Ihren Wahlkampf hat die Klimaliste auch auf Youtube organisiert. Foto: StZ

Die Klimaliste ist erst im September gegründet worden und hat mittlerweile knapp 500 Mitglieder – ob es gut ist, bei der Landtagswahl anzutreten, da ist sich die junge Partei aber selbst nicht ganz einig.

Stuttgart - Vom Debakel des abgebrochenen Parteitags vor gut einer Woche hat sich Alexander Grevel, Vorstandsmitglied der Klimaliste Baden-Württemberg und Doktorand der Biochemie, erholt. „Bei uns läuft alles ehrenamtlich, da kann auch mal etwas danebengehen“, meint er: „Für Häme gibt es keinen Grund.“ Wegen überlasteter Server hatten die anwesenden 400 Mitglieder weder über das Parteiprogramm abstimmen noch Vorstandsmitglieder wählen können. Der 32-Jährige kommt gerade wenig dazu, über sein Leib-und-Magen-Thema, den Lipidstoffwechsel in Hefen, zu forschen; er muss vielmehr die Klimaliste am Laufen halten: „Ja, alles ein wenig sportlich gerade“, sagt er achselzuckend.

Dennoch ist nicht nur Grevel stolz darauf, was die Klimaliste Baden-Württemberg in den vier Monaten seit ihrer Gründung geschafft hat: In Rekordtempo habe man die Voraussetzungen hingekriegt, um in 67 von 70 Wahlkreisen bei der Landtagswahl antreten zu können. Und die Partei wachse stark, zu den 25 Gründungsmitgliedern sind seither rund 450 Personen hinzugekommen. Die 38-jährige Geoökologin Saskia Knispel de Acosta, die neu für den Vorstand kandidiert, sagte bei einer Online-Podiumsdiskussion in Nürtingen, dass rund die Hälfte der Mitglieder aus der Klimaschutzbewegung komme wie von Fridays for Future; ein weiterer großer Teil sei erstmals politisch aktiv.

Die Klimaliste will grüner als die Grünen sein

Während sie von zu Hause aus online Fragen beantwortete, saß übrigens ihr Sohn auf ihrem Schoss – auch mit dieser lockeren Art will die Klimaliste anders sein als alle etablierten Parteien. Zum Beispiel wurde man bei der Podiumsdiskussion auch aufgefordert, bei Fragen anzugeben, ob man sich „eher dem weiblichen oder eher dem männlichen Geschlecht zuordnet“. Und zu Beginn des Parteitags gab es einen Vorturner, der alle bat, sich zu Hause am Schreibtisch an einigen Lockerungs- und Dehnübungen zu beteiligen.

Inhaltlich hat die Klimaliste ein zentrales Ziel: Die Erderwärmung müsse unter allen Umständen auf 1,5 Grad begrenzt werden; dem Ziel sei alles andere unterzuordnen. Bis 2030 müsse Baden-Württemberg klimaneutral sein – die grün-schwarze Regierung peilt dieses Ziel für 2050 an. „Physik ist aber nicht verhandelbar“, sagt Knispel de Acosta kategorisch; und das soll zweierlei heißen: Erstens orientiere sich die Klimaliste strikt an wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Erderwärmung; und zweitens sei deshalb die Klimapolitik der Grünen noch zu lasch. Die Klimaliste wolle grüner sein als die Grünen und weniger abhängig von parteipolitischen Zwängen und von Lobbyisten.

Vier von sechs Vorständen sind schon zurückgetreten

Gerade diese grundsätzliche Nähe zu den Grünen hat in den letzten Wochen aber zu einem großen innerparteilichen Konflikt geführt: Vier der sechs Vorstandsmitglieder traten zurück, weil sie der Meinung sind, dass man dem Klimaschutz mehr schade als nutze, wenn die Klimaliste jetzt bei der Landtagswahl antrete, nachdem Grüne, SPD und Linke das 1,5-Grad-Ziel ebenfalls in ihr Wahlprogramm aufgenommen hatten.

Die 20-jährige Sandra Overlack gehört zu dem Quartett der zurückgetretenen Vorstände. In Coronazeiten könne man wenig Wahlkampf machen, argumentiert sie, und deshalb sei es nicht realistisch, dass die Klimaliste die Fünfprozenthürde überspringe. Nach derzeitigen Wahlprognosen könnten Grün-Rot-Rot aber drei bis fünf Prozent zum Sieg fehlen – sollte die Klimaliste so viele Stimmen wegnehmen, würde man also aktiv eine bessere Klimapolitik verhindern. „Das ist so heikel, dass wir nicht reinfunken sollten“, sagt Overlack. Sie selbst steht zwar weiterhin auf dem Stimmzettel für den Wahlkreis Rastatt. Wahlkampf will sie aber keinen mehr machen.

„Wenn wir nichts machen, sterben wir alle aus“

Alexander Grevel lacht, wenn man ihn auf diesen Konflikt anspricht: „Dieses Thema wird außerhalb stärker diskutiert als innerhalb der Partei“, sagt er. Die große Mehrheit sei dafür, zur Landtagswahl anzutreten – nur so könne man den Parteien, auch den Grünen, Druck machen, denen er im Übrigen bei ihrer Klimapolitik die Schulnote 3,4 geben würde. Weiter hätten die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen und in Bayern gezeigt, dass die Klimaliste sehr viele Nichtwähler mobilisieren könne: „Am Ende gewinnen Grüne und Klimaliste Stimmen.“

Fast aus dem Nichts eine Partei zu gründen und zu führen, hält die Klimaliste aber in Atem, ständig gibt es Debatten und müssen Brände gelöscht werden. Manche Wahlplakate wurden nicht rechtzeitig fertig, zum Wahlprogramm wurden 150 Änderungsanträge eingereicht, dann auch noch das Fiasko mit dem Parteitag. Man wolle jetzt erstmals eine Person fest anstellen, eine Finanzkraft, sagt Alexander Grevel. Finanziert wird die Klimaliste aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen – wobei Letztere freiwillig sind. Das sei für Studierende ziemlich attraktiv, meint Grevel.

Die meisten in der Klimaliste sind jedenfalls mit großem Engagement dabei. Und das sei angesichts der Gefahren auch nötig, meint Saska Knispel de Acosta: „Wenn wir nichts machen, sterben wir alle aus.“ Beim Klimaschutz, da hört der Spaß dann auf.