Geknackter Messengerdienst führt Ermittler zu einer Folterkammer. Foto: dpa

Nachdem Messengerdienste entschlüsselt wurden, häufen sich am Landgericht Stuttgart Verfahren gegen das organisierte Verbrechen.

Stuttgart - Das Landgericht Stuttgart wird gerade vom Dieselskandal überrollt. Durch die Klagewelle von Autokäufern stoßen die dortigen Richterinnen und Richter an die Belastungsgrenze. Dennoch kann sich der Landgerichtspräsident über zusätzliche Arbeit freuen. „Wir stoßen in neue Dimensionen vor“, sagt Andreas Singer zufrieden.

Was dem Chef des größten Gerichts in Baden-Württemberg juristische Befriedigung verschafft, sind Anklagen gegen das organisierte Verbrechen. Im ersten Halbjahr 2021 sind bereits 17 sogenannte EncroChat- Strafverfahren gegen 39 Angeklagte am Landgericht eingegangen. „Und die werden mit höchster Priorität geführt“, sagt Singer.

Wie im Film und noch viel schlimmer

Dem global organisierten Verbrechen kommt man nur mit einer global organisierten Polizeiarbeit auf die Spur. Das ist so etwas wie die Kernaussage beim Jahrespressegespräch des Stuttgarter Landgerichts. Im vergangenen Jahr ist es niederländischen und französischen Ermittlern gelungen, den verschlüsselten Messengerdienst EncroChat zu knacken und Millionen Nachrichten zu lesen. Weil dieser Dienst und die speziell dafür angefertigten Krypto-Handys auch vielfach in Deutschland genutzt wurden, sind die Chats via Europol den hiesigen Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellt worden. Allein 150 Verfahren landeten auf diesem Weg in Baden-Württemberg.

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Das Abschöpfen der WhatsApp für Kriminelle gibt tiefe Einblicke in die Welt des organisierten Verbrechens. „Abgründe tun sich auf“, sagt Andreas Singer und berichtet über kriminelle Verabredungen, die von Drogengeschäften, Waffenkäufen, Menschenhandel bis hin zum Auftragsmord reichen. „In den Niederlanden ging es es sogar um die Umrüstung eines Containers in eine Folterkammer, samt Zahnarztstuhl und Instrumentenkoffern“, wie der Chef des Landgerichts zu berichten weiß und anfügt: „Wie im Film und noch schlimmer“. Am Landgericht werden in diesem Zusammenhang vor allem Drogendelikte verhandelt. Doch es geht dabei nicht mehr nur um kleine Dealer und Grammware, zunehmend kommen auch die Hintermänner vor Gericht, denen der Drogenhandel im Kilo-, ja sogar im Tonnenbereich zur Last gelegt wird.

Eine Ende dieser Verfahren ist nicht in Sicht, nachdem im März auch der kanadische Nachrichtenübermittler Sky ECC gehackt werden konnte, von dem erneut Spuren nach Deutschland führten. In der Folge wichen viele kriminellen Nutzer auf die als besonders sicher beworbene Kommunikationsplattform ANOM aus. Doch dabei handelte es sich um eine vom FBI in Zuge der Operation „Trojan Shield“ aufgestellte und von Panama aus betriebene Falle. In diese ging das organisierte Verbrechen im großen Stil.

Nur Berlin gibt dem Datenschutz den Vorrang

So gelangen nun auch von der US-Behörde gesammelte Beweise nach Deutschland, die dann ihren Weg in die zuständigen Bundesländer finden und so auch am Landgericht Stuttgart in Urteile münden. Im Herbst beginnt dort das nächste Drogenverfahren, das auf dieser Form der digitalen Strafverfolgung basiert.

Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Datenschutz, auch weil die einschlägigen Dienste offenbar nicht allein von Kriminellen in Anspruch genommen werden. Nach einer polizeiliche Schätzung liegt das Verhältnis bei 90:10. Das heißt, zehn Prozent der Nutzer verfolgen keine verbrecherischen Ziele. Auch die große Mehrheit deutscher Oberlandesgerichte gelangte zu dem Schluss, dass die entschlüsselten Nachrichten im Verfahren zugelassen sind. Einzig vom Oberlandesgericht in Berlin ist bekannt, dass es sich bisher gegen die sogenannte Verwertbarkeit ausgesprochen hat. Was aber nichts daran ändert, dass auch in Stuttgart die Anwälte der Angeklagten ihre Verteidigung meist auf dem Datenschutz aufbauen.