Tatort Nürtingen-Reudern: Am Montag hat der Doppelmord-Prozess gegen einen 53-jährigen Mann begonnen. Foto: Fotoagentur Stuttgart

Ein 53-jähriger Mann steht wegen Doppelmordes vor dem Landgericht Stuttgart. Er bestreitet jedoch, seine Frau und den Freund seiner Tochter in Nürtingen vorsätzlich erschossen zu haben.

Stuttgart/Nürtingen - Als die Polizei am späten Abend des 17. Juli des vorigen Jahres vor einem Haus in Nürtingen-Reudern im Kreis Esslingen eintrifft, sieht sie vor dem Haus zwei Personen mit Kopfschüssen am Boden liegen. Zwischen den Leichen sitzt eine junge Frau, sie hat ihren kleinen Sohn auf dem Arm. Sie schreit um Hilfe. Und vor allem: Im Haus ist immer noch der Mann, der die Schüsse abgefeuert haben soll.

Dieser Mann sitzt seit Montag vor der 9. Schwurgerichtskammer des Landgerichts Stuttgart. Die Staatsanwältin wirft ihm zweifachen heimtückischen Mord aus niedrigen Beweggründen vor. Der gelernte Schlosser soll am Gartentor seine 45-jährige Ehefrau und den Freund seiner ältesten Tochter erschossen haben.

Bei der ältesten Tochter handelt es sich um die Frau, die am Tatort zwischen den beiden Leichen gesessen hatte. Jetzt sagt sie vor Gericht als Zeugin aus. Die 24-Jährige und ihr 40 Jahre alter Lebenspartner hätten am 17. Juli einen netten Familienabend verbracht. Zu Besuch seien ihre Mutter, drei ihrer Schwestern und ihre Nichte gewesen. Plötzlich seien ihr Vater und ihr Bruder vorgefahren. Zuerst sei alles ganz gesittet geblieben, dann aber habe ihr Vater und vor allem ihr Bruder Streit gesucht. Offenbar hatte sich die Großfamilie – das Ehepaar hat fünf Kinder – in zwei Fraktionen geteilt. Einige der Schwestern waren mit Vater und Bruder über Kreuz.

Aus einem Meter in den Kopf geschossen

Der Vater sei, nachdem er seine Frau an den Haaren gerissen und sie beschimpft hatte, schließlich hinausbugsiert worden, der Bruder sei ihm gefolgt. Das Auto sei kurz angefahren, habe dann wieder gestoppt. Der Vater sei ausgestiegen, ihr Freund habe sich ans Gartentor gestellt. „Und dann war da der Schuss“, sagt die 24-Jährige. Ihre Mutter sei hinausgerannt, ihr Freund sei zu Boden gegangen. Dann sei die Mutter umgefallen.

Die Staatsanwältin führt vor dem Landgericht aus, dass der Angeklagte dem 40-Jährigen aus einem Meter Entfernung mit einer Neun-Millimeter-Pistole der Marke Luger in den Kopf geschossen habe. Die zweite Kugel traf die Frau in den Hinterkopf. „Spätestens im Auto fasste er den Entschluss, seine Frau mit dem Tod zu bestrafen, weil sie sich tags zuvor von ihm getrennt hatte“, so die Anklägerin. Dafür habe der 53-Jährige die Pistole aus dem Handschuhfach geholt und sie sich hinten in den Hosenbund gesteckt. Die Zeugin hält sich tapfer. Mehrere Male jedoch versagt ihr die Stimme, Tränen fließen. Die 24-Jährige hat den Vater ihres Kindes, ihre Mutter und irgendwie auch ihren auf der Anklagebank sitzenden Vater verloren.

Der Mann gibt anderen die Schuld

Im Jahr 1989 hatten der Angeklagte und das Opfer in ihrer Heimat im Kosovo geheiratet. Ein Jahr später kamen sie als Bürgerkriegsflüchtlinge nach Deutschland. Er arbeitete als Schlosser, das Paar bekam fünf Kinder und kaufte eine Eigentumswohnung in Köngen. Als die Frau als Zimmermädchen in einem Hotel in Wernau zu arbeiten begann, scheint die Ehe Risse bekommen zu haben – was der Angeklagte bestreitet. Die Frau wollte plötzlich ein eigenes Konto, begann sich zu schminken und schicke Kleidung anzuziehen. Man könnte das Emanzipation nennen. Der Angeklagte jedoch gibt seiner ältesten Tochter und deren Freund die Schuld. Der Freund habe Lügen verbreitet, Intrigen gesponnen und seine Frau gegen ihn aufgehetzt, so der 53-Jährige.

Man habe seiner Frau einreden wollen, dass sie sich von ihm trennen solle, ist der Angeklagte überzeugt. „Ein abgekartetes Spiel“, sagt er. „Wenn eine Frau will, kann sie einen Mann vernichten“, soll er dem psychiatrischen Gutachter Peter Winckler gesagt haben. Vor Gericht schweigt der angeklagte Mann. Alle Aussagen des Beschuldigten stammen auf dem psychiatrischen Gutachten. Ob die Frau tatsächlich eine Trennung im Sinn hatte, ist unklar. Jedenfalls hatte sie ihren Kleinwagen am Tag ihres gewaltsamen Todes mit persönlichen Sachen vollgeladen. Von einer möglichen Trennung will der Deutsch-Kosovare indes nichts wissen. Und wenn sie hätte gehen wollen, hätte er sie gelassen. Der Beschuldigte habe seine Frau geliebt.

Mehrere Zeugen berichten dagegen von überbordender Eifersucht und wachsenden Kontrollaktionen des Mannes. Er habe niemanden erschießen wollen. Die Pistole habe er vor Jahren auf dem Gartengrundstück gefunden, das er gekauft habe. Im Auto habe die Waffe nur gelegen, weil er sie habe reinigen wollen. Und in den Hosenbund habe er sie gesteckt, damit sie seine Enkel nicht in die Hände bekommen. Gezogen habe er die Pistole nur zum Drohen, weil der Freund seiner Tochter ihn am Gartentor angegangen sei. Der Schuss müsse sich versehentlich gelöst haben. An den zweiten Schuss, der seine Frau tötete, könne sich der 53-Jährige nicht erinnern. Nach den Schüssen rief er die Polizei an. „Ich habe zwei Menschen erschossen, ich stehe neben den Leichen“, hatte er gesagt. Der Prozess wird am 28. März fortgesetzt.

Übersteigerte Eifersucht