Vor dem Landgericht Stuttgart hat der Prozess gegen einen 56-Jährigen begonnen,der seine Tochter über Jahre hinweg sexuell missbraucht haben soll. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Am Landgericht Stuttgart hat der Prozess gegen einen Mann aus Esslingen begonnen: Er soll über Jahre hinweg seine leibliche Tochter sexuell missbraucht haben. Der Angeklagte macht bisher keine Angaben zur Tat, äußerte sich aber ausführlich zu seiner Biografie.

Esslingen/Stuttgart - Der Angeklagte wird immer wieder von Weinkrämpfen geschüttelt. Zur Sache möchte sich der 56-Jährige nicht äußern, aber über seine Biografie gibt er vor der Kammer des Landgerichts Stuttgart unter dem Vorsitz der Richterin Sina Weber bereitwillig, wenn auch mit brüchiger Stimme, Auskunft. Dem Maschinenführer wird mehrfacher schwerer sexueller Missbrauch von Kindern vorgeworfen. Er soll sich im Zeitraum zwischen September 2016 und August 2019 an seiner Ende 2009 geborenen, leiblichen Tochter in seiner Wohnung in Esslingen und in einem Ferienhaus in der Türkei vergangen haben. Die Staatsanwältin Sandra Zylla wirft ihm in der Anklageschrift vor, das Kind mindestens 48 Mal zum Geschlechtsverkehr gezwungen zu haben. An diesem ersten Prozesstag wurde auch ein Ton-Bild-Dokument mit Aussagen des mutmaßlichen Opfers abgespielt – allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Instabile Lebensverhältnisse

Er habe einen hilfsbereiten Charakter, und für ihn seien Menschlichkeit und gegenseitiger Respekt über Religions- und Kulturgrenzen hinweg sehr wichtig, ließ der Angeklagte über einen Dolmetscher mitteilen. Ausführlich erzählte er von seinem Lebenslauf und zeichnete dabei ein Bild von instabilen Verhältnissen, fehlenden Bildungschancen, einer zerrütteten Ehe und psychischen Problemen. 1975 kam der im Jahr 1964 Geborene aus der Türkei nach Deutschland. In seinem Heimatland hatte er die Schule abgebrochen, in Deutschland besuchte er eine Sprachen- und die Hauptschule. Einen Abschluss, so berichtete er, konnte er aber nicht machen. Sein Vater musste sich als Alleinverdiener um die vielköpfige Familie kümmern, darum habe er sich als ältester Sohn einen Job gesucht, um das Einkommen aufzubessern.

Zerrüttete Ehe

Mit seiner ersten Ehefrau zog er aus dem Bonner Raum ins Neckartal. Depressionen beider Partner, Streitereien und Uneinigkeit über die Erziehung der 1986 und 1992 geborenen Söhne sowie der 1988 geborenen Tochter hätten die Ehe zur Hölle werden lassen, was 2005 mit der Scheidung geendet habe. 2004 lernte der Angeklagte eine andere Frau kennen, die er 2008 heiratete. 2009 kam die gemeinsame Tochter zur Welt. Er sei stolz auf das Mädchen gewesen, führte der Angeklagte aus. Er habe an ihr gut machen wollen, was er an seiner älteren Tochter auch aufgrund der zerrütteten Ehe versäumt habe. Und er habe davon geträumt, dass sie einmal in einem weißen Brautkleid heiraten werde. In seiner zweiten Ehe habe es Licht und Schatten gegeben, sagte der Angeklagte. Einerseits habe er sich mit seiner 16 Jahre jüngeren Ehefrau bestens verstanden und sie auch bei ihrem Studium unterstützt. Von seinem Gehalt habe er nur 400 Euro Taschengeld für sich behalten, den Rest habe er seiner Gattin zur Verfügung gestellt. Andererseits aber habe es Streit mit den Schwiegereltern und Zwistigkeiten mit seiner Partnerin gegeben – aufgrund der unterschiedlichen Charaktere der Eheleute. „Wenn ich sagte, etwas ist weiß, dann sagte sie, es sei schwarz.“

Aussagen der Tochter werden eingespielt

Nach den Angaben des Angeklagten zur eigenen Person wollte die Richterin Sina Weber eine Videoaufnahme mit Aussagen der mutmaßlich missbrauchten Tochter des 56-Jährigen abspielen. Der Verteidiger des Mannes wollte dem Vorhaben nicht zustimmen. Er habe Zweifel an der Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers. Deshalb beantragte er, diesbezüglich die Einschätzung eines Sachverständigen einzuholen. Nach der Mittagspause und einer Beratung entschied sich das Gericht für einen „Mittelweg“, wie es die Vorsitzende Richterin Sina Weber ausdrückte: Das Video werde abgespielt. Sollte es der von der Verteidigung bestellte Sachverständige aber für nötig erachten, dann könne es zu einem späteren Zeitpunkt nochmals angeschaut werden.

Ausschluss der Öffentlichkeit

Während des Abspielens des Videos wurde die Öffentlichkeit von der Verhandlung ausgeschlossen. Die Ton-Bild-Aufnahme wurde von der Kammer in Auftrag gegeben und in der Verhandlung gezeigt, um dem mutmaßlichen Opfer eine Aussage vor Gericht zu ersparen. Das Mädchen sei zum Zeitpunkt der Aufnahme zehn Jahre alt gewesen. Da die Fragen in die Intimsphäre des Kindes eindringen, habe der Persönlichkeitsschutz der heute Elfjährigen in jedem Fall Vorrang vor dem Recht der Öffentlichkeit auf Information.

Weitere Verhandlungstage

Weitere Verhandlungstage vor dem Landgericht Stuttgart sind am Montag, 18. Januar sowie Mittwoch, 3., Montag, 8., und Mittwoch, 10. Februar, jeweils um 9 Uhr.