Es gibt keine landesweite Statistik zum Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Foto: imago//Hans Blossey

Wie viele Pflanzenschutzmittel werden im Südwesten auf die Äcker ausgebracht? Die Landeswasserversorgung und der Nabu haben jetzt in drei Gerichtsurteilen die Herausgabe der Zahlen erstritten – doch das Land weigert sich weiter und geht in Berufung.

Stuttgart - Die meisten Experten sind sich einig, dass Pflanzenschutzmittel eine der Ursachen für das Insekten- und Vogelsterben auch in Baden-Württemberg sind. Umso erstaunlicher ist, dass überhaupt nicht bekannt ist, welche Pestizide in welchem Umfang in welchen Gebieten eingesetzt werden. Die Landwirte und auch etwa Bauhöfe müssen die Mengen zwar dokumentieren, aber es werden keine Statistiken erstellt und auch nicht veröffentlicht. Der Naturschutzbund (Nabu) hat deshalb mehrere Klagen gegen das Agrarministerium eingereicht, damit die Zahlen exemplarisch für alle Naturschutzgebiete – selbst dort werden Pestizide eingesetzt – herausgegeben werden. Zudem hatte die Landeswasserversorgung (LW) geklagt, die drei Millionen Menschen versorgt; denn auch in der Donau oder nahe der Brunnen wurden Pestizide nachgewiesen.

Am Montag haben Nabu und LW nun mitgeteilt, dass sie alle drei bisher behandelten Klagen gewonnen hätten. Johannes Enssle, der Nabu-Landeschef, sprach von einer Klatsche für das Land. Denn die Verwaltungsgerichte in Freiburg, Stuttgart und Karlsruhe hätten nicht nur festgestellt, dass die Daten weiterzugeben seien. Vielmehr hätten sie auch klargemacht, dass jeder Bürger einen Informationsanspruch habe, unabhängig davon, ob es ein berechtigtes Interesse gebe oder nicht. Zudem sei es unerheblich, so die Gerichte, ob die Daten vorlägen oder erst erhoben werden müssten. Das Ministerium hatte immer argumentiert, es könne die Zahlen nicht weitergeben, weil es sie nicht besitze. Enssle liest die Urteile sogar so, dass das Land mit seiner Verweigerungstaktik gegen das Europarecht verstoße.

„Transparenzgedanke bei Behörden im Südwesten gering“

LW-Geschäftsführer Frieder Haakh betonte, dass die Zahlen von zentraler Bedeutung seien, um das Trinkwasser zu schützen. In Deutschland seien 285 Wirkstoffe von Pflanzenschutzmitteln zugelassen; es sei für die LW unmöglich, alle im Blick zu haben. Die Pestiziddaten könnten deshalb zeigen, in welchem Gebiet welche Stoffe häufig eingesetzt werden: „Dann wüssten wir, wo wir genauer hinschauen müssen“, so Haakh.

Die Urteile besitzen eine große Bedeutung. Zum einen sind die Klagen vermutlich europaweit Präzedenzfälle – erstmals versuchen Verbände den Anspruch auf Daten zum Pestizideinsatz durchzusetzen. Zum anderen geht es bei den Klagen allgemein darum, dem Informationsfreiheitsgesetz, das das Land 2015 verabschiedet hatte, endlich auch in der Praxis zur Durchsetzung zu verhelfen. Aus dem Grund nahm an der Pressekonferenz von Nabu und LW auch, ungewöhnlich genug, der Datenschutzbeauftragte des Landes, Stefan Brink, teil. Im Südwesten seien die Behörden sehr zögerlich bei der Herausgabe von Daten; oft gewichte man das Amtsgeheimnis stärker als den Transparenzgedanken. „Die Urteile sind ein klarer Auftrag an die Landesregierung, für mehr Transparenz zu sorgen“, so Brink. Und Johannes Enssle fügte die rhetorische Frage an: „Wie viele Niederlagen braucht das Land noch bis zur Einsicht?“

Bis 2030 soll Pestizideinsatz im Land halbiert werden

Agrarminister Peter Hauk (CDU) sieht die Sache allerdings ganz anders – in allen drei Urteilen ist das Land deshalb in Berufung gegangen. So sei unklar, ob das Land wirklich gegen europäisches Recht verstoße, sagte der Ministeriumssprecher Jürgen Wippel: „Die Berufung wurde mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die Notwendigkeit zugelassen, diesen Widerspruch obergerichtlich klären zu lassen.“ Im Übrigen handle es sich beim monierten Gesetz um Bundesrecht – das Land könne gar nichts ändern. Zudem habe man bereits vereinbart, künftig in Naturschutzgebieten keine Pestizide mehr einzusetzen; die Zahlen seien also bald obsolet.

Tatsächlich ist diese Übereinkunft Teil einer brandneuen Gesetzesnovelle zum Artenschutz, die aus dem Bürgerbegehren „Rettet die Bienen“ hervorgegangen war. Dazu gehört auch das Ziel, bis 2030 den Pestizideinsatz um 40 bis 50 Prozent zu reduzieren. Um eine Datengrundlage zu bekommen, wird derzeit ein Betriebsmessnetz mit repräsentativen Betrieben aufgebaut. Dadurch werde man künftig für die Hauptkulturen wissen, wie stark der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln im Südwesten tatsächlich sei, sagt das Agrarministerium. „Diesen Weg werden wir weiter mit den Umweltverbänden beschreiten“, betont Jürgen Wippel.

Doch das geht dem Nabu nicht weit genug. Landesweite Daten genügten nicht; vielmehr müsse man auch bei Problemen im Einzelfall prüfen können, woher die Pflanzenschutzmittel kämen. Er nannte als Beispiel den Federsee, in dem vor einiger Zeit eine stark erhöhte Belastung mit einem Herbizid festgestellt worden war. Die Daten könnten Grundlage für eine Lösung solcher Probleme sein. Anonymisierte Zahlen würden dafür ausreichen. Auch Stefan Brink betonte, dass Landwirte nicht befürchten müssten, an den Pranger gestellt zu werden.