Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Landtag mit zwei Karten, die die Entwicklung des Infektionsgeschehens innerhalb von wenigen Wochen dokumentieren. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Die Mehrheit im Parlament hält die geplanten November-Einschnitte für notwendig, doch Zweifel am langfristigen Erfolg sind unüberhörbar. FDP verlangt Investitionen in FFP 2-Masken und Raumluftreiniger.

Stuttgart - Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) erhält für seine mit den Regierungschefs von Bund und Ländern vereinbarten Einschnitte ins öffentliche Leben die Rückendeckung der Landtagsmehrheit. „Zur Vermeidung einer akuten nationalen Gesundheitsnotlage“ seien weitere Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Neuinfektionen nötig, heißt es in einer von Grünen und CDU vorgelegten Entschließung. Die FDP drang mit ihrer Forderung, den Katalog im Landtag zunächst auf den Prüfstand zu stellen, nicht durch. Gleichwohl wurden in der vierstündigen Debatte am Freitagnachmittag mehrfach Zweifel laut, ob die Pandemie dadurch langfristig in Schach zu halten sei – Zweifel, die auch Kretschmann nicht vollständig ausräumen konnte: „Dass das helfen kann, dafür haben wir belastbare Aussagen von Experten, Sicherheit gibt es aber nicht.“

 

Es gehe jetzt um Schnelligkeit, Entschlossenheit und Konsequenz, rechtfertigte er die Beschlüsse. Es sei ein „Akt der nationalen Solidarität“, dass auch Kollegen solcher Länder zugestimmt hätten, in denen das Infektionsgeschehen nicht so dramatisch sei wie im Süden der Republik. Kretschmann: „Deutschlandweite Maßnahmen schaffen Transparenz und Vertrauen bei den Bürgern.“ Das Offenhalten von Schulen, Kitas und der Wirtschaft erfordere ein umso entschlosseneres Handeln in anderen Bereichen. Die Ministerpräsidentenkonferenz sei überdies kein Gremium ohne Legitimation, sondern deren Mitglieder hätten Richtlinienkompetenz nach der Verfassung.

Zu viel Aktionismus?

Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz sagte, die Zeit der Flickenteppiche sei vorbei. Deshalb begrüße er, dass sich die 16 Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin auf gemeinsame Empfehlungen verständigt hätten. Der Staat lasse Branchen, die nun besonders von den Einschnitten betroffen seien wie etwa die Gastronomie oder die Kultur nicht im Stich. „Wir stehen zu den Beschlüssen der Regierungschefs, auch wenn wir bedauern, dass sie notwendig sind“, sagte CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart. Es sei eben bisher nicht gut genug gelungen, die galoppierenden Infektionszahlen zu bremsen.

Auch FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke räumte Handlungsbedarf ein: „Auf die ernste Lage muss die Politik reagieren.“ In dem Konzept der Regierungschefs stünden ja auch richtige Dinge – aber eben nicht nur. Viele Maßnahmen, so die Einschnitte für die Gastronomie, seien von Aktionismus geprägt. Deshalb müsse der Landtag mitreden und den Katalog auf den Prüfstand stellen. Rülke: „Bei derart einschneidenden Maßnahmen kann man die politischen Entscheidungen nicht von einem Organ treffen lassen, das in der Verfassung gar nicht vorgesehen ist.“ Überhaupt fehle eine langfristige Strategie zur Pandemie-Bekämpfung: „Welche Möglichkeiten haben Sie dann noch?“ Die Forderung der Liberalen nach einem Strategiewechsel wurde von der Landtagsmehrheit aber ebenso abgelehnt wie der Antrag, das Land möge in FFP 2-Masken für wesentliche Teile der Bevölkerung sowie in Raumluftreiniger für Klassenzimmer investieren.

AfD: Lernen, mit dem Risiko umzugehen

AfD-Fraktionschef Bernd Gögel forderte die Landesregierung auf, den Bürger mehr Selbstverantwortung zu übertragen. Diese seien sehr wohl bereit, Abstand zu halten und Neuinfektionen zu verhindern. Gögel: „Wir brauchen keine Verbote, sondern vernünftige Alternativen.“ Auch ein zweiter Lockdown werde nichts bringen, die Gesellschafts müsse vielmehr lernen, mit den Risiken umzugehen. Ziel sei eine Herdenimmunität. Dass der Landtag zu einer Sondersitzung einberufen wurde, um über die Beschlüsse eines nicht legitimierten Gremiums zu diskutieren, sei ein „reines Schauspiel für die Medien“.

SPD-Fraktionschef Andreas Stoch sah das ganz anders: „Das ist der richtige Tag und Ort, um über die Herausforderungen zu streiten.“ Allerdings wurden auch bei ihm Zweifel an der langfristigen Strategie laut: Man könne doch auf eine weltweite Pandemie nicht „mit ordnungspolitischen Schnellschüssen“ reagieren. Notwendig sei vielmehr, die Maßnahmen nachhaltig zu gestalten. Mit einzelnen Beschlüssen der Regierungschefs habe seine Fraktion jedenfalls erhebliche Probleme, sagte Stoch. So müsse man zwischen einer Oper und einer Ü 30-Party unterscheiden. Oder zwischen einer Szenekneipe und einer Ausflugsgaststätte. Stoch: „Wenn Menschen diese Regelungen befolgen sollen, dürfen sie nicht das Gefühl haben, dass der Ehrliche der Dumme ist.“