Richterin Regina Rieker-Müller will sich nicht fotografieren lassen, da sie immer wieder bedroht wird. Foto: dpa

Sie steht für Urteile, die in ganz Deutschland für Furore gesorgt haben. Jetzt geht die bekannte Richterin Regina Rieker-Müller in den Ruhestand.

Stuttgart - Es war der 21. März 2016, als eine Richterin am Landgericht Stuttgart Justizgeschichte schrieb. Die 1. Schwurgerichtskammer schickte einen Mann wegen Nachstellung mit Todesfolge für fünf Jahre und sechs Monate ins Gefängnis. Das war das erste Urteil dieser Art in der bundesdeutschen Geschichte. Der Name der Vorsitzenden Richterin: Regina Rieker-Müller.

„Das war juristisch sehr interessant“, sagt Regina Rieker-Müller. Eine Frau hatte sich, nachdem sie von ihrem Ex-Freund gestalkt worden war, erhängt. Die Grande Dame des Landgerichts hatte damals mit ihrer Kammer den Strafantrag der Staatsanwaltschaft überboten. Die Anklägerin konnte keinen Zusammenhang zwischen den Nachstellungen des Mannes und dem Suizid seines Opfers feststellen. Die 1. Strafkammer sah es anders. Der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigte später das mutige Urteil.

Keine Fotos, weil sie bedroht wird

Das ist Geschichte. Nach 37 Jahren im Dienst der Justiz geht Regina Rieker-Müller, die sich ungern fotografieren lässt, da sie Bedrohungen ausgesetzt war, im Alter von 65 Jahren in den Ruhestand.

Nach dem Studium arbeitete die Stuttgarterin bei der Staatsanwaltschaft ihrer Heimatstadt. „Ich bin eigentlich immer hier geblieben“, sagt sie. Eigentlich. 1982 wurde sie zum Praktikum in die Justizverwaltung Barcelonas geschickt. „Ich hatte fleißig Spanisch gelernt“, erinnert sich sich lachend. In Barcelona habe sie dann schmerzlich erfahren müssen, dass die Amtssprache Katalanisch ist. „Aber irgendwie habe ich es hinbekommen“, sagt sie und muss wieder lachen.

Regina Rieker-Müller kennt die Stuttgarter Justiz in- und auswendig. Sie war in der Verwaltung des Landgerichts tätig, wechselte später in die Strafjustiz, wo sie in Wirtschaftsstrafkammern, Berufungs- und Jugendkammer wirkte. Im Oktober 2009 übernahm sie den Vorsitz der 1. Schwurgerichtskammer. „Man erfährt viel Erschütterndes“, sagt sie. Wie Anfang 2012 bei einem von ihr geführten Prozess, der wie so manch anderer unter ihrem Vorsitz für Aufsehen sorgte. Damals stand ein 48-jähriger Mann vor Gericht, weil er zwölf Jahre zuvor den elfjährigen Tobias im Kreis Böblingen ermordet hatte. Verteidiger, Staatsanwalt und psychiatrischer Gutachter wollten den Angeklagten in der Psychiatrie sehen. Rieker-Müller und ihre Kammer schickten den Mann jedoch lebenslang ins Gefängnis – mit anschließender Sicherungsverwahrung. „Man muss schon selbstbewusst und emotional stabil sein für diese Arbeit“, sagt die Richterin. Und die Aufgaben ließen sich nicht in einer 40-Stunden-Woche abarbeiten. Aktenstudium am Abend und am Wochenende sei ganz normal.

Den Mörder von Tobias verurteilt

2014 wurde die renommierte Richterin in die Expertenkommission von Bundesjustizminister Heiko Maas berufen, um an der Novellierung des aus der Nazizeit stammenden Mordparagrafen 211 mitzuwirken. „Das war ganz, ganz schwierig“, sagt die 65-Jährige. Das Ergebnis der Kommission: Die lebenslange Freiheitsstrafe soll grundsätzlich beibehalten werden. Es soll aber die Möglichkeit geben, mildernde Umstände zu berücksichtigen. Als klassischer Fall wird der Haustyrannenmord angeführt. Wenn eine über Jahre gequälte Frau ihren Mann heimtückisch tötet, soll es möglich sein, von einer lebenslangen Freiheitsstrafe abzusehen. „Ich bin gespannt, was aus unseren Vorschlägen wird“, so Rieker-Müller.

Aber jetzt ist es vorbei mit der Juristerei. „Der Zeitpunkt ist genau richtig“, sagt die Richterin a.D. Sie werde künftig das „tolle Kulturangebot“ ihrer Heimatstadt genießen und ihre sozialen Kontakte pflegen. Zudem singt sie leidenschaftlich gern im Chor. „Und heute Abend gehe ich ins Ballett“, sagt Regina Rieker-Müller.