Nach dem Lockdown liegen viele Wirte im Streit mit ihrer Versicherung. Foto: Lg/Leif Piechowski (Archiv)

Die ersten Verfahren wegen Ausfallszahlungen für die Zeit des Lockdowns laufen bereits am Stuttgarter Landgericht. Betroffen ist vor allem eine Branche.

Stuttgart - Mit einer klaren Ansage hat sich der Landgerichtspräsident an all jene gewandt, die an der Seite von rechten Ideologen und Verschwörungstheoretikern gegen die Corona-Maßnahmen demonstrieren: Anders, als bei den Veranstaltungen „fabuliert“ werde, habe der Rechtsstaat sehr wohl in Zeiten der globalen Pandemie funktioniert. Das betonte er beim Jahrespressegespräch in Stuttgart, denn auch von hier sollen am Samstag Busse nach Berlin zur Großdemo rollen. „Wichtige Eilsachen wurden zu jeder Zeit entschieden. Wir haben den Dienstbetrieb immer aufrechterhalten. Kein einziger Haftbefehl wurde aufgehoben“, sagte er. All das hatten die Kritiker infrage gestellt. Es sei „auch in schwierigen Zeiten auf die Gerichte Verlass“, sagte Singer.

Corona beeinflusst den Betrieb dennoch – wenn auch auf andere Art und Weise. Während ganz Deutschland zittert, ob eine zweite Corona-Infektionswelle kommen wird, erlebt das Landgericht schon eine Corona-Welle, die anrollt: zahlreiche Klagen im Zivilrechtsbereich. „Die ersten Verfahren laufen schon“, sagt der Präsident. Die Richterinnen und Richter müssten sich in eine neue Materie einarbeiten: in die Bedingungen der sogenannten Betriebsunterbrechungsversicherungen. Singer rechnet mit Klagen aus dem Gastronomie- und Hotelgewerbe, wo diese Versicherungen üblicherweise einen Ausfall abdeckten. „Die Klagen sind jedoch komplex“, erläutert der Jurist. Denn nicht nur fehlten Entscheidungen von Obergerichten, an denen man sich orientieren könne. Auch seien die Verträge der einzelnen Versicherungsunternehmen unterschiedlich ausgestaltet. „Das sind auch für unsere spezialisierten Versicherungskammern ganz neuartige rechtliche Fragestellungen.“ Die erste Amtsanhaftungsklage gegen das Land Baden-Württemberg wegen des Lockdowns laufe auch schon: Die Betreiberin eines Yogastudios möchte wegen der Schließung eine Entschädigung. Weitere Klagen dieser Art seien schon angekündigt, sagt der Präsident des Gerichts, Andreas Singer, beim Jahrespressegespräch. Es handele sich um Zivilverfahren, deren Zahl ohnehin stark zugenommen habe.

Die Zahl der Zivilverfahren ist erneut stark gestiegen

Auch ohne Corona habe das Gericht auch im vergangenen Jahr wieder deutlich mehr Verfahren geführt im Zivilbereich, und dieser Trend halte an. Im vergangenen Jahr habe das Landgericht rund 24 Prozent mehr Eingänge verzeichnet. Im Jahr 2020 seien bislang schon wieder acht Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum registriert worden. Zu einem großen Teil seien das umfangreiche Wirtschaftsverfahren. Nach den Dieselskandalen laufe eine zweite Klagewelle gegen Volkswagen, seit 2018 sind es schon 3200 Dieselklagen gegen die Firma. Gegen den Daimler-Konzern nehme die Zahl der Klagen weiterhin zu, da liege man allein im ersten Halbjahr 2020 bei 1700 Dieselklagen.

Im Bereich der Strafsachen sei ebenfalls eine Zunahme zu verzeichnen. Auch hier spiele Corona eine Rolle. Kolleginnen und Kollegen, die bereits älter als 60 Jahre seien, hätten weitergearbeitet, unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen. Jörg Geiger brachte dieser Tage das Verfahren gegen den Schwertmörder vom Fasanenhof zu Ende, der zu einer 14-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Cornelie Eßlinger-Graf führe ein Verfahren wegen versuchten Mordes mit sieben Angeklagten in Stammheim, um die Sicherheitsabstände im Rahmen des Infektionsschutzes gewähren zu können.

Als nächstes Großverfahren steht der Prozess gegen zehn mutmaßliche Mitglieder der rockerähnlichen Bande Team Red an, einer Nachfolgeorganisation der verbotenen Red Legion. Die Beschuldigten hatten sich im Winter eine blutige Fehde geliefert. An den Schauplätzen Plochingen und Esslingen hatten sie sich mit Messern und Pistolen bewaffnet angegriffen. Die 3. Jugendkammer stehe hier vor einem Problem: Wie in den Kreisen solcher Banden üblich, gelte eine Art Schweigegelübde. „Man spricht nicht mit der Polizei oder dem Gericht“, schildert Andreas Singer das Problem. Die Anklage ist erhoben, ein Termin steht noch nicht fest. Damit steht wieder ein Verfahren an, das unter hohen Sicherheitsvorkehrungen laufen wird. Spannend bleibt, wie es im Fall des Jaguar-Rasers weitergeht, der im vergangenen Herbst zu fünf Jahren Haft verurteilt worden war. Der zum Unfallzeitpunkt 18-Jährige hatte beim Ufa-Kino am Nordbahnhof mit einem gemieteten Jaguar einen Unfall verursacht, bei dem zwei junge Menschen starben. Die Entscheidung über die Revision in dem Fall stehe noch aus.