Das Johannes-Evangelium in doppelter Hülle. Es ist in altäthiopischer Sprache verfasst und soll aus dem 18. oder 19. Jahrhundert stammen. Foto: Landesbibliothek

Bücher, bei denen nicht nur der Inhalt Geschichten erzählt, sondern auch der Einband, zeigt eine Ausstellung in der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart. Geschichten über die Zeit, zu der die Einbände entstehen – und über die Machart der Zeugnisse von Handwerkskunst aus 1000 Jahren.

Bücher, bei denen nicht nur der Inhalt Geschichten erzählt, sondern auch der Einband, zeigt eine Ausstellung in der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart. Geschichten über die Zeit, zu der die Einbände entstehen – und über die Machart der Zeugnisse von Handwerkskunst aus 1000 Jahren.

Stuttgart - „Haute Couture für Bücher“ ist das Panorama der Einbandkunst betitelt. Ein Versprechen. Und tatsächlich sind Werke zu sehen, bei denen der Eindruck entsteht, dass für den Einband fast mehr Aufwand betrieben wurde als für das, was in den Büchern zu lesen ist. 1000 Jahre Einbandkunst sind zu bestaunen.

Der Hingucker aus der Moderne ist der Einband von Katja Liebig. Die Einbandgestalterin und Dozentin der Stuttgarter Kunstakademie hat ein Buch gestaltet, das aufgeklappt an den Torso einer Frau erinnert. Der obere Teil zeigt Brüste aus Metall, darunter hat sie gerafftes Papier aufgetragen. Der Buchrücken mit gestickten Kreuzstichen sowie einer Blume darüber macht das Bild vom weiblichen Torso, der mit einem Mieder bekleidet ist, perfekt. Die Innenseite des Buchdeckels, den man in der Fachsprache Vorsatz nennt, hat Liebig mit roter Wildseide ausgekleidet. Das Buch enthält erotische Gedichte von Bertolt Brecht und thematisch passende Radierungen von Pablo Picasso.

„Mit Haute Couture verbindet man Handgefertigtes und ungewöhnliche Materialien“, sagt Jörg Ennen, „das passt hier sehr gut.“ Die Ausstellung, so Ennen, in der Landesbibliothek für die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich, zeige Einbandkünste aus den vergangenen tausend Jahren.

Ein Beispiel für das Ungewöhnliche: In der Innenseite des Holzeinbands eines kleinen Büchleins ist jeweils ein kleiner Spiegel eingearbeitet. Das Buch stammt aus dem orientalischen Raum und wurde im 18. oder 19. Jahrhundert hergestellt. In der altäthiopischen Sprache Ge’ez verfasst, präsentiert es das Johannes-Evangelium. Das Interessante an dem Büchlein: Es wird sowohl in einem Behälter aufbewahrt als auch in einer Tragetasche – beides ist aus Kamelleder gefertigt. Solche Tragetaschen sind vor allem von Wandermönchen bekannt, sagt Vera Trost, verantwortliche Kuratorin der Ausstellung.

Buchbinderkunst lange eine Männerdomäne

Anlass der Ausstellung „Haute Couture für Bücher“ war eine Schenkung: Eine Einbandsammlung, die aus dem Nachlass des Buchbinders Gotthilf Kurz stammt. 521 Bücher mit Handeinbänden umfasst die Sammlung. Kurz (1923–2010) stammt aus Nürtingen und wird als einer der wichtigsten Einbandkünstler der jüngeren Zeit gesehen. Für sein Meisterstück hat er orangefarbenes Oasenziegenleder benützt, das er mit einer Zickzacklinie in Gold verziert hat. Die Linie ist als Prägung auf das Leder aufgetragen.

Bis Ende des 19. Jahrhunderts gilt die Buchbinderkunst als Männerdomäne. Umso mehr interessieren im „Haute Cotoure“-Reigen die Bücher von Maria Lühr, der ersten deutschen Buchbindermeisterin, oder Frida Schoy, die etwa den Titel des Buches feinsäuberlich auf die Innenkante des Einbandes aufgedruckt hat.

Noch mehr aber faszinieren ältere Prunkstücke. So präsentiert die Ausstellung eine Bibel, die mit einem Goldschmiedeeinband mit romanischem Bronzerelief versehen ist. In den Einband sind Edelsteine eingearbeitet. In der Mitte ist eine Christusfigur. Der Einband stammt wohl aus dem 17. Jahrhundert, sagt Christian Herrmann, mit im Ausstellungsteam von Vera Trost. Solche Reliefs wurden auf ein Holzgerüst aufgetragen. Die Ausstellung zeigt einen solchen kargen Buchdeckel aus Eichenholz. Immer wieder wurden wertvolle Verzierungen schlichtweg gestohlen, sagt Herrmann.

Einbandkunst gewinnt im 18. Jahrhundert Charakter eines Spiels

Eine Vitrine weiter ist ein Buch zu sehen, an dessen Rücken eine Kette angebracht ist. Es wird auf das Jahr 1484 datiert. An den Kanten sind zudem vier Metallbeschläge aufgebracht. Sie zeugen noch heute von der damaligen Aufbewahrung: In einem Bücherschrank wurden sie aufeinandergestapelt. Die Metallbeschläge sollen das Buch schützen. Mit der Kette war es an einer Stange befestigt. So konnte das Buch nicht gestohlen werden, sagt Herrmann. Zum Lesen wurde es eigens auf einem Lesetisch bereitgelegt.

Ledereinbände mit aufwendiger Goldprägung aus dem 20. Jahrhundert oder Einbände islamischer Buchkunst aus dem 17. Jahrhundert, bei denen der Einband wie bei einem Briefkuvert die Seiten umschließt, wechseln sich mit blumigen Elementen in unterschiedlichen Farben ab.

Faszinierend zu sehen ist, dass die Einbandkunst im 18. Jahrhundert den Charakter eines Spiels gewinnt. Dabei entstehen auch siamesische Zwillinge: Bücher, bei denen die Einbände von zwei oder mehreren Büchern miteinander im Ziehharmonika-Verfahren verschmolzen sind. Verblüffend auch dies: Ein Buch sieht zwar von außen aus wie ein solches, schlägt man es aber auf, entdeckt man darin eine ganze Bibliothek. Schließlich ist ein Buch im Buch zu entdecken – ein Band, in dessen Form ein kleinerer eingearbeitet wurde. Schließlich wird Landesgeschichte lebendig – in Samt gekleidete Exemplare tragen das württembergische Wappen oder Initialen des Herzogs Carl Eugen (1728–1793).