot-Rot betreibe mit Steuergeld Wahlkampf, auch wenn man in dieser Frage inhaltlich mit der Landesregierung einer Meinung sei. Und für die FDP lästerte Hans-Peter Goetz: „Abends werden die Faulen eben fleißig.“ Abends – oder eben wenige Wochen vor dem Wahltermin.

Der Wahlkampf ist etwas müde. Doch wer kneift? Ministerpräsident Woidke oder Herausforderer Schierack? Oder beide? In den vergangenen Wochen haben sich die Kontrahenten gegenseitig mit dem Vorwurf überzogen, nicht den Mumm für einen richtigen Wahlkampf zu haben. Beim Fest in Kremmen sagt Woidke zwischen Traktoren und Strohballen über den CDU-Spitzenkandidaten: „Das größte Problem ist, dass man den Gegner nicht sieht.“ Einige versuchten wohl, „unter dem Radar durchzutauchen“, schaltet der Ministerpräsident dann doch endlich in den Angriffsmodus.

Einige Tage später der Konter – auf dem Fährfest in Caputh vor den Toren Potsdams. „Ich muss mich über einen solchen Satz schon wundern“, sagt Schierack, der auch CDU-Landesvorsitzender und Fraktionschef ist. „Ich bin bereit, mich auf jedem Podium dieses Landes dem Wettbewerb mit dem Ministerpräsidenten zu stellen. Wer sich dort nicht blicken lässt, ist Herr Woidke selbst.“ Zuletzt fragte CDU-Generalsekretärin Anja Heinrich: „Hat Herr Woidke Angst?“ Es war eine Reaktion auf die Absage des SPD-Spitzenkandidaten für das Wahlforum der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“, der größten Tageszeitung des Landes.

Zumindest einmal werden sich Woidke und Schierack im Wahlkampf direkt in die Augen sehen. Beim Fernsehduell des Rundfunks Berlin Brandenburg (RBB), fünf Tage vor der Wahl am 14. September. Ausdauersportler Schierack jedenfalls plant den angestrebten Machtwechsel langfristig: „Das Ziel der CDU muss es sein, die jahrzehntelange Vorherrschaft der SPD zu überwinden.“

Woidke wiederum unterstellt Schierack und der lange tief zerstrittenen Brandenburg-CDU, vor allem auf den positiven Trend und den Rückenwind der Bundes-CDU zu setzen. Tatsächlich greift CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel mit gleich drei Auftritten in Eberswalde, Wittstock/Dosse und zum Finale in Cottbus zur Verstärkung von Schieracks „Brandenburg.Besser.Machen.“-Tour in den Landtagswahlkampf ein.

Doch auch das wird voraussichtlich nichts ändern: Dass Woidke vor der CDU mit Landeschef Schierack tatsächlich Angst haben müsste, ist allenfalls Wahlkampf-Rhetorik. Nachdem die CDU im Juni bis auf zwei Prozentpunkte (28 Prozent) an die SPD (30 Prozent) herangerückt ist, ist der Abstand zwischen beiden Parteien mittlerweile wieder deutlich. Nach jüngsten Umfragen liegt die SPD mit 33 bis 34 Prozent inzwischen wieder deutlich vor der CDU (23 bis 27 Prozent), die wiederum vor der Linkspartei (21 bis 22 Prozent) rangiert. Die Grünen kommen auf fünf bis sechs Prozent, die FDP muss mit zwei bis drei Prozent wohl auch in Brandenburg in die außerparlamentarische Opposition wechseln. Die Alternative für Deutschland (AfD) kommt auf sechs Prozent und darf darauf hoffen, wie ihr Pendant in Sachsen am vergangenen Wochenende, in den Landtag einzuziehen. Schierack schließt für den unwahrscheinlichen Fall eines Wahlsiegs für die Brandenburg-CDU eine Koalition mit der AfD inzwischen aus: „Mit dieser Partei wird es keine Koalition nach der Landtagswahl geben, genauso wenig wie mit der Linkspartei oder der NPD.“

Den Pannen-Hauptstadtflughafen BER, an dem das Land Brandenburg neben Berlin und dem Bund Anteile hält, will Schierack, käme er an erster Stelle in Regierungsverantwortung, nach oben auf die Tagesordnung rücken: „Ich werde den BER wieder zur Chefsache machen. Es ist ganz offensichtlich so, dass der Ministerpräsident mit dem Thema nicht identifiziert werden will.“ Doch erst einmal muss gewählt werden.

Die FDP versucht derweil mit Verzweiflungsaktionen, ihre aussichtslose Lage doch noch zu verbessern. Die brandenburgischen Liberalen hatten es bei der vergangenen Wahl 2009 erstmals seit 1990 mit 7,2 Prozent wieder ins Landesparlament geschafft. „Keine Sau braucht die FDP“, plakatierten die Liberalen verzweifelt selbstironisch. Immerhin: Zu verlieren hatten sie ja nichts. Ihre Zustimmungswerte lagen damals noch unterhalb der statistischen Wahrnehmungsgrenze. Und die Anti-Kampagne scheint Wirkung zu zeigen: Jetzt kommen die Liberalen immerhin auf drei Prozent.

Die Grünen stellen sich derweil auf weitere fünf Jahre Opposition im Landtag ein. Fraktionschef Axel Vogel, der zusammen mit Ursula Nonnenmacher die traditionell gemischte Grünen-Doppelspitze im Wahlkampf bildet, geht davon aus, dass es bei Rot-Rot in Brandenburg bleibt. Der Ministerpräsident habe sich klar zur Koalition mit der Linken bekannt. Woidke sagte auf die Frage, was gegen die Fortsetzung von Rot-Rot spreche: „Erst mal gar nichts.“ Das sieht Schierack anders. Rot-Rot bedeute Stillstand für Brandenburg, wie die vergangenen fünf Jahre gezeigt hätten: „Wer Woidke eine Stimme gibt, wird die Linke in der Regierung haben.“ Die ficht das nicht an. Die Linke will auch an Rot-Rot festhalten. Auch wenn die vergangenen fünf Jahre „nicht einfach“ gewesen seien, wie Spitzenkandidat und Landesfinanzminister Görke betont. Das ist schön gesagt. Vor allem wenn man berücksichtigt, dass zu Beginn der Legislaturperiode gleich mehrere Linke-Abgeordnete wegen ihrer bis dato nicht aufgedeckten Stasi-Vergangenheit ihre Mandate niederlegen mussten.

Sollte die Linke Woidke zu übermütig werden, käme doch noch eine rot-schwarz Koalition ins Gespräch. Zumindest hat Woidke für die Koalitionsgespräche die CDU als Druckmittel gegen die Linke. Schierack sagt: „Wir sind verlässlich, wir sind innovativ. Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen.“

Woidke kann also getrost abwarten. Er ist Amtsinhaber. Er muss nicht angreifen. Vier „Polensprinter“, wie über die vier zusätzlichen Polizeiautos in seinem Wahlkreis gespottet wird, stören da auch nicht weiter.