Marta Aparicio gezeichnet von StN-Grafiker Yann Lange Foto: Lange

Die Spitzenkandidatin der Linkspartei, Marta Aparicio, ist seit langem gewohnt zu kämpfen.   

Stuttgart - Marta Aparicio ist es gewohnt zu kämpfen. Einst in ihrem Heimatland Argentinien gegen die Militärjunta, heute gegen Stuttgart 21 und für den Einzug der Linkspartei in den Landtag. "Die Chance ist so groß wie nie", sagt die Spitzenkandidatin.

Der Wahlkampf-Tag beginnt musikalisch. "Gebt uns einen Baustopp jetzt", singen die Bahnhofsblockierer auf die Melodie des Wir-sind-Helden-Hits "Nur ein Wort". Marta Aparicio wippt im Takt und lächelt. "Toller Text, nicht wahr?" Erst mit dem Anrücken der Bautrupps ist die Morgenmusik vor dem Südflügel beendet. Die 59-Jährige gruppiert sich zu den Widerständlern und geht auf die Knie. "Baustopp jetzt", "Mappus weg", "Baustopp jetzt". . . Die Polizisten geleiten einen nach dem anderen von dannen, schließlich auch die 59-Jährige. Widerstand ist zwecklos und auch gar nicht erwünscht. Würde sich die Spitzenkandidatin der Linkspartei wegtragen lassen, kostete sie das 80 Euro. Eine Anzeige bringt es ihr aber auch so ein.

Wurscht. "Wir müssen gegen den Wahnsinn kämpfen, bis zum Schluss", gibt die Stuttgarterin die Losung aus. Milliardengrab, Mafia, Wachstums-Fetischismus - die Argumente sind bekannt. Für die Linkspartei und ihre Doppelspitze - neben der Deutsch-Argentinierin der Gewerkschafter Roland Hamm - geht es bei dem strittigen Bahnprojekt vor allem darum, in den Reihen der Gegner Präsenz zu zeigen, um das Feld nicht allein den Grünen zu überlassen. Stuttgart 21 ist ein wichtiges Thema im Wahlkampf, aber nicht das entscheidende. Arbeit, Beschäftigung, Bildung stehen bei den Linken naturgemäß ganz oben.

Die Militärdiktatur vertrieb sie aus ihrer Heimat

Vom Bauzaun am Bahnhof geht es weiter nach Bad Cannstatt. Straßenwahlkampf in der Fußgängerzone. Aparicio fährt einen alten Opel Corsa, rot wie ihre Gesinnung. "Kein Porsche", scherzt sie mit Blick auf Parteichef Klaus Ernst, dessen Lebensstil nach Meinung vieler nicht so recht zum Selbstverständnis der Partei passen will. Heikles Thema. Einem Journalisten, der einmal ihre Eigentumswohnung thematisiert hat, ist sie noch immer ein bisschen böse. Aparicio betont, dass es sich um eine "ganz bescheidene Wohnung in Stuttgart-Ost" handelt. Links zu sein bedeute doch nicht automatisch, alles verstaatlichen zu wollen.

In der Linkspartei zu sein bedeutet aber auf jeden Fall, sich gern missverstanden zu fühlen. Wie in der Kommunismus-Debatte. Aparicio und ihre Mitstreiter werden fuchsig, wenn die Medien sie nur darauf reduzieren. Viel zu verstellt sei der Blick, dabei gehe es doch um das große Ganze eines demokratischen Sozialismus, möglichst global. Gegenüber potenziellen Wählern zeigt man sich offener. Kommentare wie die eines älteren Herrn ("Kommunisten wähle ich nicht") begreift Aparicio als willkommene Gesprächseinladung. "Mir gefällt das. Da entwickeln sich oft Diskussionen darüber, wie wir eigentlich leben wollen."

An diesem Morgen rund um den Cannstatter Bahnhof, Aparicios Wahlkreis, funktioniert das ganz gut. Die Zustimmungsquote liegt über den fünf Prozent, bei denen die Linke derzeit rangiert und die zum Einzug in den Landtag berechtigen würden. Wenn die Spitzenkandidatin auf Ablehnung stößt, dann meist auf freundliche. Mit ihrem offenen Wesen kommt die 59-Jährige gut an. Und sie fühlt sich wohl in Deutschland - trotz oder wegen ihres auffälligen Äußeren. Im europäisch geprägten Buenos Aires, wo sie aufgewachsen ist, hatte die Tochter eines Indios einen schweren Stand. Die Ureinwohner Lateinamerikas zählen nicht viel in der Hauptstadt Argentiniens. Anders hier: Als Argentinierin, die gerne Fußball mag, Tango tanzt und Volkslieder singt ("Im nächsten Leben werde ich Sängerin"), ist man der Exot - und als solcher wohlgelitten.

Die Militärdiktatur vertrieb sie einst aus ihrer geliebten Heimat. Die Brutalität der Junta, die zwischen 1976 und 1983 Zigtausende Gegner verschwinden und ermorden ließ, führte die Medizinstudentin nach Deutschland. Zunächst nach Köln, wo sie Ethnologie, Politikwissenschaft und romanische Philologie studierte. 1983 kam Aparicio, die sich selbst eine "Vorzeige-Kanakin" nennt, nach Stuttgart. Inzwischen hat sie hier "emotional Wurzeln geschlagen", wie sie sagt. Neben ihrer Parteiarbeit leitet sie an der Volkshochschule den Fachbereich Interkulturelles. Dort entwickelt sie Konzepte für Kinder und Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen. Ihr ureigener politischer Antrieb: den Schwachen zu helfen.

"CDU und FDP haben die Chancengleichheit faktisch abgeschafft", schimpft die zweifache Mutter auf die Sozial- und Bildungspolitik der Landesregierung. Während staatliche Schulen ausbluteten, setze Schwarz-Gelb auf Elitenförderung und soziale Auslese. Nach Meinung von Aparicio sind die Chancen auf einen guten Schulabschluss in keinem anderen Bundesland so sehr vom Geldbeutel der Eltern abhängig wie in Baden-Württemberg. Was sie anders machen würde? Das dreigliedrige Schulsystem abschaffen. Studiengebühren abschaffen. Und kostenlose Kitas anbieten.

Hasta la victoria siempre!

Aparicios zweites Herzensthema ist die Frauenpolitik. Sie ist Mitbegründerin der Kampagne "Schluss mit Gewalt und Diskriminierung an Frauen" und war Mitglied der Kommission "Frauenhandel" im Sozialministerium. Angesichts eines Frauenanteils von drei Prozent in Führungspositionen sieht sie in der Arbeitswelt Nachholbedarf. Eine ihrer Forderungen zielt auf die 50-Prozent-Quote in allen Entscheidungspositionen des Landes. Als Folge einer "jahrzehntelangen rechtskonservativen Politik" propagiere die Landesregierung noch immer "die Hausfrauen- und Versorger-Ehe", kritisiert sie Ministerpräsident Mappus und dessen Politik, die nur einer "patriarchalen Kultur" den Weg bereite.

Sie steht - kurz gesagt - für genau das Gegenteil. Nicht ohne Stolz blickt sie in dem Zusammenhang auf ihre beiden Töchter Malena (24) und Nena (27). Während die eine vor allem musikalisch begabt und aktiv ist, kommt die andere ganz nach ihrer Mutter. Sie weilt derzeit in Caracas, wo sie an einem internationalen Kongress zum 100. Frauentag mitwirkt. Nebenbei engagiert sie sich im Lilo-Herrmann-Haus in Stuttgart-Heslach, einem Zentrum für politische Aktivitäten. Linke natürlich.

Alle drei Aparicios - Töchter und Mutter - sind Pendler zwischen den Welten. Südamerika und Süddeutschland. Neben der Linkspartei kämpft Marta Aparicio für mehr Gerechtigkeit in ihrer Heimat. Als Europa-Abgesandte der "Movimientos libres del sur", eines argentinischen Pendants zur deutschen Linken, steuert sie von hier aus die Geschicke. Ob es sie nicht reizt, irgendwann auch richtig Politik in Lateinamerika zu machen? Nach kurzem Überlegen erläutert sie lieber ihre hiesigen Pläne: in den Landtag einziehen, natürlich. Daneben plant sie die Gründung einer "Volksuniversität" in der Tradition der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert. Dort sollen alternative Theorien zu politischen und gesellschaftlichen Themen diskutiert werden. Ihr Credo wird man auch dort ganz sicher verstehen: Hasta la victoria siempre!