Thaddäus Kunzmann gehört selbst zu den Babyboomern, die später als Rentner in der Mehrheit sein werden. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Ab 2040 gibt es mehr Ruheständler als Berufstätige in Baden-Württemberg: Thaddäus Kunzmann ist Demografiebeauftragter der Landesregierung und sieht einen Teufelkreis auf den ländlichen Raum zukommen.

Stuttgart - Im Jahr 2040 kehrt sich der Altenquotient in Baden-Württemberg um. Ab dann kippt das Verhältnis der Berufstätigen zu den Rentner zugunsten der Ruheständler: Sie sind in der Mehrheit. Der demografische Wandel stelle die Gesellschaft vor große Herausforderungen, sagt Thaddäus Kunzmann (54), der Demografiebeauftragte des Landes. Der Christdemokrat will vor allem den ländlichen Raum ertüchtigen. Denn dort liege die wirtschaftliche Stärke des Landes – noch.

Herr Kunzmann, eine Kollegin bat mich, Sie zu fragen, wie sehr Sie im ersten Jahr als Demografiebeauftragter gealtert sind.
(lacht) Exakt ein Jahr und einen Monat. Meine grauen Haare hatte ich schon vorher. Aber wenn Sie auf die Herausforderungen anspielen, vor die uns der demografische Wandel in den nächsten Jahrzehnten stellen wird: Da habe ich viel gelernt.
Was denn?
Zum einen wie viele Themen vom demografischen Wandel betroffen sind. Da geht es beileibe nicht nur um soziale Fragen oder um den Pflegenotstand. Das reicht von Digitalisierung über Mobilität und Fachkräftemangel bis hin zu den Themen Bauen, Wohnen und Siedlungsentwicklung mit einem starken Fokus auf den ländlichen Raum. Das ist also ein recht breiter Ansatz. Außerdem ist es wichtig, nicht nur die nächsten zehn Jahre im Blick zu haben, sondern die nächsten 30, 40 Jahre.
Warum? Weil dann die Babyboomer-Generation alt wird?
Genau. Der demografische Wandel ist sehr stark mit den geburtenstarken Jahrgängen verbunden. Ich selber bin 1964 geboren, gehöre also selbst zu den Babyboomern. Wir waren schon immer besonders viele. Und wir werden auch in 15 Jahren, wenn wir in Rente gehen, wieder viele sein und in 30 Jahren, wenn wir hochaltrig sind. Das Zeitfenster, das uns als Gesellschaft bleibt, um uns darauf vorzubereiten, besteht aus vielleicht 15 bis 20 Jahren.
Wie sehen Sie Ihre Aufgabe als Demografiebeauftragter?
Meine Aufgabe ist es zunächst einmal dafür zu sensibilisieren, dass der demografische Wandel praktisch alle Lebensbereiche berührt und wir uns generationenübergreifend Gedanken machen müssen. Außerdem gilt es jetzt vor allem, die Fragen herauszuarbeiten, auf die wir dann in den kommenden Jahren Antworten suchen müssen. Die vier Demografie-Foren, die wir im April veranstalten, sollen dazu dienen, solche Fragen zu entwickeln. Schließlich müssen wir uns unsere Strukturen anschauen: Wo gibt es Versäulungen?
Was sind Versäulungen?
Schon jetzt befassen sich viele Akteure mit dem demografischen Wandel. Aber sie tun das nur mit dem Blick auf ihren eigenen Bereich, es wird zu wenig nach Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Akteuren in dem jeweiligen Bereich gesucht. Wenn es gelingt, diese Versäulung zu überwinden, dann hat man auch im Einzelnen mehr Schlagkraft. Da gibt es noch einen enormen Vernetzungsbedarf.
Sie nehmen vor allem den ländlichen Raum in den Fokus. Warum?
Der demografische Wandel wird sich im ländlichen Raum – die Schwäbische Alb, der Schwarzwald, der Norden Baden-Württembergs – sehr viel früher bemerkbar machen als in den Zentren. Unsere Siedlungsentwicklung ist sehr zentrenorientiert. Das führt dazu, dass die ländlichen Gebiete nicht von dem Zuzug profitieren, den das Land in den nächsten 20 Jahren noch erleben wird. Das müssen wir dringend ändern. Denn das hat gravierende Konsequenzen für unsere dezentrale Wirtschaftsstruktur.
Was meinen Sie damit?
68 Prozent der Wirtschaftskraft in Baden-Württemberg wird im ländlichen Raum generiert. Das ist unsere Stärke, die dürfen wir nicht gefährden. Solange wir diese Struktur haben, gibt es auch die Chance, die Menschen dezentral anzusiedeln. Wenn die Unternehmen auf dem Land ihren Bedarf an Fachkräften nicht mehr decken können, ziehen sie dorthin, wo sie Arbeitskräfte bekommen. Damit wiederum ziehen noch weniger junge Menschen in das Gebiet oder sie ziehen weg. Das ist ein Teufelskreis: Damit bricht nach und nach auch die Nahversorgung weg. Zurück bleiben die Älteren, die in ihren Häusern gefangen sind schon allein deshalb, weil sie dafür keine Käufer mehr finden.
Wie lässt sich der Teufelskreis stoppen?
Dabei spielt das Thema Mobilität eine wichtige Rolle. Wenn ich eine junge Familie aufs Land locken will, dann müssen die Eltern vernünftig zur Arbeit kommen, das muss gelöst sein. Mobilität ist aber auch für Senioren zentral. Das ist eng verknüpft mit der Digitalisierung: Das autonome Fahren ermöglicht es Senioren in Zukunft, bis ins hohe Alter mobil zu sein. Die Voraussetzungen dafür, die entsprechenden Datenleitungen, müssen wir jetzt schaffen.
Was ist mit dem Thema Pflege?
Das ist natürlich ein Thema. Wobei: Den Anspruch, den wir heute an das Thema stellen, können wir in 30 Jahren, wenn die geburtenstarken Jahrgänge hochaltrig werden, nicht mehr einhalten. Das ist unrealistisch, weil wir dafür nicht genügend Pflegekräfte haben. Wir sprechen ja heute schon von einem Pflegenotstand. Diese Situation wird sich zuspitzen. Wir müssen deshalb unbedingt erreichen, dass die Menschen solange wie möglich selbstständig am Leben teilhaben können und nicht auf professionelle Hilfe angewiesen sind.
Pflegeberufe müssen attraktiver werden?
Das müssen sie. Aber das müssen andere Berufe auch. Es wird einen Wettbewerb der Berufe u m junge Menschen geben.
Was kann das Land tun?
Das Land muss seine planerische Aufgaben nutzen, etwa in der Siedlungsentwicklung oder bei der Förderung des ländlichen Raumes. Es kommt dieser Aufgabe ja auch schon nach, etwa mit dem Ideenwettbewerb Quartier 2020 zur seniorengerechten Weiterentwicklung von Quartieren. Das ist der Versuch, wegbrechende Familienbindungen durch nachbarschaftliche Bindungen zu ersetzen. Wir müssen diese Zentrenorientierung stoppen.