Behinderte Schülerin beim Unterricht in einer Integrierten Gesamtschule Foto: dpa

Welche Unterstützung Menschen mit Behinderungen erhalten sollen, sollte eine unabhängige Stelle landesweit entscheiden, fordern die Landesbehindertenbeauftragte und Betroffene.

Stuttgart - Menschen mit Behinderungen können künftig selbst entscheiden, wo und wie sie leben wollen. Was die Bundesregierung 2016 mit dem Bundesteilhabegesetz auf den Weg gebracht hat, soll nach und nach auch auf Landesebene umgesetzt werden. Am Mittwoch hat Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) seinen Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht. Er soll die Situation von über 80 000 Personen im Südwesten verbessern, die Teilhabeleistungen der Eingliederungshilfe beziehen.

Das geplante Gesetz sieht vor, dass weiterhin die Stadt- und Landkreise für die Eingliederungshilfe zuständig sind. Das sei sinnvoll, weil diese „wertvolle Erfahrungen“ bei dieser Aufgabe hätten und „weil die leistungsberechtigten Personen dort auch versorgt werden“, sagte Lucha. Die Aufgaben könnten auch an Kommunen delegiert werden. Leistungserbringer, Träger und Behindertenverbände sollen gemeinsam beraten, wie sie das Gesetz konkret umsetzen. Auch bei der Bedarfsermittlung hätten Menschen mit Behinderungen viel größeren Einfluss, sagte der Minister. Für die zusätzlichen Aufgaben will das Land den Kreisen 2018 und 2019 „freiwillige Ausgleichszahlungen“ von 22 Millionen Euro überweisen. Dabei habe sich das Land an der Kostenschätzung des Bundes orientiert, so Lucha.

Gleiche Chancen für alle

Die Behindertenbeauftragte des Landes, Stephanie Aeffner, hält das geplante Gesetz für einen „Meilenstein auf dem Weg zur Verbesserung der Teilhabe, Selbstbestimmung und Partizipation von Menschen mit Behinderungen“. Allerdings geht ihr der Entwurf aus dem Sozialministerium nicht weit genug. Welche Hilfe die einzelnen erhielten, dürfe nicht von ihrem Wohnort abhängen, erklärte Aeffner kürzlich. Notwendig sei eine von den Trägern der Eingliederungshilfe unabhängige Stelle, die landeseinheitlich den jeweiligen Unterstützungsbedarf festlege. „Für mich geht es in dieser Frage um die Gewährleistung landesweit einheitlicher Lebensverhältnisse und um gleiche Teilhabechancen“, so Aeffner.

Unterstützung erhält die Behindertenbeauftragte von den Regierungsfraktionen und der Opposition. Dass der Gesetzentwurf offen lässt, wer den Bedarf erhebt, hält Thomas Poreski, sozialpolitischer Sprecher der Grünen, für einen Fehler. Die Bedarfserhebung müsse „unabhängig von den Kostenträgern und unabhängig von den Leistungserbringern“ erbracht werden. Sein CDU-Kollege Ulli Hockenberger erklärte, die Betroffenen hätten „einen Anspruch darauf, dass wir bei gleichen Bedürfnissen gleiche Leistungen gewähren“.

Die Opposition warf Lucha vor, die geplanten 22 Millionen reichten bei weitem nicht, um den Mehraufwand der Kreise und Kommunen zu decken. Der Kommunalverband für Jugend und Soziales rechne mit Kosten von 150 Millionen Euro, sagte die AfD-Abgeordnete Carola Wolle. Rainer Hinderer (SPD) erklärte, das Land sei in der Pflicht, die tatsächlichen Kosten zu übernehmen und nicht nur einen Teil. Der FDP-Abgeordnete Jürgen Keck kritisierte, „dass bei den Leistungserbringern die private Seite fehlt“.

Auch der Landesverband für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung und die Liga der freien Wohlfahrtsverbände fordern zügig Nachbesserungen. Sowohl die Betroffenen wie die Anbieter benötigten Klarheit darüber, was sie künftig erwarten könnten, erklärten sie.