Im Landratsamt Ludwigsburg können bis zur Erstellung eines Schwerbehindertenausweises derzeit bis zu zehn Monate vergehen. Foto: dpa

Ein Ludwigsburger stellt einen Antrag auf einen Schwerbehindertenausweis. Bis zu zehn Monate muss er darauf warten – dabei wäre er eine große Erleichterung im Alltag.

Vor wenigen Monaten wurde Michael Dieler (Name geändert) am Einlass zu einem Bundesligaspiel dazu aufgefordert, seinen Rucksack abzugeben. Nur, dass sich darin alles befindet, was er für seinen künstlichen Darmausgang benötigt: Stomabeutel, Reinigungs- und Verbandsmaterial. Trotz der Schilderung seiner Krankheitsgeschichte wird er gebeten zu gehen, bis seine Frau die Vorgesetzte hinzuzieht.

 

Seine chronische Darmkrankheit nachzuweisen, wäre mit einem Schwerbehindertenausweis unkompliziert, die Erklärung, warum er die Tasche eben nicht abgeben kann, überflüssig. Doch bis das Ludwigsburger Landratsamt ihm den zuschickt, könnten noch Monate vergehen. „Einen solchen Antrag stellt man, weil man dringend Entlastung im Alltag benötigt“, sagt Dieler.

Ein Ludwigsburger kritisiert: Die Bearbeitungsdauer habe nichts mehr mit Bürgerservice zu tun. Foto: Simon Granville

Besonderer Kündigungsschutz durch Schwerbehindertenstatus

Michael Dieler wurde im Sommer 2024 operiert. Dabei kam es zu Komplikationen, er beikam einen künstlichen. Im März 2025 stellte er einen Antrag auf einen Schwerbehindertenausweis. Damit würde er fünf Tage mehr Urlaub und einen besonderen Kündigungsschutz bekommen. „Den brauche ich, weil ich viele Ausfallzeiten durch Krankenhausaufenthalte habe“, erklärt er.

Nach drei Monaten bekam Dieler eine Antwort vom Landratsamt. Doch statt einer finalen Rückmeldung handelte es sich nur um eine Eingangsbestätigung und den Hinweis, dass die Bearbeitungszeit bis zu zehn Monaten dauern könne. „Das hat für mich wenig mit Bürgernähe und Service zu tun“, sagt Dieler. Damit steht er nicht alleine da, Medien berichten immer wieder von ähnlichen Fällen.

Schwerbehindertenausweis ist Erleichterung

Im Alltag kommt Michael Dieler meistens gut zurecht. Der Ausweis wäre eine Erleichterung, ihm geht es bei seinen Schilderungen aber auch um andere. „Was ist mit Menschen, die einen schweren Unfall haben?“, fragt er. Er habe sich mit seiner Situation recht gut arrangiert, wisse aber von seinen Ärzten, dass es für Patienten eine zusätzliche psychische Belastung sein kann, die eigene Krankheitsgeschichte regelmäßig offenlegen zu müssen. „Und gerade beruflich kann es schwierig werden, da körperliche Arbeiten nur noch eingeschränkt möglich sind“, sagt er.

Laut einer Sprecherin des Landratsamts folgt die lange Bearbeitungszeit von neun bis zehn Monaten zum einen daraus, dass es einige Zeit dauere, bis die ärztlichen Befunde vorliegen. Die Rückmeldungen der Ärzte kämen hier oftmals sehr verzögert.„Parallel bestehen im Geschäftsteil aktuell aber auch hohe Personalvakanzen“, so die Sprecherin. Die Landkreisverwaltung sei zwar bereits dabei, durch organisatorische Maßnahmen gegenzusteuern. Der allgemeine Fachkräftemangel setze hier aber vielfach Grenzen. Derzeit sei in Prüfung, ob Mitarbeitende aus anderen Bereichen kurzfristig eingesetzt werden.

In Einzelfällen ist eine schnellere Bearbeitung möglich

Ausnahmen, in denen eine Ausstellung schneller erfolgt, gebe es – letztendlich sei das aber immer eine Einzelfallfrage. „Wichtiges Kriterium ist sicherlich der Schweregrad der Erkrankung oder besondere Lebenssituationen, wie eine kurze Lebensprognose des Betroffenen“, so die Sprecherin. Der Geschäftsteil bemühe sich, solche Anliegen immer angemessen zu priorisieren.

Der Landkreis Ludwigsburg versucht derzeit, den Weg aus den roten Zahlen zu schaffen. Um die nötigen 56 Millionen Euro einzusparen, müsse man sich von einigen freiwilligen Angeboten trennen und Standards abbauen, auch Investitionen überprüfen, sagt Landrat Dietmar Allgaier bei einem Pressegespräch im Februar. Gefragt waren dabei auch die Mitarbeitenden, die Sparvorschläge erarbeiten sollten. Darüber hinaus berichtete unsere Zeitung kürzlich exklusiv, dass das Landratsamt langfristig Stellen einspart. In dem Fachbereich, der für die Ausstellung der Schwerbehindertenausweise zuständig ist, seien bislang keine Mitarbeiter ausgewählt, die künftig auf offene Stellen versetzt werden, so die Sprecherin des Landratsamts.

Die Statistik zu schwerbehinderten Menschen

Zahlen
Rund 7,9 Millionen Menschen in Deutschland besitzen einen gültigen Schwerbehindertenausweis. Laut Statistischem Bundesamt sind mehr als die Hälfte davon 65 Jahre oder älter. Nur rund 4,4 Prozent der Menschen mit Schwerbehindertenausweis sind unter 25 Jahre alt. 35 Prozent der schwerbehinderten Menschen haben den Mindestgrad der Behinderung von 50. 22 Prozent weisen den höchsten Grad von 100 auf.

Hintergründe
Knapp 91 Prozent der schweren Behinderungen wurden durch eine Krankheit verursacht, rund drei Prozent der Behinderungen waren angeboren oder traten im ersten Lebensjahr auf. Ein Prozent der Behinderungen waren auf einen Unfall oder eine Berufskrankheit zurückzuführen. Die übrigen Ursachen summieren sich auf 5 Prozent.

Unterstützung
Sozialverbände wie der VdK helfen Betroffenen bei der Antragstellung. Sie wie auch Gewerkschaften bieten Sozialrechtsschutz für den Fall, dass der amtliche Bescheid nicht zufriedenstellend ausfällt.

Internet
Unter www.versorgungsmedizinische-grundsaetze.de kann man sich einen Überblick verschaffen, welcher GdB für welche Beschwerden vorgesehen ist. Wichtig: einzelne Behinderungsgrade können nicht ohne weiteres addiert werden!