Landtagspräsidentin Muhterem Aras sieht die bisher „höchste Eskalationsstufe“ im Parlament erreicht. Foto: dpa

Die baden-württembergische Landtagspräsidentin Muhterem Aras hat zwei AfD-Politiker für drei Sitzungen wegen ständiger Zwischenrufe ausgeschlossen. Nun äußert sich die Grünen-Politikern mit türkischen Wurzeln auch zu den Angriffen auf ihre Person.

Stuttgart - Nach dem Rauswurf von zwei AfD-Politikern aus dem Sitzungssaal sieht Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) die bisher „höchste Eskalationsstufe“ im Parlament erreicht. „Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ich die Polizei bitten muss, Abgeordnete aus dem Saal zu begleiten“, sagt die 52-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. Im Interview äußert sie sich auch zum Umgangston im Parlament und zu den Angriffen der AfD, die sich immer wieder an der türkischen Herkunft der Grünen-Politikerin reibt. Zwei Politiker der Partei sind für die nächsten drei Sitzungen ausgeschlossen.

In dieser Woche mussten erstmals zwei AfD-Politiker wegen Zwischenrufen den Saal verlassen. Der Ton im Landtag ist für einige Grund zur Besorgnis. Wird der Umgang aggressiver?

Das war bisher die höchste Eskalationsstufe. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ich die Polizei bitten muss, Abgeordnete aus dem Saal zu begleiten. Ich hätte es gern vermieden. Aber es gab keine andere Möglichkeit. Seit ich in dem Amt bin, gelte ich für manche Abgeordnete der AfD als lebendige Provokation. Das fing direkt nach meiner Wahl vor zweieinhalb Jahren an. Damals hieß es, ich sei der Beweis für die Islamisierung Deutschlands.

Die AfD sieht sich ungleich behandelt, meint, es gebe zweierlei Maß, weil Politiker anderer Parteien nicht zur Ordnung gerufen würden. Wie sehen Sie das?

Der Ausschluss der Abgeordneten kam zustande, weil die Zwischenrufe und Diskussionen mit der Präsidentin nicht aufhörten. Grund war nicht der Ausdruck „rote Terroristen“ des Herrn Abgeordneten Stefan Räpple, sondern: Er hat weiter ständig gestört. Solche Zwischenrufe machen Debatten unmöglich. Meine Anweisungen, das zu unterlassen, hat er nicht befolgt. Das war der Grund für den Ausschluss. Weil er trotzdem blieb, musste ich die Polizei bitten, ihn zu begleiten.

Wie erklären Sie sich diese Angriffe, nehmen sie zu?

Die Angriffe sind deutlich schärfer geworden. Das hat wohl mit meiner inhaltlichen Arbeit zu tun - seit ich mich sehr stark auch zur Erinnerungskultur äußere. Auslöser war mein Besuch von Gedenkstätten. Als Landtagspräsidentin repräsentiere ich und sehe meine Aufgabe natürlich auch darin, übergreifende Themen - wie den Schutz unserer Grundwerte und der Menschenwürde - aufzunehmen.

Ich habe auch gemerkt, dass die Aggression seitens der AfD-Fraktion zunimmt, seit ich Äußerungen von Spitzenpolitikern der AfD aufgreife: Das NS-Regime ist eben kein „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte. Solche Geschichtsrelativierungen werde ich auch weiterhin deutlich benennen. Das ist meine Aufgabe als Landtagspräsidentin. Das ist auch keine grüne Parteipolitik, wie mir immer wieder unterstellt wird. Das ist Staatsräson.

Die AfD reibt sich immer an Ihrer türkischen Herkunft - greift Sie das persönlich an?

Die Angriffe wegen meiner Herkunft gibt es immer wieder. Mir wird das Recht abgesprochen, etwa mit Gedenkstättenreisen die Erinnerungskultur zu pflegen. Einige Abgeordnete haben offenbar aufgrund meiner Herkunft ein Riesenproblem damit, dass ich dieses Staatsamt ausübe. Die ständigen Attacken auf meine Person sind nicht schön. Was mich mehr umtreibt, ist aber, dass mein Amt als Landtagspräsidentin beschädigt wird. Dieses Verächtliche in Bezug auf demokratische Institutionen. Das ist schlimm und folgenreich.

Aras bekam viel Zuspruch

Hatten Sie das schon einmal so massiv in Ihrem Leben - die Konfrontation mit Ihrer Herkunft?

Nein. Meine Herkunft ist auch kein Verbrechen. Es ist doch nicht entscheidend, wo ich zufällig geboren wurde. Entscheidend ist, wohin ich will und mit welchen Werten ich mich identifiziere. Ich lebe hier seit 40 Jahren. Ich bin sehr froh, in diesem weltoffenen Land und in einem demokratischen Rechtsstaat mit Menschenrechten zu leben. Ich liebe dieses Land und bin stolz auf dieses Grundgesetz. Das werde ich verteidigen, ob das jemandem gefällt oder nicht.

Die AfD will sie am liebsten aus dem Amt drängen: Sie bleiben aber kämpferisch - oder gibt es manchmal Momente, in denen Sie sagen: Wozu soll ich mir das weiter antun?

Ich werde für diese Werte kämpfen - aus Überzeugung und mit Leidenschaft. Ich lasse mir das nicht nur nicht nehmen. Ich habe das Grundgesetz auf meiner Seite. Ich bin mit zwölf Jahren aus der Türkei hierher gekommen. Ich bin kurdischer Abstammung, bin Alevitin - also beides Minderheiten, die es in der Türkei nicht einfach hatten. Und wenn Sie als Kind einmal Unterdrückung erlebt haben, im sunnitisch konservativen Religionsunterricht erklärt bekommen, dass sie quasi Freiwild sind, wenn ihre Muttersprache verboten ist, dann sind sie einiges gewöhnt und schätzen umso mehr die hier gültigen Grundwerte.

Welche Reaktionen bekommen Sie von Bürgern, von Kollegen - wie erleben Sie das? Ist die Lage hier im Landtag anders als anderswo?

Es gab zahlreiche E-Mails auch aus anderen Bundesländern. Aus Sachsen zum Beispiel. Viele haben mir gratuliert. Das hat mich ehrlich gefreut. Leute, die ich gar nicht kenne, haben mir geschrieben: Ich bewundere Ihren Mut und Ihre Kraft und das Eintreten für unsere Grundwerte, hieß es da. Es gab sehr viel Zuspruch. Es kamen aber auch einige wenige negative E-Mails. Abgeordnete aus anderen Parlamenten meldeten sich über soziale Medien. Auch in der Präsidenten-Konferenz tauschen wir uns aus. Dass der Ton deutlich rauer geworden ist, stellen auch andere Landtage fest. Es ist kein Spezifikum von Baden-Württemberg.

Worauf stellen Sie sich 2019 ein?

Wir haben zum Beispiel am 12. Januar eine große Jubiläumsveranstaltung zu 100 Jahre Frauenwahlrecht. Die Gleichberechtigung der Geschlechter wird deshalb ein großes Thema auch im Zusammenhang mit der Kommunalwahl sein: Wir haben in Baden-Württemberg 26 Kommunen, in deren Gemeinderat keine einzige Frau sitzt. Ich finde, das ist kein Zustand, mit dem wir uns zufrieden geben sollten. Aber auch die Europawahl, bei der es um Grundsätzliches geht. Das ist wirklich eine ganz entscheidende Richtungswahl. Ich mache meine Wertsachen-Gesprächsreihe weiter dazu, was unsere Gesellschaft zusammenhält. Und natürlich engagiere ich mich weiter in der Erinnerungskultur.