Damit die Kirche eine Zukunft hat, muss sie den Wandel wagen, sagt die Jugend. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Wie einst Martin Luther haben Schüler der evangelischen Seminare in Blaubeuren und Maulbronn Thesen für eine Erneuerung der Kirche formuliert. Die Anliegen lösen bei der Kirchenspitze unterschiedliche Reaktionen aus.

Stuttgart - Ängstlichkeit im Umgang mit der Kirchenspitze legen die Gymnasiasten der Seminare in Blaubeuren und Maulbronn wahrlich nicht an den Tag. Im Gegenteil: Sie sparen nicht mit Kritik an den Verantwortlichen, und sie fordern zum Teil weitreichende Reformen. Am Reformationsjubiläum etwa stört sie der Kommerz. Die „Marke Luther“ werde zur Aufwertung von Produkten verwendet. Dabei habe Luther doch gegen den Ablass gekämpft – also gegen die Geschäftemacherei mit dem Glauben, rügen die Schüler. Die Kirche solle lieber, statt auf den Umsatz zu achten, die zentrale reformatorische Einsicht – die Rechtfertigung allein aus Glauben – erfahrbar machen. Das verlangen die Jugendlichen in der ersten ihrer 17 Thesen, über die sie jetzt im Hospitalhof mit der Kirchenspitze diskutiert haben.

Die Kirche soll eine Jugend-Quote in den Gemeinderäten einführen

Auch die anderen Anliegen haben es zum Teil in sich. Die Kirche solle bei der Einstellung von Mitarbeitern – etwa in Kindergärten – nicht mehr die Konfession zum zentralen Kriterium machen, sondern auch Muslime beschäftigen. Sie solle eine Jugend-Quote in Kirchengemeinderäten einführen, ihre Einstellung zur Homosexualität ändern, gleichgeschlechtliche Paare segnen und stets ein Zusammenleben von lesbischen oder schwulen Paaren im Pfarrhaus erlauben. So lauten einige der Erneuerungswünsche. Diese haben die Schüler im Unterricht an den kirchlichen Seminaren erarbeitet. Und sie hatten Erfolg mit ihrem Vorstoß, darüber mit der Kirchenleitung eine Debatte zu führen. Denn dieser Vorschlag schaffte es, beim landeskirchlichen Ideenwettbewerb berücksichtigt zu werden. Selten haben sich wohl so viele Spitzenvertreter des hiesigen Protestantismus dem Nachwuchs gestellt. Acht Führungskräfte – vom Landesbischof Frank Otfried July an – bis zur Synodalpräsidentin Inge Schneider standen den Jugendlichen Rede und Antwort. Sie konnten allerdings längst nicht alle Wünsche erfüllen. Eine Jugend-Quote für Kirchengemeinderäte etwa stößt laut der Stuttgarter Prälatin Gabriele Arnold auf fast unüberwindbare praktische Hindernisse. Ihr sei es in der Vergangenheit nicht einmal gelungen, unter 40-Jährige für das Ehrenamt zu begeistern. Deshalb – so schlug der Ephorus des Evangelischen Stifts in Tübingen, Henning Decroll vor, solle die Kirche lieber Möglichkeiten schaffen, dass sich Jugendliche punktuell oder projektbezogen einbringen.

Keine Traugottesdienste für gleichgeschlechtliche Paare

Auch bei dem momentan in der Landeskirche heiß diskutierten Thema, ob gleichgeschlechtliche Paare bald in Württemberg vor den Traualtar treten dürfen, blieb der Landesbischof zurückhaltend. Er müsse die Einheit der Kirche wahren, sagte July. Neben den Befürwortern dieser Neuerung gebe es aber auch diejenigen, die wegen der Bibelstellen, die Homosexualität ablehnen, eine solche Reform nicht mitmachen wollten. Daher werde es einen Kompromiss geben müssen. Der Oberkirchenrat werde dazu einen Vorschlag machen. Eine Segnung dieser Paare solle zwar möglich werden, eine Trauung wie bei Mann und Frau bleibe allerdings verwehrt. Die Schüler, die in großer Zahl zu der Debatte erschienen waren, schüttelten ob dieser Ankündigung den Kopf. „Zur Landeskirche gehören auch die homosexuell empfindenden Menschen. Das sollten sie berücksichtigen“, sagte die Elftklässlerin Miriam Kupfer und erntete dafür starken Beifall ihrer Mitschüler.

Ebenso skeptisch reagierten die Verantwortlichen auf die Appelle des Nachwuchses mehr Interreligiosität zu wagen. Wer das evangelisch-christliche Profil einer Kindertagesstätte wahren wolle, stoße mit dem Vorsatz, muslimische Erzieherinnen anzustellen, an Grenzen, betonte der Oberkirchenrat Werner Baur. Schließlich sollten auch die Andersgläubigen nicht überfordert werden. Das überzeugte Melissa Fahrion allerdings nicht. Die christliche Prägung könnten ja die übrigen Erzieherinnen garantieren, sagte die Zwölftklässlerin aus Maulbronn. Außerdem hätten muslimische Erzieherinnen einen leichteren Zugang zu muslimischen Eltern. Eine andere Schülerin meinte, das Miteinander der Religionen werde auf diese Weise ebenfalls befördert. Das, so lautet eine weitere Überzeugung der Gymnasiasten, werde zudem helfen, den politischen Rechtsaußen das Wasser abzugraben. Schließlich sei ein Grund für deren Wahlerfolge die Angst vor fremden Kulturen.

In dem Ziel, den Populismus einzudämmen, waren sich Schüler und Kirchenspitze wiederum einig. Und immerhin: sehr viele der Jugendlichen bekannten auf eine Nachfrage der Moderatorin hin, sie dächten daran, Theologie zu studieren. Die Treue zur Kirche ist also groß – trotz aller Kritik.